Hinter der Parole „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ steckt leider kein Gerechtigkeitswunder – sondern ein neues Kapitel europäischer Bürokratie, das viele Unternehmer vor ungeahnte Herausforderungen stellen wird. Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie wurde am 10. Mai 2023 verabschiedet und muss bis 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Ihr offizielles Ziel: den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ zwischen Frauen und Männern durch mehr Transparenz und strengere Kontrollen zu sichern.

Klingt zunächst gut. SPÖ-Arbeitsministerin Korinna Schumann sieht darin „das Potenzial, bestehende Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern sichtbar zu machen und nachhaltig zu verringern“, wie sie gegenüber Heute betonte. In ihrem Ministerium werde bereits „mit Hochdruck“ an der nationalen Umsetzung gearbeitet. Nur: Was bedeutet das konkret – und wer soll das alles umsetzen?

Das Gesetzesvorhaben wurde 2021 von der Europäische Kommission angestoßen. Verantwortlich im Kommissionskollegium war vor allem Helena Dalli (Bild), damals Kommissarin für Gleichstellung unter von der Leyen.APA/AFP/POOL/FREDERICK FLORIN

Künftig müssen Arbeitgeber in allen EU-Ländern und Branchen – vom Handwerk bis zur IT, von Portugal bis Schweden – in Stellenanzeigen das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne angeben, dürfen nicht mehr nach bisherigen Einkommen fragen und sollen regelmäßig Berichte über geschlechtsspezifische Lohnunterschiede erstellen. Arbeitnehmer erhalten das Recht, Auskunft über das eigene und vergleichbare Entgelte einzuholen. Übersteigt der Gender-Pay-Gap fünf Prozent, müssen Unternehmen gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Entgeltbewertung durchführen. Verstöße sollen mit Sanktionen und Geldstrafen geahndet werden – ein massiver Eingriff in betriebliche Abläufe.

Im Ministerium leicht umsetzbar – doch darüber hinaus?

Im staatsnahen Bereich lässt sich das in der Regel leicht verwalten. In Ministerien, Kammern oder großen öffentlichen Betrieben gibt es ohnehin fixe Gehaltsschemata – dort weiß jeder, was ein Kollege in derselben Funktionsgruppe verdient. Die Umsetzung wäre teils reine Formsache

Doch außerhalb des Beamtenapparats sieht es ganz anders aus. In mittelständischen Betrieben, Handwerksfirmen, der Gastronomie oder bei Start-ups gibt es in zahlreichen Ländern und Berufssparten keine standardisierten Lohnraster, sondern individuelle Vereinbarungen, Boni und Überstundenregelungen. Diese Vielfalt lässt sich kaum in starre EU-Formulare pressen.

In Pflegeheimen und Spitälern hängen die Löhne stark von Erfahrung, Zuschlägen und Qualifikation ab – Durchschnittswerte sagen wenig aus.Kzenon/stock.adobe.com

Das kann in der Praxis leicht zu absurden Konsequenzen führen: Start-ups verlieren durch die Offenlegungspflicht ihre Verhandlungsspielräume und geraten gegenüber Konzernen ins Hintertreffen. Zwar sind viele Jungunternehmen noch zu klein für die umfassende Berichtspflicht, doch schon die neuen Regeln für Stellenausschreibungen treffen sie hart: In Österreich müssen zwar schon jetzt Gehaltsspannen angegeben werden, künftig aber genauer und geschlechtsneutral – das treibt die Löhne nach oben und kostet Flexibilität. Junge Unternehmen können dann nicht mithalten.

Installateur ist nicht gleich Installateur: In Österreich gilt der Kollektivvertrag, in Osteuropa meist individuelle Vereinbarungen mit niedrigeren Grundgehältern.IMAGO/Funke Foto Services

Pflegebetriebe müssten Löhne vergleichen, obwohl Zuschläge, Dienstzeiten und Qualifikationen stark variieren. Handwerksbetriebe sollen Löhne „objektiv“ bewerten – obwohl regionale Unterschiede, Auftragslage und Erfahrung den Verdienst bestimmen.

Und in der Kreativbranche ist ein „durchschnittliches Entgelt“ schlicht nicht messbar, weil projektbezogene Honorare und freie Mitarbeit überwiegen.

Während also im öffentlichen Dienst eine neue Excel-Tabelle reicht, müssten private Arbeitgeber künftig ganze Datenbanken über Gehälter und Vergleichskriterien anlegen – inklusive der Pflicht, jede Abweichung zu rechtfertigen.

Bald noch mehr Schwarzarbeit am Bau? Gut möglich – bei den neuen EU-Vorgaben. Gebäude werden dann wohl auf mysteriöse Weise von selbst in den Himmel wachsen.APA/HARALD SCHNEIDER

Nach dem Lieferkettengesetz: Noch mehr Bürokratie

Als wäre das nicht genug, müssen Unternehmen seit kurzem schon die Vorgaben der EU-Lieferkettenrichtlinie erfüllen. Das bedeutet konkret: jede Zulieferkette dokumentieren, Risiken für Kinderarbeit, Umweltzerstörung, CO₂-Ausstoß und Menschenrechtsverletzungen offenlegen und Gegenmaßnahmen vorweisen. Für viele Firmen wurde dieses Gesetz bereits zum Albtraum: riesige Datenmengen, teure Prüfprozesse und zusätzliche Haftungsrisiken.

Die Entgelttransparenz-Richtlinie bedeutet den nächsten Schlag: Noch mehr Formulare, noch mehr Meldepflichten – diesmal mitten ins Herz der Personalabteilungen. Unternehmer sprechen von einem drohenden „Verwaltungsinfarkt“.

Gerald Loacker: „Ein weiterer bürokratischer Klotz ans Bein der Betriebe“

Besonders scharf kritisiert Gerald Loacker, Jurist, Unternehmensberater und ehemaliger NEOS-Abgeordneter, das Gesetzesvorhaben. Unter dem Titel „EU-Lohntransparenz bringt neue Bürokratieflut“ schreibt Loacker im Online-Medium Selektiv: „Nach der Lieferkettenrichtlinie, der Cybersicherheitsrichtlinie, der Entwaldungsverordnung und anderen administrativ aufwändigen Regulierungen hängt die Entgelttransparenz-Richtlinie 2023/970 den nächsten bürokratischen Klotz ans unternehmerische Bein.“

Er erinnert daran, dass zwar der Gedanke der Lohngleichheit richtig sei, doch die Umsetzung aus Brüssel „die Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon bald beschäftigen wird – und zwar massiv.“

Ex-Parlamentarier Gerald Loacker (NEOS) warnte schon zu Jahresbeginn vor dem nächsten Bürokratiemonster aus Brüssel.APA/EVA MANHART

Laut Loacker müssen alle Unternehmen ab 250 Beschäftigten jährlich Berichte über das Entgeltgefälle zwischen Männern und Frauen erstellen – inklusive Aufschlüsselung nach Tätigkeitsgruppen, Einkommensquartilen und Geschlecht. Die Definition „gleichwertiger Arbeit“ lasse dabei viel Interpretationsspielraum. „Sollte der Bericht ein Pay Gap von über 5 Prozent ergeben, ist gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Entgeltbewertung vorzunehmen. Planen Sie sich dafür Zeit ein – Ihr Betriebsrat wird sie haben“, warnt Loacker sarkastisch.

HR-Abteilungen vor Dauerstress

Doch die Berichtspflicht ist nur der Anfang. Die Richtlinie sieht außerdem vor, dass alle Mitarbeiter jährlich Anspruch auf eine schriftliche Auskunft über ihre eigene Entgelthöhe und den Durchschnittsverdienst vergleichbarer Tätigkeiten haben. Loacker rechnet mit einer Welle interner Konflikte: „Kein Mitarbeiter will auf einer Auswertung sehen, dass er jährlich 2.000 Euro weniger verdient als seine Kollegen – auch wenn der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist.“

Hinzu kommt: Arbeitgeber müssen Beschäftigte jedes Jahr aktiv über dieses Auskunftsrecht informieren. Und auch ehemalige Mitarbeiter könnten künftig Diskriminierung geltend machen, wenn sie in der Vergangenheit weniger verdient haben. „Man muss nicht gleichzeitig beschäftigt sein, um diskriminiert zu werden“, mahnt Loacker.

In der Film- und Musikbranche werden meist projektbezogene Honorare gezahlt – ein „durchschnittliches Entgelt“ lässt sich hier kaum objektiv bestimmen.GETTYIMAGES/shironosov

Eingriff in die Unternehmensfreiheit

Juristen warnen zudem vor einer gefährlichen Beweislastumkehr. Wer eine Ungleichbehandlung beim Lohn vermutet, kann klagen – und der Arbeitgeber muss beweisen, dass der Unterschied nicht diskriminierend ist. Das greift tief in die Tarif- und Vergütungsautonomie ein.

Loacker: „Selbst ohne Gold-Plating wird dieses Regulativ ein bürokratisches Beschäftigungsprogramm für HR-Teams und das Management.“

Statt Lohngleichheit drohen Aktenberge

Es ist bereits absehbar: Das neue System wird eine neue Schicht an Verwaltung, Kontrolle und Berichtspflichten schaffen. Loacker kommentiert: „Das Potenzial für eine weitere Metastase der Bundesverwaltung mit gut dotierten Leitungsfunktionen für zuverlässige Parteigänger zeichnet sich bereits ab.“

Was als gerechtes Ziel begann, droht in einem Dschungel aus Formularen, Meldepflichten und Klagepotenzial zu enden. Selbst Loacker, der das Anliegen der Lohngleichheit teilt, sieht im EU-Entwurf ein „bürokratisches Beschäftigungsprogramm“, das mehr Verwirrung als Gerechtigkeit bringt.

Während Arbeitsministerin Schumann von einer „Lohn-Revolution“ schwärmt, bleibt die Realität: Österreichs Betriebe stehen vor einem Bürokratie-Gewitter.