
„Es gibt Patienten, die ein Jahr auf einen Termin warten“ – Arzt bei eXXpressTV
Österreichs Gesundheitssystem steht am Kipppunkt. Der erfahrene Frauenarzt Dr. Armin Breinl rechnet im exxpressTV-Interview schonungslos ab: mit Bürokratie, Wahlarztsystem, Teilzeitkultur – und mit der Politik. Er warnt: „Ich habe Patienten, die in einem Jahr keinen Kassenarzttermin bekommen.“
Dr. Armin Breinl kann auf eine jahrzehntelange Erfahrung als Arzt zurückblicken. Nach seinem Medizinstudium in Graz absolvierte er 1983 den Turnus und die Facharztausbildung. Es folgten rund zehn Jahre im Spital, zehn Jahre als Wahlarzt, und schließlich 20 Jahre als Kassenarzt.
Im TV-Studio denkt er fast wehmütig an seine Anfangszeit als Spitalsarzt zurück: „Ich war damals mit zwei Kollegen für ein ganzes Krankenhaus zuständig – heute schaffen das neun nicht“, sagt Breinl. Die Versorgung habe funktioniert, man habe Geburten begleitet, operiert, Diagnosen gestellt – mit wenigen Ärzten und rund um die Uhr.
Heute hingegen, so seine Diagnose, herrscht ein gefährlicher Mangel an Kontinuität: „Der Arzt kennt den Patienten am nächsten Tag nicht mehr.“ Patienten würden berichten, dass sie bei jeder Visite ein anderes Gesicht sähen. So entstehe Medizin ohne Bezug, ohne Vertrauen, ohne Verlässlichkeit.
Dienstrecht, Teilzeit und Überforderung
Besonders hart geht Breinl mit den Veränderungen beim Dienstrecht ins Gericht. Die neuen Arbeitszeitregelungen hätten den Zusammenhalt zerstört und die Ausbildung massiv verschlechtert: „Du bist nie da, weil du Teilzeit arbeitest – das ist ein No-Go.“ Viele junge Ärzte sähen ihre Patienten nur einmal, lernten kaum etwas und seien überfordert: „Viele junge Ärzte sind überfordert – sie können mit Druck nicht umgehen.“ Medizin sei ein Beruf, der Standfestigkeit verlange – und das beginne schon in der Ausbildung. „Wenn du nicht motiviert bist, stehst du halt die ganzen Monate nur daneben.“
Falsche Auswahl, sinnlose Tests
Bei der Ausbildung werde viel zu wenig darauf geachtet, ob Studenten überhaupt für den Beruf des Arztes geeignet sind. In Breinls Augen wird das gesamte System durch absurde Auswahlmechanismen und zu wenig Praxisnähe zusätzlich ausgehöhlt: „Die Auswahl der Medizinstudenten ist absurd – gefragt wird nicht nach Empathie, sondern nach Versicherungsnummern.“
Breinl erinnert sich an Zeiten, in denen angehende Ärzte ein Jahr lang in einer Abteilung mitarbeiteten und echte Verantwortung trugen. Heute sei das die Ausnahme.
Bürokratie statt Behandlung
Gleichzeitig habe die Bürokratie überhandgenommen: „Ich soll für meine Patienten Kliniktermine online machen – das dauert 30 Minuten!“ Viel Zeit gehe verloren, die eigentlich den Patienten zustehen müsste. Digitalisierung erleichtere nichts – sie sei oft Selbstzweck.
Der Verlust der Berufung
Eines der Hauptprobleme sieht er im schwindenden Berufsverständnis und in den falschen Anreizen. Fleiß werde nicht belohnt.
Heute gelte oft Kein Preis trotz Fleiß, warnt Breinl. Früher sei Medizin Berufung gewesen, heute werde sie zunehmend als Brotberuf gesehen. Breinl selbst ist bereits offiziell in Pension – aber: „Ich bin in Pension, aber arbeite weiter – weil es meine Berufung ist.“
Pflege am Limit
Die Missstände zeigen sich für ihn auch im Pflegebereich: „Jede Krankenschwester sitzt heute nur mehr vorm Computer – ich hätte sie lieber am Krankenbett.“ Die Pflegekräfte seien überlastet, ihre Arbeit habe sich entmenschlicht.
Auch das Zusammenspiel im Krankenhaus habe sich grundlegend verändert: „Früher war man ein Team – heute ist jeder in seiner Ebene isoliert.“
Die Fünf-Klassen-Medizin
Noch brisanter ist seine Analyse zur ärztlichen Versorgung: „Wir haben keine Zwei-, sondern eine Fünf-Klassen-Medizin.“ Vom Kassenpatienten über Zusatzversicherte bis hin zu jenen mit besten Beziehungen oder Ämterbonus – der Zugang zur medizinischen Leistung sei extrem ungleich.
Wer auf Kasse angewiesen sei, müsse immer öfter Monate auf einen Termin warten. Breinl bringt es auf den Punkt: „Der Kassenarzt schaut durch die Finger – der Wahlarzt verdient ein Vielfaches.“
Zucker – die unterschätzte Zeitbombe
Besonders besorgniserregend ist für Breinl die Entwicklung bei chronischen Erkrankungen, etwa Diabetes. Er nennt sie eine Zeitbombe. „Seit 2000 explodiert die Zahl der Diabetes-Fälle – wir tun nichts dagegen.“ Der Hauptverursacher? Zucker. Vor allem in Getränken.
Breinl fordert Konsequenzen: „Energydrinks sind in Dubai verboten – bei uns werben Sportler damit.“ Die Lobby sei stark, doch es sei höchste Zeit zu handeln: „Man könnte Milliarden einsparen – aber niemand greift die Zuckerindustrie an.“
Ein Arzt mit einem Plan
Breinl hat Reformvorschläge erarbeitet – einen Fünf-Punkte-Plan. Darin fordert er unter anderem eine Stärkung der Kassenmedizin, den Ausbau der Vorsorge, die Entbürokratisierung, neue Dienstmodelle und ein gerechteres Ausbildungssystem. Für ihn steht fest: „Das System ist leistungsfeindlich – und kommt uns trotzdem teurer.“
Die Uhr tickt
Armin Breinls Blick auf die Zukunft ist skeptisch: „Die Kosten werden weiter steigen – die Versorgung wird schlechter.“ Ein Satz bringt alles auf den Punkt: „Ich habe Patienten, die in einem Jahr keinen Kassenarzttermin bekommen.“
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