Selten war eine Analyse von Oberst Markus Reisner so vernichtend, wie seine jüngste unter dem Titel „Ukrainisches Fegefeuer“. Drei Jahre nach der Invasion spitzt sich die Lage zu – für die Ukraine, aber auch für Europa, das am Rande des Kontrollverlusts steht. Reisner auf YouTube: „Die kommenden Monate werden darüber entscheiden, ob sich Europa und die Ukraine strategisch neu positionieren oder ob sich das Kräfteverhältnis weiter zugunsten Russlands verschiebt.“

In nüchternem Tonfall erörtert Oberst Markus Reisner (Bild) Europas verheerende geopolitische Situation.YouTube/Österreichs Bundesheer/Screenshot

Es herrscht ein Abnützungskrieg. Ressourcen, Zeit und Allianzen entscheiden über den Ausgang. Während Russland auf die Unterstützung von China, Indien, Nordkorea und dem Iran bauen kann, kämpft die Ukraine um anhaltende Hilfe aus Europa und den USA.

Washington verhandelt, will aber keine Soldaten stationieren

Während Trump mit Putin über eine mögliche Lösung verhandelt, verliert Europa an Einfluss. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurden klare US-Positionen formuliert:

1. Eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014 sei unrealistisch.
2. Dieses Ziel würde den Krieg nur verlängern.
3. Europa müsse mehr Verantwortung für die Sicherheit der Ukraine übernehmen.

US-Verteidigungsministern Pete Hegseth (Bild) fordert mehr Verantwortung von Europa in der Ukraine.APA/AFP/Wojtek RADWANSKI

Gleichzeitig schloss Washington die Stationierung von US-Soldaten in der Ukraine sowie eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Damit droht Kiew in eine gefährliche Abhängigkeit von einem zunehmend schwächelnden Europa zu geraten.

Rohstoffe: Ukraine und Europa gehen leer aus

Ein weiteres brisantes Thema: die wirtschaftlichen Interessen der USA. Donald Trump fordert, dass die Ukraine „sein Geld zurückgibt“ – konkret: Zugang zu Mineralien, Öl und Gas.

Während der Münchner Sicherheitskonferenz wurde ein Vertrag präsentiert, der vorsah, dass 50 Prozent der ukrainischen Rohstoffvorkommen an die USA abgetreten werden. Präsident Wolodymyr Selenskyj verweigerte jedoch die Unterschrift.

Russland will eine Pufferzone weit bis ins Landesinnere

Parallel dazu laufen Verhandlungen über eine demilitarisierte Zone als Basis für einen Waffenstillstand. Während Europa eine Pufferzone entlang der aktuellen Front favorisiert, verfolgt Putin eine weitaus radikalere Strategie. Russland will eine demilitarisierte Zone entlang des Dnepr, um sich gegen westliche Waffensysteme abzusichern, die nicht mehr Moskau erreichen sollen.

So weit soll die Pufferzone gemäß russischen Vorstellungen reichen.YouTube/Österreichs Bundesheer/Screenshot

Russische Netzwerke zeigen bereits Karten, die diesen Plan veranschaulichen: Der gesamte Ostraum des Dnepr wäre unter russischer Kontrolle, die westliche Dnepr-Region teilweise in russischem Besitz. Hinzu kommt das strategische Ziel: Odessa einnehmen und eine Landbrücke nach Transnistrien schaffen.

Würde dieser Plan umgesetzt, wäre die Ukraine faktisch ein Binnenstaat ohne Zugriff auf ihre eigenen Ressourcen.

Europa ist ratlos – und im Dilemma

Europa reagiert ratlos und zögerlich. Während die USA mehr europäisches Engagement fordern, bleibt unklar: Woher sollen die europäischen Truppen kommen? Welches Mandat hätten sie? Wie viele Soldaten wären erforderlich?

Die 1.100 Kilometer lange Frontlinie, die Strecke von Berlin nach London, erfordert nicht nur Truppen, sondern auch massive logistische Unterstützung. Ohne ein klares Konzept könnte Europa endgültig zum geopolitischen Zuschauer werden.

Putin ist zurück – und stärker denn je

Donald Trump hat Putin wieder auf die Weltbühne zurückgebracht. 2014 nannte Barack Obama Russland noch eine „Regionalmacht“, doch heute wird Putin als globaler Akteur betrachtet. Trump selbst nennt ihn einen „World Leader“ und propagiert, dass Frieden nur durch Stärke erreicht werden kann – eine faktische Anerkennung russischer Macht.

Putin ist als „World Leader“ zurück – und Europa im Abseits.IMAGO/APAimages

Putin hat sein Ziel damit bereits teilweise erreicht: Er ist zurück als zentrale Figur der Weltpolitik. Alle müssen mit ihm verhandeln.

Die USA signalisieren überdies eine neue außenpolitische Ausrichtung. Währenddessen intensiviert Russland seine hybride Kriegsführung gegen Europa – von Sabotageaktionen bis zur Nutzung von Desinformationskampagnen.

Die Ukraine auf dem Schlachtfeld unter massivem Druck

Russland setzt der Ukraine militärisch und wirtschaftlich zu. Während Kiew um Nachschub kämpft, besetzt Russland kontinuierlich neue Gebiete: In den letzten zwölf Monaten eroberte Russland 4.500 Quadratkilometer. Die Ukraine gewann nur 500 Quadratkilometer zurück.

Die russische Zermürbungstaktik schlägt an. Gezielte Luftangriffe auf kritische Infrastruktur sollen die Ukraine daran hindern, einen lang andauernden Krieg zu führen: Täglich finden bis zu 140 russische Drohnenangriffe statt. Alle zwei bis drei Wochen folgen Angriffe mit Marschflugkörpern. Von bis zu 2.600 russische Drohnenangriffen pro Monat spricht Reisner.

Kiew in Bedrängnis: Die ukrainischen Truppen sind in der Defensive. Im Bild: Wolodymyr Selenskyj (Bild).GETTYIMAGES/Getty Images

Die Ukraine antwortet mit Angriffen auf russische Öl-Raffinerien, und hat dank modernster Drohnen 20 von 30 wichtigen Anlagen angegriffen und teilweise beschädigt. Doch die Effekte sind begrenzt.

Die Truppenfrage: Russland übermächtig?

Russland hat schätzungsweise 650.000 bis 700.000 Soldaten im Einsatz, während die Ukraine nur 400.000 an der Front stehen hat. Eine ukrainische Brigade muss durchschnittlich 27 Kilometer Front abdecken – ein gewaltiges Unterfangen.

Die Ukraine ringt um neue Brigaden, doch Mangel an Soldaten, sinkende Moral und unzureichende Ausbildung führen zu Desertationen. Russland hingegen gleicht Verluste immer wieder aus und zermürbt die Ukraine mit nachrückenden Truppen.

Russlands Gleitbomben und der Kampf um Pokrowsk

Ein zusätzlicher Faktor: Russlands massiver Einsatz von Gleitbomben mit einer Reichweite von 165 Kilometern. 51.000 wurden im Krieg bereits eingesetzt, davon 44.000 allein im letzten Jahr. Das russisches Produktionsziel sind 70.000 pro Jahr.

Auch für Donald Trump (Bild) zählt vor allem Stärke – und die sieht er zurzeit nicht in Europa.APA/AFP/Alex WROBLEWSKI

Diese Bomben richten verheerende Zerstörung an, unterstreicht der Obert, und erhöhen den Druck auf die Ukraine weiter.

Ein entscheidender Logistikknotenpunkt für beide Seiten sei Pokrowsk. Russland will die Stadt einkesseln und die Versorgung der Ukraine abschneiden. Sollte Pokrowsk fallen, könnte es als Sprungbrett für Angriffe weiter Richtung Westen dienen.