„Meine Schuldigkeit ist getan“ – mit diesen Worten verabschiedet sich Marina Hagen-Canaval (29) endgültig vom Klima-Aktivismus. Ihre Botschaft: Österreich versinkt in der klimapolitischen Bedeutungslosigkeit – weil sich niemand mehr auf die Autobahnen klebt. Die „Letzte Generation“ sei weg, das Thema gleich mit. So einfach ist Weltrettung, wenn man sich selbst für das Zentrum derselben hält.

„Meine Schuldigkeit ist getan“: Ex-Klimakleberin Marina Hagen-Canaval bei einer Pressekonferenz der „Letzten Generation“ im Februar 2024.APA/HELMUT FOHRINGER

„Wir haben eine Lücke hinterlassen“, erklärt die ehemalige Pressesprecherin der berüchtigten Straßenkleber. Eine Lücke, so groß wie der durchschnittliche Stau, den ihre Aktionen verursacht haben. Seit die Aktivisten nicht mehr den Verkehr blockieren, blockiere auch niemand mehr die Klimakatastrophe. Logisch, oder?

Von der Blockade zum Buchverkauf

Der Idealismus lebt weiter – in Buchform. „Widerstand – Liebeserklärung an die Unbequemen“ heißt das neue Werk von Hagen-Canaval. Darin enthalten: eine Anleitung zur Autobahn-Blockade, selbstverständlich als „Tool der demokratischen Selbstermächtigung“. Früher gab’s Revoluzzer-Bibeln von Marx, heute von Marina.

„Widerstand“ auf Bestellung? Aktivisten der „Letzten Generation“ blockierten 2023 Straßen, um für einen von Gewessler eingesetzten Klimarat zu werben.APA/LETZTE GENERATION

Wer dachte, mit dem Rückzug der „Letzten Generation“ sei Ruhe eingekehrt, irrt. Jetzt wird moralisch nachgetreten – aus sicherer Entfernung. Die politische Relevanz des Klimas sei „komplett verschwunden“, sagt die IT-Projektmanagerin im Aktivismus-Ruhestand, die mittlerweile Jus studiert und für die Grünen in Götzis politisch mitmischt.

Zwischen Opferhaltung und Überlegenheitsgefühl

Besonders ärgert sich Hagen-Canaval über jene, „die kritisieren und selber nix machen“. Also über ungefähr 99 Prozent der Bevölkerung, die keine Straßen blockieren, keine Flugzeuge festkleben und keine Suppe auf Kunstwerke schütten. Wer sich nicht selbstentleibt im Namen der CO₂-Einsparung, hat offenbar keinen Platz in ihrer idealen Welt.

Sekundenkleber statt Argumente: Ein Berliner Aktivist der „Letzten Generation“ wird im September 2023 von der Polizei mühsam vom Asphalt gelöst – ein Symbolbild für eine Bewegung, die sich festklebt.APA/AFP/Odd ANDERSEN

Das Klimaticket wird teurer, der Pendlereuro erhöht? Ein Skandal! Dass Menschen mit 1.800 Euro netto in der Provinz leben und täglich pendeln müssen – nebensächlich. Die Welt geht schließlich unter. Spätestens übermorgen.

Kein Comeback – aber Drohung mit Nachfolge

Ein Comeback der „Letzten Generation“ sei nicht geplant – man sei „aufgebraucht“. Verständlich: Zwischen Klebstoff und Gerichtsverfahren bleibt wenig Zeit für Regeneration. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: „In Zukunft kommt es genau auf diese Leute an“, sagt sie – gemeint sind offenbar all jene, die noch nicht blockiert haben, aber bald sollen.

Auf der Klebebühne: Marina Hagen-Canaval (r.) mit Florian Wagner vor der Wiener Secession. Jetzt meldet sie sich im Buchhandel zurück.APA/BARBARA BUCHEGGER

„Aufhören, Ausreden zu finden!“ – das ist der letzte Satz ihres Buchs. Kommt gut an bei Lesern, die sich gerade fragen, wie sie mit drei Kindern, Gasrechnung und Inflation die nächste Woche überstehen.

Dass sie zur Abwendung der Klima-Apokalypse nicht länger den Morgenverkehr blockiert, belastet Hagen-Canaval nicht: „Wir haben alles gegeben“, sagt sie. „Meine Schuldigkeit ist getan, ich kann nachts gut schlafen, weil ich weiß, ich habe alles getan.“ Die meisten Österreicher vermissen ihr Engagement nicht.