Möglicherweise hat DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner rechtzeitig die Flucht angetreten. Im September kündigte er überraschend seinen Rücktritt bis Jahresende an – aus „privaten Gründen“, wie es hieß. Doch nur wenige Wochen später erschüttert ein handfester Eklat das Vertrauen in die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN): Ein Mitarbeiter soll geheime Informationen an die extremistische Muslimbruderschaft weitergegeben haben.

Der zeitliche Zusammenhang ist brisant – und wirft naheliegende Fragen auf: War der Skandal intern längst bekannt?

2021 präsentierte DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner (li.) mit dem damaligen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die neue Behörde – nun steht der Nachrichtendienst wegen eines Islamismus-Skandals neuerlich am Pranger.APA/GEORG HOCHMUTH

Der Maulwurf im Nachrichtendienst

Ein Maulwurf in den eigenen Reihen – der exxpress berichtete. Der enttarnte DSN-Mitarbeiter wurde als Spion der radikal-islamischen Organisation Muslimbruderschaft identifiziert, suspendiert und angezeigt. Die Ermittlungen laufen weiter. Angeblich soll der Mann ägyptischer Herkunft sein. Über ihn gelangten geheime Informationen an die Bruderschaft. Wochenlang wurde er beobachtet, nach einem Treffen mit der verfassungsfeindlichen Gruppierung schließlich gestoppt.

Von einer „unglaublichen Meldung“ spricht der deutsche Extremismus-Experte Ahmad Mansour: „Ein schwerer Verrat aus den eigenen Reihen – mitten in einer Zeit akuter Terrorgefahr“, kommentiert er.

Auch die Wiener Politikwissenschaftlerin Nina Scholz zeigt sich alarmiert: „Die Infiltration staatlicher Sicherheitsbehörden durch radikalislamische Organisationen ist ein massives Risiko für die nationale und europäische Sicherheit.“

Die Muslimbruderschaft: Infiltration als Strategie

Scholz verweist auf die ideologische Agenda der Muslimbruderschaft, die über ein weit verzweigtes Netzwerk in Europa und den USA verfügt. Deren erklärtes Ziel sei die schrittweise Islamisierung des Westens – durch Infiltration von Parteien, Institutionen und NGOs. „Europa soll durch den Marsch durch die Institutionen transformiert werden“, unterstreicht Scholz.

Die Bruderschaft hat im Lauf ihrer Geschichte auch mehrere terroristische Ableger gegründet – etwa die Hamas, erklärt die Politologin.

DSN unter Druck: Vertrauen verspielt

Das Innenministerium bemüht sich, zu beschwichtigen. Gegenüber dem exxpress heißt es: „Die internen Kontrollmechanismen, die im Zuge der Neuaufstellung der DSN 2021 implementiert wurden, haben gegriffen und maßgeblich dazu beigetragen, das Fehlverhalten aufzudecken.“

Der enttarnte Mitarbeiter habe keinen Zugriff auf nachrichtendienstliche Informationen gehabt, betont das Ministerium. Doch selbst diese Erklärung kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der Vorfall bringt die junge Behörde in schwere Bedrängnis – und weckt Zweifel an ihrer Funktionsfähigkeit.

Die DSN sollte Vertrauen schaffen – nun erschüttert ein Islamist in den eigenen Reihen Österreichs Nachrichtendienst. Doch schon zuvor verging kaum ein Jahr ohne Pannen.APA/AFP/ALEX HALADA

Vom BVT zum DSN: Ein Neuanfang, der keiner war

Die DSN wurde 2021 als Konsequenz aus den schweren Pannen beim Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020 gegründet. Damals geriet das alte Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) massiv in Kritik – es habe entscheidende Warnsignale übersehen. Unter Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wurde der Staatsschutz neu aufgestellt: Die DSN sollte politische Einflussnahme beenden und das Vertrauen in Österreichs Sicherheitsbehörden wiederherstellen.

Doch schon der Start verlief chaotisch. Zwei neu geschaffene Außenstellen hatten keine eigenen Büros, Beamte arbeiteten provisorisch von zu Hause – auf privaten Laptops. Offiziell sollten sie extremistisches Gedankengut im Netz beobachten, inoffiziell fehlte es an allem: Infrastruktur, Zugangssystemen, Koordination – der exxpress berichtete. Das war kaum die Verbesserung, die versprochen worden war.

Falsche Prioritäten und fragwürdige Auftritte

Statt auf die wachsende islamistische Bedrohung konzentrierte sich die DSN zu Beginn primär auf Corona-Protestgruppen – was selbst in islamistischen Kreisen mit Häme kommentiert wurde. Doch damit nicht genug.

2023 sorgte dann ein anonymes Interview eines DSN-Beamten im profil für Empörung: Darin forderte er, „Fake News“ unter Strafe zu stellen, was faktisch auf ein Ende der Meinungsfreiheit hinausgelaufen wäre. Das Innenministerium musste öffentlich dementieren. Ein kommunikativer Totalschaden, der Zweifel an der Kompetenz der Behörde verstärkte.

Personalchaos und Vertrauensverlust

Auch personell blieb die DSN instabil: Der Vize-Direktor David Blum verließ die Behörde bereits Anfang 2023 nach nur 14 Monaten. Der zweite Vize, Michael Lohnegger, wechselte 2024 ins Landeskriminalamt Steiermark. Und nun kündigte auch Direktor Haijawi-Pirchner selbst seinen Rücktritt an.

Drei Spitzenkräfte in drei Jahren – ein deutliches Zeichen struktureller Probleme. Gleichzeitig warnte die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper vor einem „Aderlass an Fachwissen“ und schleppendem Recruiting.

Das große Versprechen – und die bittere Realität

Schon 2015 hatte die Neue Zürcher Zeitung in einem ausführlichen Artikel („Im Schatten der Muslimbruderschaft“) auf Personen mit mutmaßlicher Nähe zur Bruderschaft in Österreichs Präventionsarbeit hingewiesen. Experten warnten damals vor dem „Bock-zum-Gärtner“-Effekt: Wer Islamismus bekämpfen will, darf keine Islamisten einstellen. Offenbar hat man auch im neuen Staatsschutz diese Lektion nicht gelernt.

Mit seinem Abtritt hinterlässt Omar Haijawi-Pirchner keinen starken Nachrichtendienst, sondern eine Behörde im Krisenmodus – überfordert, von Pannen gezeichnet und nun durch einen Islamismus-Skandal erschüttert. Eine schlechte Nachricht für Österreich.