
Kickl (FPÖ): „Die Wahrheit muss ans Licht – ÖVP wollte sechs Ministerien“
Er habe wochenlang geschwiegen, um die Koalitionsverhandlungen nicht zu gefährden, erklärte FPÖ-Chef Herbert Kickl am Mittwochabend. Doch jetzt müsse die Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren: Die ÖVP beharrte auf sechs Ministerien – weil sie die auch bei einem SPÖ-Kanzler immer bekam.

Herbert Kickl überraschte am Mittwochabend in seinem rund 45-minütigen Statement – unter anderem mit Lob für ÖVP-Bundesparteiobmann Christian Stocker. Im persönlichen Gespräch habe sich ein ganz anderes Bild ergeben als in der Öffentlichkeit, erklärte er. Ebenso würdigte er die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen – trotz ideologisch völlig unterschiedlicher Zugänge.
Dann jedoch folgte eine schonungslose Analyse der Koalitionsverhandlungen, die die ÖVP in keinem guten Licht erscheinen ließ. Dass Kickl die Schuld bei der Volkspartei sieht, war erwartbar – doch die Fülle an Details, die er preisgab, sorgte für Überraschung. Die Öffentlichkeit müsse, nach Wochen des Schweigens, nun erfahren, was wirklich geschehen ist, erklärte er dazu.
„Ich habe zuerst gedacht, das kann nicht ernst gemeint sein“
Kickl wiederholte zunächst eine zentrale Kritik: „Seit Anfang Februar wurde vor allem über Ministerien gesprochen – nicht über inhaltliche Differenzen. Die ÖVP wollte zuerst die Ressortfrage klären und erst danach über inhaltliche Fragen reden.“ Zwar habe man sich in einigen Punkten bereits geeinigt, doch anstatt die offenen Fragen zu lösen, habe sich die Volkspartei auf die Ressortverteilung konzentriert. „Ich habe mich diesem Wunsch gebeugt“, räumte Kickl ein, obwohl er ursprünglich zuerst die inhaltlichen Fragen klären oder zumindest parallel dazu verhandeln wollte. Denn hinter der Frage, wer welches Ressort erhält, stecke immer auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung.
In einem persönlichen Gespräch habe er daher ÖVP-Chef Christian Stocker direkt nach den konkreten Vorstellungen der Volkspartei gefragt. Die Antwort: Es gebe fünf Ministerien, die „ein absolutes Muss“ für die ÖVP seien – das Außenministerium, das Innenministerium, das Finanzministerium, das Wirtschaftsministerium und das Landwirtschaftsministerium. „Ohne das alles geht es für die ÖVP nicht.“ Später sei dann noch das Verteidigungsministerium dazugekommen.
EU-Agenden nur dann beim Kanzler, wenn er von der ÖVP ist?
Außerdem habe die ÖVP gefordert, dass ein freiheitlicher Bundeskanzler die EU-Kompetenzen abgeben müsse – jene Zuständigkeit, die unter Sebastian Kurz eigens ins Kanzleramt verlegt worden sei. „Mit anderen Worten: Was unter einem ÖVP-Kanzler ins Kanzleramt gewandert ist, soll ohne ÖVP-Kanzler wieder ins ÖVP-Außenministerium zurückkehren.“
Kickl zeigte sich darüber irritiert: „Ich habe zuerst gedacht, das kann nicht ernst gemeint sein, weil immer von Verhandlungen auf Augenhöhe und der Anerkennung von Wahlergebnissen die Rede war.“ Doch auf seine Nachfrage, warum das so sein müsse, habe Stocker schlicht geantwortet: „Das war schon immer so. In den Verhandlungen hat die ÖVP das von der SPÖ bekommen – und die SPÖ dafür den Kanzler.“
Kickl: Van der Bellen hat mich nie aufgefordert, auf das Sicherheitsressort zu verzichten
Die ÖVP müsse sich bewegen, habe er ÖVP-Chef Stocker unmissverständlich mitgeteilt, so Kickl. Daraufhin habe die FPÖ der Volkspartei einen Kompromiss vorgeschlagen: Zwei zentrale Ministerien – Finanzen und Inneres – für die FPÖ, während die ÖVP die übrigen drei Kernministerien behalten sollte. Doch die Volkspartei habe auf ihrer Maximalforderung beharrt: Alle fünf Ministerien plus das Verteidigungsministerium.
Überdies habe Bundespräsident Alexander Van der Bellen Wert darauf gelegt, dass die FPÖ kein Sicherheitsressort bekommt, sei ihm ausgerichtet worden, sagte Kickl. „Das hat mich sehr verwundert.“ In all seinen persönlichen Gesprächen mit dem Bundespräsidenten sei das nie zur Sprache gekommen. „Hätte er das getan, hätte ich ihm sofort gesagt, dass ich ihm den Auftrag zur Regierungsbildung zurückgebe.“ Finanz- und Innenministerium waren von Anfang die zwei zentralen Ministerien, auf die Kickl wegen des Wahlprogramms nicht verzichten wollte.
Dann zog Kickl einen Vergleich zur vorigen Regierungsbildung: „Was heißt das jetzt eigentlich? Die Volkspartei wollte dieselben Ministerien für sich behalten, die sie 2019 mit den Grünen bekommen hat – nur damals als Wahlsieger.“ Die FPÖ hingegen solle sich mit dem Kanzlerposten begnügen – „ohne EU-Kompetenzen.“ Auch auf das Justizministerium, das bei den Grünen verblieben wäre, hätte die FPÖ verzichtet, da hier „eine neutrale Person sinnvoll ist.“
Neuer Vorschlag mit mehr Ministerien für die ÖVP
Herbert Kickl wandte sich direkt an die anwesenden Journalisten: „Sehen Sie da nicht ein gewisses Ungleichgewicht?“ Und weiter: „Wer hat hier eigentlich ein Problem mit Machtdenken?“
Die FPÖ habe der ÖVP schließlich ein neues Angebot unterbreitet – mit einem Übergewicht an Ministerien für die Volkspartei: Sieben Ministerien für die ÖVP, nur sechs für die FPÖ. „Nur auf Finanzen und Inneres konnten wir nicht verzichten, weil sie der Schlüssel für Schuldenabbau und einen klaren Kurs in Sicherheitsfragen sind.“
Auch beim Finanz- und Innenministerium der ÖVP entgegengekommen
Auch beim Innenministerium sei die FPÖ der ÖVP entgegengekommen. Da die Geheimdienste ein heikles und sicherheitsrelevantes Thema seien, hätten die Freiheitlichen vorgeschlagen, „diesen Bereich in die Hände eines unabhängigen Staatssekretärs zu legen“. Die FPÖ habe dem Bundespräsidenten „eine ganze Liste von starken, kompetenten und in der Öffentlichkeit bekannten Persönlichkeiten vorgelegt – allein aus staatspolitischer Verantwortung, frei von politischer Einflussnahme.“ Doch dieser Verzicht auf politische Einflussnahme müsse „auch für die Volkspartei gelten“.
Beim Finanzministerium sei die FPÖ ebenfalls kompromissbereit gewesen. Sie habe jene Experten vorgeschlagen, die bereits bei der Verhinderung des EU-Defizitverfahrens eng mit der ÖVP zusammengearbeitet hatten – Personen, die bestens mit der Volkspartei harmonierten.
Doch die ÖVP habe tagelang überlegt – ohne Ergebnis. „Keine Bewegung auf Seiten der ÖVP.“
Auch weitere Zugeständnisse reichten nicht
Also sei die FPÖ einen weiteren Schritt auf die Volkspartei zugegangen: „Wenn die EU-Agenden so wichtig sind, dann verlagern wir sie in den Bereich der österreichischen Volkspartei.“ Doch plötzlich habe die ÖVP darauf bestanden, dass auch der Bereich Medien nicht mehr im Kanzleramt angesiedelt sein dürfe. Kickl weiter: „Ich bin der ÖVP wieder entgegengekommen – auch Kunst und Kultur hätte sie übernehmen können.“
Doch bei den Themen Asyl, Sicherheit und Migration sei für die FPÖ keine Verhandlung möglich gewesen. „Diese Schlüsselbereiche wollte die ÖVP aber um keinen Preis hergeben.“ Dabei hätte die Volkspartei mit diesem Kompromiss ohnehin die Kontrolle über sämtliche wirtschaftlichen Kernressorts behalten: Wirtschaft, Energie, Landwirtschaft, ländlicher Raum, Standortpolitik, öffentlicher Dienst, Beamte, Bildung, Wissenschaft, Soziales – alles obendrauf.
„Und was die Sicherheitskompetenz betrifft – die ÖVP hat ohnehin ihren Mann in der EU-Kommission“, meinte Kickl mit Blick auf Ex-Finanzminister Magnus Brunner, der in Brüssel nun für Migration zuständig ist. Es sei daher „nicht unbotmäßig, wenn die FPÖ sagt: Wenigstens Inneres und Finanzen bleiben bei uns.
Kickl: Gespannt, ob SPÖ als zweite diese sechs Ministerien kriegt
Der letzte Vorschlag der ÖVP, ein eigenes Asyl- und Migrationsministerium zu schaffen, sei „unbrauchbar“ gewesen, so Kickl. „Er hätte auf eine Teilung des Innenministeriums hinausgelaufen, die dazu führt, dass die Aufgaben dort gar nicht oder nur schlechter erledigt werden. Uns geht es um eine Verbesserung, nicht um eine Zersplitterung.“
Abschließend betonte Kickl: „Ich glaube, es ist notwendig, das alles einmal öffentlich zu sagen. Ich habe wochenlang geschwiegen, weil ich keine Irritationen in die Verhandlungen bringen wollte.“ Er finde es bemerkenswert, dass offenbar einige glaubten, „dass es Ministerien gibt, die so etwas wie Eigentum sind“. Jeder solle sich selbst fragen, „warum die ÖVP mit solcher Akribie auf dem Innenministerium beharrt“.
Nun müsse die ÖVP ihren Mitgliedern, den Bünden und den Wählern erklären, warum sie trotz zahlreicher freiheitlicher Zugeständnisse nicht bereit war, in anderen wichtigen Ressorts die Federführung zu übernehmen.
Auf den Hinweis, dass diese Ministerien nun der SPÖ zustünden, reagierte Kickl mit Blick auf die erwarteten neuen Koalitionsgespräche zwischen SPÖ und ÖVP süffisant: „Da bin ich aber gespannt, ob die SPÖ das bekommt.“ Denn wenn die Sozialdemokraten Juniorpartner würden, müssten sie konsequenterweise ebenfalls die sechs Ministerien erhalten, die zuvor die ÖVP für sich beansprucht hatte.
Die anderen Parteien werden Neuwahlen verhindern, vermutet Kickl
Kickl befürchtet, „dass sich die anderen Parteien erneut zusammenschließen, um Neuwahlen zu verhindern und den Zuwachs der FPÖ zu stoppen.“ Ob bereits Parallelverhandlungen laufen, könne er nicht sagen. Von der FPÖ gebe es dazu keine Signale. „Das habe ich zurückgestellt.“
„Wenn es so kommt, wie ich vermute, geht das vielleicht eine Zeit lang gut. Aber eines ist sicher: Österreich und seine Bevölkerung werden weiter Schaden nehmen.“ Statt eines „uralten Regierens“ brauche es endlich eine „neue Dynamik.“
Kickl beschwört Aufbruch in bessere Zukunft – aber es werde wohl noch dauern
Er sei überzeugt, dass es jetzt „klare Verhältnisse für einen klaren Kurs braucht – statt des politischen Patts, mit dem wir konfrontiert sind. Die Wiederkehr des Immergleichen, ein ‚Weiter so‘, ist keine Zukunftsstrategie.“ Die Welt stehe vor neuen Herausforderungen. „Österreich braucht ein klares Ziel: den Aufbruch in eine bessere Zukunft – eine Ära der Freiheit, des Friedens und des Wohlstands.“
Kickl setzt darauf, dass die Bevölkerung bei Neuwahlen „klare Verhältnisse“ schafft, denn es müsse sich Grundlegendes ändern. „Die alten Wege haben zu desaströsen Ergebnissen geführt, unter denen die Österreicher täglich leiden.“ In der Finanzpolitik brauche es ein neues Mindset: „Schluss mit immer neuen Schulden, Leistung muss sich lohnen, Investitionen müssen sinnvoll sein.“ Die Staatsbürgerschaft sei ein hohes Gut, aber „Asyl darf keinen Zugang dazu bieten – genauso wenig wie zum Sozialsystem.“
Der Staat müsse Freiräume schaffen und dürfe den Einzelnen nicht behindern. „Bürger sind keine Untertanen!“ Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und der Kampf gegen Zensur seien zentrale Anliegen. Ein gesunder österreichischer Patriotismus sei gefragt – auch in Bezug auf die EU. „Denn wir sind keine Filiale einer Brüsseler Konzernzentrale!“
Er bekenne sich zu einem pro-europäischen Kurs, „aber nicht zur Unterwerfung unter die Vorgaben der EU-Institutionen.“ Es gebe eine politische Pflicht, auch einmal Nein zu sagen, wenn es notwendig sei.
Sein Fazit: „Es geht nicht darum, der erste freiheitliche Bundeskanzler Österreichs zu sein. Sonst hätte ich unzählige Gelegenheiten gehabt, das zu erreichen.“ Seine Vorbilder seien nicht Gusenbauer und Faymann.
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