„Es ist gar nicht so sehr das Delikt selbst, oder auch die Strafdrohung, es ist viel mehr der unglaubliche Aufwand, der hier betrieben wird, das Vorgeführtwerden“.

Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz möchte nicht abrechnen. Das sei nicht sein Ziel, sagt er während der Pressekonferenz am Dienstagvormittag in den Räumlichkeiten seines Unternehmens SK Management GmbH. Doch der am Montag nach vier Jahren andauerndem Strafprozess Freigesprochene übt Kritik: an der „politischen Kultur“, an der „Verhältnismäßigkeit der Verfahrensführung“.

Kurz: „Wir haben ein systemisches Problem“

„Ich glaube, dass wir ein systemisches Problem haben“, sagt Kurz in Richtung Politik. Er spricht von einer „Schieflage“, mit der man sich kritisch auseinandersetzen müsste. „Wir erleben mittlerweile in Österreich mehr und mehr eine politische Kultur, wo es nicht mehr um den Wettbewerb der besten Ideen geht, sondern wo es um den nächsten Skandal und die nächste Anzeige geht“, erklärt der ehemalige Bundeskanzler. Der politische Gegner werde mit Anzeigen geschlagen, anstatt mit guten Ideen. Das führe zu einer „Verarmung der politischen Debatte“ und zu einem „unangenehmen Klima in der Politik“. Darüber hinaus zerstöre es das Vertrauen der Menschen in die Politik.

Sebastian Kurz stellt die Ausgewogenheit bei der Führung von Ermittlungsverfahren gegen Politiker infrage. „Nicht jede Anzeige und politisch motivierte Anschuldigung sollte wie ein Heißluftballon aufgeblasen werden zu einem gigantischen Verfahren, dass man am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“, so Kurz.

„Belastende Zeit“: Der Ex-Kanzler wird persönlich

Sein Fall umfasste 12 Verhandlungstage im Schwurgerichtssaal, „wo sonst Mörder und Schwerverbrecher sich verantworten müssen“, 30 geladene Zeugen und um die 10.000 Medienberichte national und international. Der Unternehmer erzählt, wie es ihm persönlich mit der Verurteilung ging: Er habe das Glück gehabt, durch „10 Jahre Spitzenpolitik für das Strafverfahren gerüstet zu sein psychisch“. Trotzdem: Die letzten vier Jahre seien für ihn eine „belastende Zeit“.  Er sei „sehr, sehr dankbar“ für seine „privilegierte Situation“: Er habe die Unterstützung seiner Familie und Freunde.

Eine Rolle spielen auch die Finanzen: „Ich hatte das Glück, Unternehmer zu sein. Wer Angestellter oder Beamter ist, der verliert seinen Job und findet im Regelfall auch keinen mehr, ganz gleich, wie es am Ende ausgeht.“ Oft bleiben in solchen Fällen zerstörte Karrieren, zerstörte Familien und psychische Schäden zurück.

„Menschen haben Gefühl, die Masse der Politiker sind Lügner“

Kurz holt mit seiner Kritik aus: In den letzten Jahren sei der Eindruck erweckt worden, dass drei der letzten fünf Finanzminister – Josef Pröll, Hartwig Löger, Gernot Blümel, alle von der ÖVP – korrupt seien. „Was macht denn das für ein Gefühl bei den österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die bis zu 50 Prozent von ihrem Einkommen abliefern, dass der oberste Verantwortungsträger in diesem Bereich wahrscheinlich korrupt ist?“, so Kurz.

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Der Unternehmer denkt, dass „Rechtsstaat und Demokratie leiden“, wenn Ermittlungsverfahren zu oft und zu lange betrieben werden – mit dem Ergebnis, dass die Ermittlungen am Ende eingestellt werden. Die Bevölkerung wüsste in diesen Fällen nicht mehr, was sie glauben soll. „Es kann nicht im Interesse unseres Landes sein, dass die Menschen das Gefühl haben, die Masse der Politiker sind Lügner oder korrupt“, so Kurz.

Auf die Frage eines Journalisten, ob er und die ÖVP alles richtig gemacht haben zu seiner Zeit als Bundeskanzler, antwortet Sebastian Kurz: „Wir haben vieles richtig und einiges falsch gemacht.“