
Lehrer dringend gesucht: Blockiert Wien Quereinsteiger?
Sie haben ein anspruchsvolles Auswahlverfahren durchlaufen, gelten als hochqualifiziert – und scheitern dann an einem Mausklick: Ein Beamter in der Wiener Bildungsdirektion müsste sie nur im Bewerbungsportal freigeben. Doch in Wien geschieht das offenbar nicht. Von mehreren Fällen hat der exxpress erfahren. Die Bildungsdirektion schweigt.
Das Auswahlverfahren ist mehrstufig und streng: Bewerber laden ihre Unterlagen (Dokumente und ein Bewerbungsvideo) über die Plattform KlasseJob.at hoch. Wer fachlich geeignet ist, wird anschließend zu einem psychometrischen Online-Test geladen – mit Fragen zu Persönlichkeit und kognitiven Fähigkeiten. Wer auch diesen besteht, stellt sich anschließend einem strukturierte Interview mit zwei oder drei Prüfern. Nur 45 Prozent der Bewerber bestehen das Verfahren und erhalten anschließend das Zertifikat. Aber danach steht dem regulären Schuleinsatz samt berufsbegleitender Ausbildung eigentlich nichts mehr im Weg.
Doch: Gerade in Wien berichten zertifizierte Bewerber, dass sie trotz offener Stellen nicht zum Zug kommen – weil ihre Bewerbungen im System nicht auftauchen. Ein Betroffener schildert dem exxpress: „Ich war mit mehreren Direktoren bereits in Kontakt, hielt sogar Probestunden. Sie hätten mich gerne genommen, doch dann berichteten sie mir: Wir konnten dich im Portal gar nicht sehen.“
„Wenn das so ist, ist das ein starkes Stück“
Prof. Dr. Andreas Schnider, Vorsitzender der Zertifizierungskommission im Bildungsministerium, zeigt sich im Gespräch mit dem exxpress höchst irritiert: „Unser Auswahlverfahren ist strenger als beim Lehramt. Wer aber zertifiziert ist, der ist auch geeignet. Die Direktionen müssen im Portal sehen können, wer sich beworben hat und das Verfahren bestanden hat.“
Erst durch die jüngsten Fälle, so Schnider, sei ihm bewusst geworden, dass kein Automatismus besteht: „Mir war nicht klar, dass zertifizierte Bewerber für Direktoren im System gar nicht aufscheinen, solange sie nicht aktiv von einem Beamten in der Bildungsdirektion freigeschaltet werden.“ Der Vorgang sei eigentlich eine reine Formalität – aber offenbar ist er ein Nadelöhr.
Verletzung der Schulautonomie
Ebenso schwer wiegt für Schnider ein anderer Punkt: „Die schulische Autonomie wurde 2017 massiv gestärkt. Wenn nun Bewerber trotz Zertifizierung im Portal nicht sichtbar sind, wird diese Autonomie unterlaufen.“
Tatsächlich erhielten Schulen durch das Bildungsreformgesetz 2017 deutlich mehr Freiheiten bei der Auswahl und Zusammensetzung ihres Lehrpersonals – die Entscheidung über neue Lehrkräfte soll also bei den Schulleitungen liegen, nicht bei der Verwaltung. Nur die Direktoren kommen überhaupt nicht zum Zug, wenn die Verwaltung die Bewerber nicht freischaltet.
Rechnungshof: Projekt gut, Umsetzung lückenhaft
Der Rechnungshof nahm das Projekt „Klasse Job“ für Quereinsteiger im Frühjahr 2025 unter die Lupe – mit einem differenzierten Ergebnis: Er lobte das Programm grundsätzlich als wichtiges Instrument gegen den Lehrermangel, kritisierte aber die unklare rechtliche Verbindlichkeit der Zertifikate, die hohe Drop-out-Quote und Kosten von über 600.000 Euro.
Er empfahl daher, „sicherzustellen, dass sich zertifizierte Personen vermehrt bewerben und langfristig als Lehrerinnen und Lehrer tätig werden“ – und mahnte eine kosteneffiziente Umsetzung an. Auch die Sicherstellung der Unterrichtsqualität solle im Zentrum stehen.
Brisant: 5.012 Personen bewarben sich im Schuljahr 2023/24, 2.426 wurden zertifiziert, aber nur 696 kamen tatsächlich zum Einsatz.

Schulen wollen – aber Bildungsdirektion bremst
Laut exxpress-Recherchen kam es in Wien mehrfach zu Fällen, in denen Direktoren zertifizierte Quereinsteiger einstellen wollten – doch im System schlicht niemanden fanden. Bewerber berichteten von wochenlangem Schweigen auf ihre Unterlagen. Ein Betroffener berichtete, dass er das Problem anschließend in Niederösterreich nicht hatte und dort sofort angestellt wurde. Eine Quelle meint: „In anderen Bundesländern reißen sich die Schulen um zertifizierte Quereinsteiger – nur Wien blockiert.“
Bildungsdirektion Wien reagiert nicht auf Anfrage
Der exxpress hat die Bildungsdirektion Wien mit den Vorwürfen konfrontiert. Die Redaktion fragte unter anderem: Wie stellt die Bildungsdirektion Wien sicher, dass zertifizierte Quereinsteiger gleichbehandelt und ihre Bewerbungen ordnungsgemäß an Schulen weitergeleitet werden?
Doch bis Redaktionsschluss blieb die Anfrage unbeantwortet.
Zertifizierte scheitern – Unqualifizierte werden angestellt
Besonders brisant: Während zertifizierte Quereinsteiger offenbar blockiert werden, steigt gleichzeitig die Zahl der sogenannten Sonderverträge – also Lehrer ohne Zertifizierung oder abgeschlossene Ausbildung. Laut Schnider machen diese mittlerweile 30 Prozent aller Neuanstellungen aus. Nur 20 Prozent sind zertifizierte Quereinsteiger, 50 Prozent kommen vom klassischen Lehramt.
Schnider betont abschließend: „Ich bin selbst Lehrer – für mich sind qualifizierte Quereinsteiger eine Bereicherung. Das ist eine wunderbare Ergänzung für das Schulsystem.“ Der exxpress bleibt dran – und dokumentiert weitere Fälle.
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