Was wie ein bürokratischer Vorgang im Pentagon wirkt, ist in Wahrheit ein strategisches Signal: Die USA setzen neue Prioritäten. Die Ukraine rückt nach hinten, Europa soll übernehmen. Nicht durch einen Tweet – sondern durch das, was nicht mehr geliefert wird.

Ein Mann – Elbridge Colby, Architekt der „America First“-Sicherheitsstrategie – leitete eine Munitionsprüfung ein und löste damit einen Kurswechsel aus, der nun weltweit spürbar wird. Nicht als Alleingang, aber mit dem stillen Segen des Präsidenten. Damit ist die klassische Sicherheitskoordination der USA blockiert. Waffenlieferungen stocken, Partner wurden nicht informiert.

Europa versucht nun verzweifelt, das entstehende Vakuum zu füllen – diplomatisch, finanziell, militärisch. Ein neuer Realitätstest für den Westen.

Patriot-Systeme sind die Lebensversicherung für Kiew – doch Trumps Waffenstopp lässt sie knapp werden.APA/AFP PHOTO/IDF

Machtverschiebung im Pentagon: Wer stoppt die Waffen – und warum?

Die Entscheidung, zentrale Waffenlieferungen an die Ukraine zu pausieren, kam nicht aus dem Oval Office – sondern aus einem Büro im Pentagon. Elbridge Colby, Unterstaatssekretär für Verteidigungspolitik, gilt als Architekt des strategischen Schwenks: weg von Europa, hin zu China, Iran und dem Indo-Pazifik.

Colby leitete eine interne Überprüfung der US-Munitionsvorräte. Ergebnis: Die Bestände seien kritisch – insbesondere bei Patriot-Systemen, Stinger- und Hellfire-Raketen, die für die ukrainische Luftabwehr überlebenswichtig sind. Politico berichtet: „Der Stopp wurde maßgeblich durch Colby und einen kleinen Beraterkreis veranlasst – aus Sorge, dass die Vorräte gefährlich schrumpfen.“

Elbridge Colby (r.) – Architekt der „America First“-Strategie – leitete im Pentagon die Waffenprüfung ein, die nun Europas Sicherheitsarchitektur erschüttert.APA/AFP/Brendan SMIALOWSKI

„Wir haben keinen Nationalen Sicherheitsberater mehr“

Das ließ auch in Washington die Alarmglocken läuten. Der Schritt wurde weder mit dem Kongress noch mit der US-Botschaft in Kyjiw oder NATO-Partnern abgestimmt, beklagten prominente Stimmen aus dem Repräsentantenhaus. Adam Smith (Demokrat) erklärte: „Ich wurde völlig überrumpelt – diese Regierung kommuniziert überhaupt nicht mit uns.“ Auch Michael McCaul (Republikaner, Texas) meint: „Ich glaube, das Ganze wurde von Colby entschieden. Wir haben im Grunde keinen Nationalen Sicherheitsberater mehr.“

Selbst Waffen, die bereits in Polen zur Übergabe bereitstanden, wurden überraschend zurückgehalten.

EU-Spitzen ringen um neue Sicherheitsordnung. Im Bild: EU-Ratspräsident António Costa (l.) und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (r.) empfangen Wolodymyr Selenskyj in Brüssel.APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Das Weiße Haus widerspricht – und verteidigt Colby

Die Trump-Regierung stellt sich hinter Colby. Pentagon-Sprecher Sean Parnell betont: „Diese ganze Darstellung ist komplett falsch. Unterstaatssekretär Colby, wie jeder Unterstaatssekretär vor ihm, unterbreitet regelmäßig politische Empfehlungen an den Verteidigungsminister und den Präsidenten.“ Der von Colby geleitete Prüfrahmen sei von Verteidigungsminister Pete Hegseth und vom Weißen Haus genehmigt worden: „Ziel ist es, die militärische Einsatzbereitschaft der USA zu erhalten und unsere America First-Agenda zu stützen.“

Colby selbst erklärt: „Das Verteidigungsministerium bietet dem Präsidenten weiterhin robuste Optionen zur Fortsetzung der Hilfe für die Ukraine an. Die Darstellung interner Konflikte ist ein Versuch, eine Spaltung zu konstruieren, die nicht existiert.“ Auch Präsident Trump äußerte sich auf dem NATO-Gipfel in Den Haag: „Sie [die Ukraine] wollen diese Anti-Raketen-Raketen … Wir werden sehen, ob wir welche verfügbar machen können. Sie sind sehr schwer zu bekommen.“

Zwischen den Zeilen wird klar: Die USA ziehen sich nicht vollständig zurück – sie setzen neue Prioritäten. Europa soll mehr Verantwortung übernehmen.

Elbridge Colby (l.): Im Pentagon formt sich die Wende – weg von Europa, hin zu eigenen Prioritäten.APA/AFP/Brendan SMIALOWSKI

Geheimer Deal? Deutschland bittet Trump um Patriot-Rettung

Die Lage ist ernst. Laut Bild arbeitet die Bundesregierung fieberhaft an einer Notlösung – und hofft auf einen geheimen Patriot-Deal mit Donald Trump. Zwei Patriot-Systeme aus US-Beständen sollen über Deutschland an die Ukraine gehen – bezahlt von Berlin.

Die Anfrage liegt seit Wochen bei US-Verteidigungsminister Pete Hegseth – bislang ohne Antwort. Zuvor hatte Kiew vergeblich versucht, direkt in den USA zu kaufen. Die Bild erfuhr aus Regierungskreisen: „Die weggefallenen Waffen aus den USA können nicht kompensiert werden.“

Patriot-Deal unter vier Augen? Kanzler Friedrich Merz im Gespräch mit US-Präsident Trump beim NATO-Gipfel.APA/AFP/POOL/Ludovic MARIN

Russland jubelt – Europa zögert

Der Kreml wertet die US-Pause als strategischen Sieg. Kremlsprecher Dmitri Peskow: „Diese Entscheidung wird die Verhandlungen näherbringen.“

Doch militärisch spricht alles dagegen: Russland intensiviert seine Luftangriffe – offenbar mit dem Ziel, die ukrainischen Patriot-Bestände auszubluten. Bild berichtet: „In Sicherheitskreisen wird vermutet, dass die russischen Luftangriffe gezielt darauf abzielen, die letzten Patriot-Raketen aufzubrauchen.“

Kremlsprecher Dmitri Peskow: In Moskau beobachtet man Trumps Patriot-Stopp mit Genugtuung.APA/AFP/POOL/Gavriil GRIGOROV

Dänemark warnt: Jetzt ist Europa gefragt

Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen sagte bei einem Treffen mit Selenskyj: „Wenn es Lücken gibt, müssen wir bereit sein, sie zu füllen.“

Die EU plant Milliarden für gemeinsame Waffenbeschaffung bereitzustellen. Doch viele Staaten zögern – oder können sich eine Führungsrolle schlicht nicht leisten. Ursula von der Leyen betont: „Russlands überhitzte Kriegswirtschaft kommt an ihre Grenzen. Wir müssen den Druck erhöhen, damit Putin an den Verhandlungstisch kommt.“

Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen fordert ein stärkeres Europa nach Trumps Rückzug.APA/AFP/JOHN THYS

Selenskyj: „Europa hat nicht, was wir brauchen“

Wolodymyr Selenskyj sprach in Dänemark offen über die dramatische Lage: „Wir zählen auf amerikanische Unterstützung. Europa hat bestimmte Waffen einfach nicht. Patriot ist entscheidend.“

Gleichzeitig betonte er die Fortschritte bei der EU-Annäherung – doch Ungarn blockiert weiterhin.

Selenskyj ringt nach Trumps Rückzug um Rückhalt und Europas Entschlossenheit – und hofft weiterhin auf US-Waffen.APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Die „Stunde Europas“ – oder doch der Anfang vom Ende?

Diese Waffenpause ist kein technischer Vorgang – sie ist ein geopolitisches Signal: Die USA definieren ihre Rolle neu – leise, aber konsequent. Nicht als Rückzug, sondern als Umverteilung der Verantwortung.

Auch wenn das Weiße Haus den Medienberichten widerspricht: Elbridge Colby ist der strategische Kopf dieser Wende – nicht als Einzelgänger, aber als zentraler Impulsgeber, mit Rückendeckung der Trump-Regierung. Das bedeutet nicht das Ende der Ukraine-Hilfe – aber das Ende der alten Ordnung.Der Historiker Prof. Jan C. Behrends (Europa-Uni Viadrina) kommentiert: „Der Rückzug der Amerikaner ist die Stunde Europas.“

Symbol westlicher Luftverteidigung: Patriot-Systeme wurden schon im Irak-Krieg eingesetzt, heute sind sie entscheidend für die Ukraine.APA/AFP/ANP/ROBERT VOS

Europa muss sich nun auf eigene Beine stellen – bei Waffen, bei Diplomatie, bei Strategie. Doch eine zentrale Frage bleibt: Gibt es überhaupt ein gemeinsames europäisches Interesse? Viktor Orban ist der lauteste Kritiker eines aggressiven Anti-Russland-Kurses – aber nicht der einzige. Noch fragwürdiger ist, ob ausgerechnet die EU, die ursprünglich gar nicht für militärische Beschaffung geschaffen wurde, der richtige Hebel für diese Zeitenwende ist.

Eines steht fest:  Die Welt von gestern ist vorbei. Ein Beamter im Pentagon löst ein Erdbeben aus – und Europa steht vor der größten sicherheitspolitischen Herausforderung seit Jahrzehnten.