Wenn der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck darüber spricht, wie intellektuell und gebildet er ist, spart er nicht mit großen Worten. „Kant hat mir die Kritik beigebracht und Camus den Zweifel“, lässt er die Öffentlichkeit wissen.

„Vielleicht liegt es daran, dass ich zu viel Hegel gelesen habe, aber ich glaube fest daran, dass es hinter einer scheinbar zufälligen und zusammenhanglosen Reihe von Ereignissen oft eine gemeinsame Erklärung gibt“, lautet eine von Habecks zahllosen Selbstbeweihräucherungen, die sagen sollen: Mit ihm habe man es nicht mit einem 08/15-Politiker mit pragmatischem (Aus-)Bildungshintergrund zu tun, sondern mit einem neuartigen Politikertypus – geerdet in den Tiefen europäischer Geistesgeschichte.

Habeck inszeniert sich als Politiker, der darüber hinaus auch sattelfester Intellektueller ist: eine Ausnahmeerscheinung, die in der profanen Sphäre des politischen Betriebs genauso daheim ist wie in der tiefgründigen Welt der großen Ideen. So hat es Habeck erfolgreich bis ganz nach oben geschafft.

Stuttgarter Zeitung/FAZ/Screenshot

„Quellenarbeit Robert Habecks ist verfehlt“

Er pflegt dieses Image bis heute: Bei einem Bühnengespräch mit Michel Friedman gab er im Oktober vergangenen Jahres im Berliner Ensemble gar einen „intellektuellen Imperativ“ heraus, wie die Faz berichtete. Am „kategorischen Imperativ“ Kants orientiert, mit dem dieser Philosophiegeschichte schrieb, forderte Robert Habeck ein geistiges Niveau für Deutschland, für das er die intellektuelle Messlatte setzte. An ihr sei dann auch er zu messen.

NIUS hatte Robert Habeck im Vorfeld angefragt und ihn mit den noch nicht veröffentlichten Recherche-Ergebnissen konfrontiert. Am Montagmorgen hat er – noch vor Veröffentlichung dieses Artikels – eine Stellungnahme per Video auf X veröffentlicht. Darin erhebt er Vorwürfe, die am Ende dieses Berichts genannt und entkräftet werden.

Was wird Habeck konkret vorgeworfen?

Nicht vereinzelt, sondern systematisch erzeugte er den Eindruck, Werke, Aufsätze und Denker im Original gelesen zu haben, ohne dies im Rahmen seiner Dissertation getan zu haben. Bemerkt hat das der Plagiatsgutachter und Privatdozent Dr. Stefan Weber, der bereits Annalena Baerbock Plagiate nachweisen konnte, was seinerzeit dazu beitrug, dass diese an ihrer Kanzlerkandidatur scheiterte.

Stefan Weber ist Privatdozent und Plagiatsgutachter.plagiatsgutachten.com/plagiatsgutachten.com

Über Habeck urteilt Weber nun: „Es finden sich in der Dissertation von Robert Habeck mannigfaltige Quellen- und Zitatsplagiate sowie Textplagiate. Die Quellenarbeit von Robert Habeck ist in Summe als verfehlt und unwissenschaftlich zu bezeichnen.“

plagiatsgutachten.com/Stefan Weber/Screenshot

Quellenplagiat im großen Stil

Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen sogenannte Quellenplagiate, eine Unterkategorie des Plagiats. Nur vereinzelt geht es um ungekennzeichnete Übernahmen fremden Gedankenguts durch gleichlautende Textpassagen. Plagiiert wird beim Quellenplagiat die Recherchearbeit eines Wissenschaftlers, indem dessen Literaturangaben übernommen werden.

Die Medizinische Universität Wien schreibt: „Es dürfen nur jene Quellen zitiert werden, die auch selbst gelesen wurden. Das Zitieren von Inhalten samt Referenzen aus einer anderen Quelle (z.B. aus einem Buch oder einem Review), ohne sich mit diesen Primärquellen inhaltlich auseinandergesetzt zu haben, ist nicht statthaft“, heißt es unter der Überschrift „Die wichtigsten Plagiatsthemen im Überblick“. Ein Leitfaden zum Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten der medizinischen Universität Wien definiert das Quellenzitat so: „Referenzen werden direkt aus einer Quelle ‚mitgenommen‘, ohne sich aber selbst mit diesen inhaltlich auseinandergesetzt zu haben. Die eigentlich verwendete Quelle wird verschwiegen, dadurch wird eigene Rechercheleistung vorgetäuscht.“

Eben dies hat Habeck im großen Stil getan.

Hauptvorwurf: „Der Anschein von Gelehrsamkeit“

Um zu veranschaulichen, worin die Täuschung besteht: Man stelle sich vor, wie ein angehender Geisteswissenschaftler vier Bücher aus der Sekundärliteratur zur Hand nimmt, also Bücher von Wissenschaftlern, die Arbeiten über bekannte, herausragende Denker und Theoretiker geschrieben haben, die zur Primärliteratur gezählt werden. Aus diesen vier Büchern zitiert er wiederum zwanzig darin zitierte Bücher berühmter Philosophen: fünf von Kant, fünf von Hegel, fünf von Adorno und fünf von Heidegger. Wenn er nun ehrlich und wissenschaftlich vorginge, tauchten in seinem Literaturverzeichnis lediglich vier Literaturquellen auf. Denn: „Das Literaturverzeichnis enthält nur die Literatur, die auch tatsächlich verwendet wurde“ (Uni Bayreuth). Macht er sich hingegen sogenannter Quellenplagiate schuldig, listet er zwanzig verschiedene Literaturangaben hochkarätiger Denker, die sich zu den vier Sekundärquellen gesellen.

Während in Wahrheit nur vier Bücher gelesen wurden, suggeriert das Literaturverzeichnis einen imposanten Bücherstapel von 24 Werken. Der Leser wird im Irrglauben gehalten, der Autor hätte sich unter großen Mühen durch die wissenschaftliche Literatur gearbeitet – während der tatsächliche Aufwand um ein Vielfaches geringer ausfiel. Der Leser wird demnach – im Bruch mit geltenden Regeln wissenschaftlichen Arbeitens – getäuscht.

Mit Fokus auf solche Quellenplagiate nahm Weber Habecks Dissertation unter die Lupe. Im Ergebnis wirft der Plagiatsgutachter dem grünen Kanzlerkandidaten den „Anschein von Gelehrsamkeit“ vor. Habeck habe etwa französische Denker wie Roland Barthes, Jean Baudrillard und Jaques Derrida, den deutsch-jüdischen Philosophen Walter Benjamin, den Gründer der Psychoanalyse Sigmund Freud sowie andere zum Wissenschaftskanon zählende Größen der Ideengeschichte „nicht gelesen bzw. als Originalquellen konsultiert“ – aber so getan, als hätte er es.

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Drei Beispiele

Wie aber ist Weber Habeck auf die Schliche gekommen? Habecks unredliche Vorgehensweise fällt nur bei Unvorsichtigkeit auf, etwa wenn Zitierfehler übernommen werden.

Zitiert Kant, schreibt in Wahrheit von Borsche ab

1. In folgendem Beispiel hat Habeck ein Zitat von Kant bei dem emeritierten Professor für Philosophie, Tilman Borsche, abgeschrieben. Links sieht man die Textstelle in Habecks Dissertation, rechts die Sekundärquelle, aus der er zitierte, ohne dies auszuweisen, unten rechts die Originalstelle bei Kant, die sich in der Satzstellung vom abgeschriebenen Zitat unterscheidet.

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Zitiert Derrida, in Wahrheit aber US-Literaturwissenschaftler

2. Im nächsten Beispiel kopiert Habeck in der Literaturangabe eine falsche Schreibweise; der Ort Cerisy schreibt sich ohne Accent aigu. So etwas passiert leicht einem Amerikaner wie Jonathan Culler, nicht aber dem Franzosen Jaques Derrida.

Habeck greift einen Gedanken Derridas auf, den der amerikanische Autor in eigenen Worten wiedergab. Statt auf den Literaturwissenschaftler zu verweisen, der sich die Mühe gemacht hatte, Derrida im Original zu lesen, verweist Habeck beim Zitieren direkt auf den französischen Philosophen, womit er die intellektuelle Vorarbeit Cullers unsichtbar macht.

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Bezeichnend ist, dass Habeck sehr wohl weiß, was die wissenschaftlich korrekte und ehrliche Zitierweise wäre. An anderen Stellen macht er transparent, die Originalzitate „übernommen“ zu haben. Daher fragt Weber, warum er es dann nicht grundsätzlich so gemacht habe.

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Habeck verrät Sekundärquelle

3. Ein letztes Beispiel: Habeck verrät sich hier, indem er die ungewöhnliche, aus nicht einsehbaren Gründen vorgenommene Zitierweise der Sekundärquelle übernimmt. Im bei Literaturwissenschaftler Jonathan Culler abgeschriebenen Zitat lässt Habeck ebenfalls die letzten acht Wörter weg, die man genauso gut noch hätte mit zitieren können. Im dritten Textblock unten sieht man das ungekürzte Zitat im Original. Solche Zitats- und Quellenplagiate hat Stefan Weber in über hundert Fällen gefunden. Das vollständige Gutachten, wird im Laufe des Tages hier öffentlich einzusehen sein.

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„Business as usual“ ist keine Ausrede

Wäre Habeck der Philosoph und Intellektuelle, für den er sich ausgibt, hätte er keine Tricks und Schummeleien nötig, auf die Studenten mutmaßlich regelmäßig zurückgreifen, um zu akademischen Abschlüssen zu gelangen, die für Karrieren außerhalb der Wissenschaft benötigt werden. Wie diese Studenten, denen es nicht um höhere Werte der Wissenschaft geht, verfasste Habeck seine Dissertation: Ihr Zweck war kein wissenschaftlicher, sondern bestand in der Aufpolierung von Habecks Lebenslaufs.

Wird Habeck damit seinem „intellektuellen Imperativ“ gerecht? Vielleicht. Den Anforderungen der Wissenschaft jedoch sicher nicht.

Das sieht auch die Justiz so. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf stellte anlässlich der rechtmäßigen Aberkennung des Doktorgrades von Annette Schavan fest:

„Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und/oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offengelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der ‚Zwischenquelle‘ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.“ (Hervorhebungen durch die Redaktion.)

Entkräftung der Habeck-Vorwürfe

In seiner Stellungnahme von Montagvormittag zu den bis dahin noch nicht veröffentlichten Plagiatsvorwürfen stellt Robert Habeck zahlreiche Falschbehauptungen auf:

1. Habeck behauptet verharmlosend, es gehe um „Ungenauigkeiten in den Fußnoten“. Das ist eine Lüge. Zitats- und Quellenplagiate sind Brüche mit den geltenden akademischen Vorschriften.

2. Zudem behauptet er, dass zum Zeitpunkt des Schreibens seiner Doktorarbeit im Jahr 2000, andere Zitier-Vorschriften gegolten hätten. Auch das ist falsch. Selbstverständlich mussten im Jahr 2000 beim Zitieren von Primärquellen aus der Sekundärliteratur Übernahmen durch ein „zitiert nach …“ ausdrücklich gekennzeichnet werden. Seinerzeit mag man das noch nicht als „Zitat- oder Quellenplagiat“ bezeichnet haben. Was noch nicht so genannt wurde, war der Sache nach jedoch schon untersagt.

3. Rückendeckung bekommt der grüne Kanzlerkandidat von einem fachfremden, aber politischen Gleichgesinnten, den Habeck in seiner Stellungnahme anführt. Vor der Veröffentlichung der Vorwürfe versucht Prof. Gerald H. Haug von der Leopoldina-Stiftung Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Habeck zu entlasten. Herr Haug ist ein Paläoklimatologe, der mit der Literaturwissenschaft nicht vertraut ist. 2019 luden die Grünen ihn zu ihrem „grünen Sommerfest“ ein. Dort plauderte man in freundschaftlicher Atmosphäre.

4. Robert Habeck insinuiert, dass Dr. Stefan Weber von NIUS dafür bezahlt wurde, ein Plagiatsgutachten zu erstellen. Auch das ist falsch. Weber wurde von NIUS weder beauftragt noch bezahlt.

5. Schließlich kündigt Habeck an, dass sich die Plagiatsvorwürfe gegen ihn zudem auf seine Frau erstrecken würden. Das stimmt nicht. Seine Frau kandidiert für kein öffentliches Amt und spielt in der NIUS-Berichterstattung dementsprechend keine Rolle.

Der Artikel ist ursprünglich bei unserem Partner-Portal NIUS erschienen.