Ein Schlag mit nuklearer Dimension. Russland hat womöglich 41 strategische Bomber verloren – Flugzeuge, die als Rückgrat von Moskaus nuklearer Abschreckung gelten. Die Auswirkungen dieses ukrainischen Angriffs sind laut Militärexperten dramatisch.

Tyler Rogoway, Chefredakteur des Fachportals The War Zone, spricht von einer „strategischen Tragweite, die uns in unbekanntes Terrain führt“. Die betroffenen Maschinen – darunter Tu-95, Tu-22M3 und Tu-160 – seien sogenannte Dual-Use-Plattformen: Sie können konventionelle Marschflugkörper tragen, aber auch atomar bestückt werden. Dass sie nun tief im russischen Hinterland zerstört wurden, bedeute eine massive Schwächung „des flexibelsten Teils von Russlands nuklearer Abschreckung“.

Russlands Luftstreitkräfte an verwundbarster Stelle getroffen

Oberst Markus Reisner, Militäranalytiker des österreichischen Bundesheeres, spricht von einem historischen Einschnitt – einer „Operation mit minimalem Mitteleinsatz, aber maximaler Wirkung“. Die Ukraine habe „die russischen Luftstreitkräfte an ihrer verwundbarsten Stelle getroffen – am Boden“. Mehr als 100 Drohnen seien über zivile LKWs ins russische Kernland gebracht und dort automatisch gestartet worden – mit KI-Zielerkennung, GSM-Steuerung und GPS-Programmierung.

Die betroffenen Flugzeuge waren seit Kriegsbeginn regelmäßig für Marschflugkörperangriffe auf ukrainische Industrieanlagen im Einsatz – außerhalb der Reichweite ukrainischer Abwehrsysteme. Diese Fähigkeit ist laut Rogoway wie auch Reisner nun erheblich geschwächt.

Nach ukrainischen Angaben könnte über ein Drittel der betroffenen Bomberflotte zerstört worden sein. Reisner: Der Angriff werde „die Intensität der russischen Luftangriffe auf die Ukraine wesentlich verringern“.

Ein Wendepunkt im Krieg?

Reisner sieht in der „Operation Spiderweb“ einen Paradigmenwechsel – minimaler Aufwand, maximaler Schaden – und gleichzeitig einen „Vorgeschmack auf die Zukunft der Kriegsführung“ – mit autonom fliegenden Kleinwaffen tief im Feindesland.

Tarnung mit Holz: Ukrainische FPV-Drohnen versteckt in einem Lkw-Container – bereit für den Schlag tief in Russland.APA/AFP/SECURITY SERVICE OF UKRAINE/Handout

Kiew sendet klare Botschaft

Die Ukraine will mit dem Angriff offenbar auch ein Zeichen vor den anstehenden Gesprächen in Istanbul setzen: „Wir können noch immer zuschlagen – auch tausende Kilometer entfernt“, so lässt sich die Aktion interpretieren. Das ist Reisner zufolge die klare strategische Botschaft: Russland müsse nun jederzeit mit Angriffen auf eigenes Territorium rechnen – selbst im tiefsten Hinterland.

Treffer geplant: Ein ukrainischer Offizier analysiert russische Bomberstützpunkte – Grundlage für die Operation „Spiderweb“.APA/AFP/SECURITY SERVICE OF UKRAINE/Handout

Der Präsident des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefantschuk, sprach sogar von einer „modernen Version des Budapester Memorandums“ – ein Verweis auf ein 1994 geschlossenes Abkommen, in dem die Ukraine für Sicherheitsgarantien auf ihre Atomwaffen verzichtete. Die Ukraine garantiere mit dem Angriff nicht nur ihre eigene Sicherheit – sondern auch die atomare Abrüstung Russlands, erklärt Stefantschuk triumphierend.

In regierungsnahen ukrainischen Medien wie Euromaidan Press wird die Operation als historisch und richtungsweisend gefeiert.

Doch die politische Wirkung des Angriffs reicht über das Militärische weit hinaus.

Verhandlungen unter Druck – Reaktion Russlands unklar

Wie Russland reagieren wird, ist offen. Klar ist: Der Angriff geschah Stunden vor der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Laut Beobachtern könnte Kiew mit dem Schlag auch seine Verhandlungsposition stärken – oder das Risiko einer harten Gegenreaktion Moskaus eingehen.

Laut Social-Media-Berichten wurde die russische MiG-Flotte mit Hyperschallraketen aufmunitioniert und strategische Raketeneinheiten in Bereitschaft versetzt. (Ein exxpress-Bericht folgt.)

Ausgeklügelte Planung, verheerende Wirkung

Laut offiziellen Angaben aus Kiew habe die Operation „Spiderweb“ 18 Monate Vorbereitungszeit erfordert. Die kleinen FPV-Drohnen wurden demnach in Holzkisten verpackt und über zivile Lkw tief nach Russland gebracht – manche davon bis zu 4.200 Kilometer weit. Die Drohnen stiegen automatisch aus Containern, die per Fernsteuerung geöffnet wurden, und fanden mit Hilfe künstlicher Intelligenz selbstständig ihre Ziele.

Ziel waren strategische Luftwaffenstützpunkte in Belaya, Olenya, Dyagilevo, Ivanovo und Voskresensk. Laut OSINT-Quellen sollen sich dort dutzende Tu-22M3-, Tu-95- und Tu-160-Bomber befunden haben – Maschinen, die kaum ersetzbar sind und zentral für Russlands Langstrecken- und Nukleardrohkulisse sind. Ukrainischen Quellen zufolge wurden etwa 34 Prozent der russischen Trägersysteme für strategische Marschflugkörper beschädigt – mit einem Wert von über fünf Milliarden Euro.

Weckruf für die Welt

Für die Ukraine ist es ein symbolträchtiger Erfolg: Weniger mit spektakulärer Zerstörung, aber mit viel psychologischer Wirkung, wie Oberst Reisner  betont.

Für die Welt dürfte der Anschlag ein Weckruf ruf. The War Zone zieht ein Fazit mit globaler Tragweite: Der Angriff sei ein „Wake-up Call“ für alle Atommächte. Er zeige, wie verwundbar selbst milliardenteure strategische Systeme seien – besonders dann, wenn sie im offenen Gelände lagern. Die Ukraine habe gezeigt: Auch ohne eigene Atomwaffen lässt sich das nukleare Drohpotenzial eines Gegners empfindlich stören.