Die Brandmauer gegen die AfD wird langfristig nicht halten. Zu diesem Schluss kommt der Ökonom und Spieltheoretiker Prof. Dr. Günter Christian Rieck. Sein Argument: Solche Maßnahmen funktionieren nur unter bestimmten Bedingungen – doch diese sind nicht mehr gegeben. Statt die AfD zu schwächen, schadet die Brandmauer zunehmend den etablierten Parteien, allen voran der CDU. Früher oder später könnten sich die Christdemokraten deshalb davon verabschieden.

Boykotte, Sanktionen, Kartelle – und die AfD

Prof. Dr. Günter Christian Rieck, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt University of Applied Sciences, analysiert auf seinen YouTube-Kanal politische und wirtschaftliche Phänomene oft aus spieltheoretischer Sicht. In einem Video erklärt er: Die Brandmauer gegen die AfD folgt denselben Mechanismen wie wirtschaftliche Boykotte, Sanktionen oder Kartelle. Doch solche Maßnahmen wirken nur, wenn die sanktionierende Seite deutlich stärker ist als die sanktionierte – und genau das ist hier nicht mehr der Fall.

Kräfteverhältnis entscheidend – doch es kippt

Damit eine Sanktion funktioniert, muss sie für den Bestraften teuer und für den Strafenden verkraftbar sein. Beispiel: „Die USA konnten Kolumbien mit Strafzöllen unter Druck setzen, weil ihr wirtschaftliches Gewicht viel größer war“, so Rieck. Doch dieses Kräfteverhältnis existiert bei der AfD nicht mehr. Die Partei ist zu stark geworden – daher wird die Brandmauer brüchig.

Kartelle und Boykotte brechen oft zusammen

Rieck zieht Parallelen zu Kartellen: Auch dort verzichten Teilnehmer bewusst auf eine Maßnahme, um eine gemeinsame Strategie durchzusetzen. Ein klassisches Beispiel ist die OPEC, das Kartell der erdölexportierenden Länder. Indem die Mitglieder den Erdöl-Export begrenzen, steigen die Preise – und trotz geringerer Verkaufszahlen steigt der Gewinn. Für die Käufer ist das nachteilig, für die Verkäufer lukrativ.

Linke demonstrieren, sobald die Brandmauer brüchig zu werden droht und die CDU mit den Stimmen der AfD eine Migrationswende durchsetzen will.APA/AFP/John MACDOUGALL

Doch solche Absprachen sind instabil. Einzelne Mitglieder haben oft Anreize, die Regeln zu brechen – etwa durch höhere Fördermengen, um zusätzliche Profite zu erzielen. Gleichzeitig können externe Akteure wie Kanada in den Markt eintreten und von den steigenden Preisen profitieren, ohne sich an die Beschränkungen zu halten. Ähnlich funktioniert es in der Politik.

Politisches Kartell fördert neue Parteien

Auch hier können Kartelle zur Erstarkung neuer Kräfte führen. „Die Brandmauer ist ein politischer Boykott, der die etablierten Parteien zu einem Kartell macht“, erklärt Rieck. Das Problem: Wenn diese Parteien sich darauf verständigen, wie sie über bestimmte Gruppen reden oder bestimmte Themen ignorieren, entsteht eine „Repräsentationslücke: Einige Wähler fühlen sich nicht mehr von den bestehenden Parteien repräsentiert, was dazu führt, dass neue Parteien entstehen und an Stärke gewinnen.“

Merz (r.) beharrt auf Brandmauer zur AfD.APA/AFP/POOL/Michael Kappeler

Dies sei ein ähnlicher Effekt wie auf Märkten, wo „etablierte Marktteilnehmer etwa innovative Produkte oder Dienstleistungen nicht anbieten“, und sich neue Möglichkeiten für kleinere Anbieter auftun.

CDU in der Zwickmühle

Die CDU muss entscheiden: Weiterhin an der Brandmauer festhalten – oder riskieren, als Machtbeschaffer für linke Parteien zu enden? Rieck warnt: „Eine Partei, die nur noch in linken Koalitionen mitregieren kann, verliert langfristig ihr eigenes Profil.“

Parteiverbot? Ein Eigentor für die Linken

Ein Verbot der AfD wäre für linke Parteien strategisch unklug, so Rieck. „Die AfD verhindert derzeit eine bürgerliche Mehrheit. Ihr Verbot könnte paradoxerweise dazu führen, dass eine konservative Regierung ohne sie möglich wird.“

Die Brandmauer hat langfristig wenig Chancen

Das spieltheoretische Fazit: Die Brandmauer ist unter den aktuellen Bedingungen nicht haltbar. Je stärker die AfD wird, desto mehr wird der Boykott für die CDU zur Belastung – bis sie sich neu orientieren muss.