
Ukraine will in die EU – doch nicht nur Orban sagt Nein
In Brüssel und Kiew gilt Viktor Orbán als größtes Hindernis für den EU-Beitritt der Ukraine. Doch aktuelle Umfragen zeigen: Auch ohne Ungarns Ministerpräsident ist die Skepsis der Europäer gegen die ukrainische EU-Mitgliedschaft groß. Selbst in Polen bröckelt der Rückenhalt.

Kiew hofft auf Orbáns Sturz – doch was, wenn das nichts ändert? In Brüssel und Kiew gilt Ungarns Premier als größtes Hindernis auf dem Weg der Ukraine in die EU. Doch aktuelle Umfragen zeigen: Auch ohne Orbán ist der Widerstand groß. In mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern lehnt die Mehrheit der Bevölkerung den EU-Beitritt der Ukraine ab – selbst in Polen kippt die Stimmung.
Ungarn: 95 Prozent sagen Nein
Einzig in Ungarn wurde das Volk offiziell befragt: Im Rahmen der „Voks 2025“-Volksbefragung beteiligten sich mehr als 2,2 Millionen Menschen, was bei knapp 7,8 Millionen registrierten Wahlberechtigten einer Beteiligung von etwa 29 Prozent entspricht. Rund 95 Prozent stimmten gegen den Beitritt der Ukraine zur EU.
Zwar kritisierte die Opposition die Umfrage als regierungsgelenkt, doch auch unabhängige Institute wie Republikon stellten fest: Das Land ist gespalten, die Zustimmung bleibt bei unter 50 Prozent.
Polen: Stimmung kippt
Besonders bemerkenswert ist der Umschwung in Polen. Noch 2022 lag die Zustimmung zum ukrainischen EU-Beitritt dort bei mehr als 80 Prozent. Doch laut einer IBRiS-Umfrage vom Juni 2025 unterstützen nur noch 35 Prozent den Beitritt, 42 Prozent lehnen ihn ab.
Auch in Tschechien (61 Prozent dagegen) und der Slowakei (58 Prozent dagegen) überwiegt klar die Skepsis. In Tschechien steht damit eine deutliche Bevölkerungsmehrheit im Widerspruch zur klar pro-ukrainischen Linie der Regierung.
Österreicher klar dagegen, Deutsche reserviert
Auch in Österreich ist die Ablehnung groß – und das nicht erst seit diesem Jahr: Laut einer ÖGfE/Market-Umfrage vom März 2024 unterstützen nur 20 Prozent den EU-Beitritt der Ukraine, 51 Prozent lehnen ihn ab. In einer ORF-Umfrage vom Mai 2024 lag die Zustimmung bei 28 Prozent.
In Deutschland ist die Haltung ausgeglichener, aber keineswegs euphorisch: Laut einer EBD-Umfrage vom Frühjahr 2025 sprechen sich 44 Prozent der Deutschen für den EU-Beitritt der Ukraine aus, 43 Prozent dagegen. Eine deutliche Mehrheit gibt es also auch hier nicht.
Kiew hofft auf Orbáns Ende – doch was dann?
Die ungarische Pride Parade wurde in diesem Jahr von westlichen Medien und ukrainischen Stimmen als Zeichen der liberalen Wende und als Herausforderung für Viktor Orbán gefeiert. In Hungary Today bemerkt Chefredakteur Dániel Deme: „Während sich auf den Straßen Budapests noch Konfetti und Glitzerreste vom LGBTQ-Maidan […] finden, feiern ukrainische Politiker […] dies bereits als Triumph der Demokratie in Ungarn.“ So schrieb etwa der ehemalige ukrainische Wirtschaftsminister Tymofiy Mylovanov auf X: „Eines Tages wird Orbán die Macht verlieren und Ungarn wird wieder demokratisch sein.“
Deme kontert: „Wird echte Demokratie in Mitteleuropa Kiews EU-Ambitionen stärken – oder sie eher zerstören?“
One day Orban will loose power and Hungary will be democratic again pic.twitter.com/j2cZ3KiL0r
— Tymofiy Mylovanov (@Mylovanov) June 28, 2025
Was ist Demokratie – und was nicht?
Der Journalist erinnert an ein demokratisches Grundprinzip: „Demokratie ist dort, wo der Wille der Mehrheit durch gewählte Vertreter in Politik umgesetzt wird – unter Berücksichtigung der Rechte von Minderheiten.“ Doch das bedeutet nicht, dass die vermeintlich „richtige Meinung“ automatisch demokratisch ist.
Während Brüssel und Kiew von mehr Demokratie in Ungarn sprechen, zeichnen Volksabstimmungen und Umfragen ein oft übersehenes Bild: In Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Österreich – und selbst in Teilen Deutschlands – lehnt die Mehrheit einen EU-Beitritt der Ukraine ab.
Eines steht somit fest: Die Zukunft der Demokratie in Europa hängt weniger davon ab, ob die Ukraine der EU beitritt oder wer in Budapest regiert, sondern vielmehr davon, ob Brüssel und die Regierungen bereit sind, auf den Willen ihrer Bürger zu hören. Angesichts der Stimmung in zahlreichen europäischen Ländern dürfte sich Kiews Hoffnung auf einen baldigen Beitritt jedenfalls als Illusion erweisen.
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