Der Skandal um die ORF-Zwangsbeiträge geht in die nächste Runde: Obwohl das Bundesverwaltungsgericht einen von der ORF-Beitrags Service GmbH (OBS) ausgestellten Bescheid wegen fehlender Unterschrift für nichtig erklärt hat, verschickt die ORF-Tochter weiterhin Schreiben mit Paraphen statt rechtsgültiger Unterschriften. Anwalt Mag. Gerold Beneder erhebt nun erneut schwere Vorwürfe – und spricht von einer „systematisch rechtswidrigen Praxis“.

Ein Blogger wehrt sich – und gewinnt

Begonnen hat die Causa mit dem jungen Blogger und Jus-Studenten Lucas Ammann. Er hatte der OBS im Frühjahr eine empfindliche juristische Niederlage beschert. Nachdem er aus rechtlichem Interesse die bescheidmäßige Feststellung seiner Beitragspflicht beantragt hatte, schickte die OBS ein entsprechendes Dokument – allerdings nur mit einer Paraphe, nicht mit einer Unterschrift.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte am 21. Mai fest: Ein solcher „Bescheid“ ist rechtlich nichtig, weil die gesetzlich vorgeschriebene eigenhändige Unterschrift fehlt. Der Betroffene muss den ORF-Beitrag nicht zahlen. Sein Anwalt Mag. Gerold Beneder erklärte schon damals: Tausende ähnliche Fälle könnten ebenfalls betroffen sein.

„Kein einmaliges Versehen!“

Nun die nächste Enthüllung: Trotz des Urteils setzt die OBS ihre Praxis offenbar fort. Beneder berichtet dazu gegenüber dem exxpress: „In den vergangenen Wochen haben sich weitere Betroffene bei mir gemeldet, die ebenfalls Schreiben der OBS mit Paraphen statt gültiger Unterschriften erhalten haben. Damit ist klar: Es handelt sich nicht um ein einmaliges Versehen, sondern offenbar um eine systematisch rechtswidrige Praxis.“

Beneder hat nach eigenen Angaben drei verschiedene Paraphen-Versionen gesehen – von zwei davon liegen ihm zahlreiche Exemplare vor. „Ob diese Paraphen überhaupt von derselben Person stammen, ist völlig unklar. Genau das zeigt, warum der Gesetzgeber eine eindeutige, zuordenbare Unterschrift verlangt: Eine Paraphe ist nicht nur unzureichend – sie ist völlig untauglich, um einen Verwaltungsakt rechtlich gültig zu machen. Es fehlt jede Möglichkeit der Identifikation. Wer garantiert, dass diese Kürzel von autorisierten Personen stammen?“

Der Anwalt sieht hier „ein Paradebeispiel für rechtliche Intransparenz – und für behördliche Schlamperei.“

Gerold Beneder (Mitte) besuchte kürzlich gemeinsam mit seinem Mandanten Lucas Ammann (r.) das exxpress-Studio. Im Bild: Mit exxpress-Redakteur Stefan Beig (l.).EXXPRESSTV/EXXPRESSTV

„Die OBS ist lernresistent“

Keinesfalls gehe es um einen bloßen Formfehler, betont Beneder: „Sondern um die absolute Nichtigkeit der sogenannten Bescheide – wie das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt hat. Was wie ein Bescheid aussieht, ist in Wahrheit keiner.“

Dass die OBS diese rechtswidrige Praxis weiterhin betreibt, sei höchst bedenklich: „Mir liegen sogar neue Schreiben vor, die nach dem Urteil des Gerichts ausgestellt wurden – erneut nur mit Paraphe. Die OBS ist lernresistent. Das ist ein strukturelles Verwaltungsversagen.“

Der Top-Anwalt rechnet in Kürze mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in dieser Causa.

Drei Paraphen-Versionen – unklarer Ursprung

Dem exxpress liegen die drei Paraphen-Versionen vor. Ob sie von derselben Person stammen oder wem sie überhaupt zugeordnet werden können, ist nicht erkennbar. Das bestätigt den zentralen Kritikpunkt Beneders: Ein Verwaltungsakt ohne klar erkennbare Unterschrift verstößt gegen § 18 AVG – und ist somit rechtlich null und nichtig.

OBS antwortet ausweichend – Beneder widerspricht

Der exxpress hat die OBS mit den Vorwürfen konfrontiert. Auf die Frage, ob auch nach dem Urteil weiterhin Bescheide mit Paraphen verschickt wurden, antwortete die OBS: „Zu laufenden Verfahren geben wir keine Stellungnahme ab. Grundsätzlich werden unsere Bescheide per Amtssignatur gefertigt.“

Beneder widerspricht entschieden: „Das stimmt nicht. Es kommen Amtssignaturen und Paraphen. Heute wieder Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht betreffend Paraphe eingebracht.“

Wie viele Österreicher müssen keine ORF-Gebühr zahlen?

Wenn tatsächlich massenhaft nichtige Bescheide im Umlauf sind, könnten viele Österreicher von der ORF-Beitragspflicht befreit sein – schlicht, weil die OBS keine gültigen Bescheide ausgestellt hat.

Für den ORF wäre das nicht nur juristisch, sondern auch politisch brisant. Die Frage, wie eine öffentlich-rechtliche Tochtergesellschaft derart grundlegende Verfahrensfehler trotz Gerichtsurteil fortsetzt, wird zunehmend drängender.

Lucas Ammann – und mit ihm viele weitere Empfänger ähnlicher Schreiben – könnten hingegen aufatmen. Denn wer nur eine Paraphe statt einer Unterschrift auf seinem OBS-Bescheid findet, dem möglicherweise das Zahlen des ORF-Beitrags erspart.