Die Friedensgespräche in der Türkei sind kaum angelaufen, da war der Ausgang schon vorgezeichnet: Kein Durchbruch in Sicht. Während in Istanbul verhandelt wird, tobt der Krieg in der Ostukraine weiter – und keiner der Hauptakteure ist vor Ort. Putin bleibt fern, Trump bleibt fern – und Selenskyj reist erbost ab und fordert neue Russland-Sanktionen. Die Gespräche am Freitag dauerten schließlich nur kurz und wurden nach zwei Stunden abgebrochen.

Allmählich wird klar: Es geht nicht nur um Terrain. Es geht auch um Geschichte. Genauer: um die Konferenz von Jalta 1945. Und genau die kennt Donald Trump laut einem Insider nicht einmal – was seine Strategie gegenüber Putin und der Ukraine gefährlich unvollständig macht. Denn was damals, vor 80 Jahren, geschehen ist, prägt das Denken vieler russischer und europäischer Politiker bis heute.

Ohne Trump, ohne Putin, ohne Selenskyj: Am 16. Mai treffen sich Vertreter der Ukraine, USA und Türkei zu Friedensgesprächen in Istanbul – doch die wichtigsten Entscheidungsträger fehlen.GETTYIMAGES/Ukraine Ministry of Foreign Affairs/Anadolu

„Die Generäle sagen: Es reicht“ – doch die Politik denkt in anderen Kategorien

In einem neuen Artikel meint der legendäre US-Enthüller Seymour Hersh: „Eine Konstante im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, den Wladimir Putin vor mehr als drei Jahren begonnen hat, ist die Bereitschaft der Generäle auf beiden Seiten zu sagen: ‚Es reicht.‘“

Schon das berühmte Interview von General Walerij Saluschnyj im Economist 2023 – in dem er offen ein Patt im Krieg einräumte – sei laut Hersh mit Wissen seines russischen Pendants Waleri Gerassimow erfolgt.

Doch warum gibt es trotzdem keinen Frieden? „Nicht die Generäle, sondern die Politiker – Putin und Selenskyj – halten den Krieg am Laufen.“ – so ein US-Beamter zu Hersh.

Allein in Ankara: Selenskyj am 15. Mai nach dem Treffen mit Präsident Erdoğan. Er forderte Putin zu direkten Friedensgesprächen in der Türkei – doch der lehnte ab, also reiste er auch ab.GETTYIMAGES/Serdar Ozsoy

Jalta 1945: Die Konferenz, die bis heute alles blockiert

Ein weiterer US-Offizieller erklärt gegenüber Hersh den entscheidenden historischen Hintergrund, den die meisten übersehen – vor allem Trump: „Man muss zu den Protokollen der Jalta-Konferenz zurückkehren, um die heutige russische und europäische Denkweise zu verstehen.“

Was geschah in Jalta? Im Februar 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, einigten sich Churchill, Roosevelt und Stalin auf eine neue Aufteilung Europas. Im Gegenzug für seine Hilfe gegen Hitler erhielt Stalin Einfluss auf Polen, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und die baltischen Staaten.

Ein US-Beamter sagt es gegenüber Hersh so: „Churchill und Roosevelt kauften sich Stalins Unterstützung, indem sie ihm Kontrolle über Osteuropa gaben.“

Der Geist von Jalta: Churchill, Roosevelt und Stalin bei der Konferenz 1945 im Livadia-Palast – hier wurde Europa neu aufgeteilt. Das Denken von damals prägt bis heute, in Europa wie in Russland.GETTYIMAGES/Keystone

Alle fühlen sich vom Westen betrogen

Heute glauben viele in Moskau – allen voran Putin –, dass Russland mit dem Ende der Sowjetunion „um die gerechte Belohnung für ihr großes Opfer betrogen wurden“. Deshalb auch die massive Siegesfeier zum Zweiten Weltkrieg letzte Woche – eine Machtdemonstration, aber auch ein Signal: Wir holen uns zurück, was uns gehört. Überdies sind die Russen überzeugt: „Die Opferbereitschaft der russischen Armee in Stalingrad und Osteuropa entschied letztlich über den Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland.“

Doch „der Geist von Jalta verfolgt auch europäische Führer bis heute – besonders jene an der russischen Grenze.“ In Kiew und den ex-sowjetischen NATO-Staaten wirkt diese Geschichte ebenfalls weiter. Für sie geht es nicht nur um Sicherheit – sondern um den endgültigen Bruch mit der alten russischen Dominanz.

Sieg als Signal: Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau. Putin inszeniert den Zweiten Weltkrieg als historischen Auftrag – und als Legitimation für seinen Ukraine-Krieg.GETTYIMAGES/Kremlin Press Service/Anadolu

Trump kennt Jalta nicht – und das könnte ihm zum Verhängnis werden

Hersh zitiert einen US-Insider mit einem bemerkenswerten Satz: „Trump hat nie von Jalta gehört.“ Mit anderen Worten: Während Putin, Selenskyj und viele Osteuropäer in geopolitischen Bildern von Verlust, Verrat und Rückgewinnung denken, glaubt Trump, er könne einfach einen Deal machen. Doch Putins Handeln und das der Europäer ist tief in Geschichte verankert, es geht nicht nur um militärisch-operative Logik – und Trump hat keinen Zugriff auf dieses Denken.

Deshalb, so der Beamte, sei Trumps Strategie unvollständig. Sie könnte weniger erfolgreich sein, als manche seiner Nahost-Pläne: „Trump ist besessen von Deals im Nahen Osten, die Milliarden bringen – vielleicht gelingt ihm auch einer mit Putin.“ Aber solange er nicht versteht, dass es für Putin und viele Ex-Sowjets um die historische Demütigung von Jalta geht, wird es keinen Erfolg geben.

Istanbul: Russen lachen – Europa zaudert – die USA wirken planlos

Und wie läuft es in der Türkei? Hersh beschreibt ein Verhandlungsteam der USA, das aus einem Geschäftsmann (Steve Witkoff) und einem pensionierten General (Keith Kellogg) besteht. Ein zweiter US-Beamter kommentiert trocken: „Die russischen Verhandler lachen hinter dem Rücken des US-Teams.“

Die Europäer seien zwar bereit, Selenskyj zu stützen, aber „zu schwach, um den Krieg zu beenden – und stark genug, um den Frieden zu verderben“, so ein Insider.

Putin nutzt die Lage militärisch aus: Hersh berichtet von neuen Geländegewinnen in Donezk, von Blockaden wichtiger Versorgungsrouten, von Kämpfen bei Pokrowsk und Torezk – 35 Meilen von Donezk entfernt.

Fazit: Die Generäle könnten den Krieg beenden – aber die Geschichte verhindert es

Ein Beamter meint: „Für Russland ist die Ukraine eine eigene Geschichtserzählung. Sie wollen ‚Kleinrussland‘ zurückholen.“ Doch laut Hershs Quelle sei auch die russische Armee militärisch überfordert – sie wolle, aber könne nicht: „Russland mag den Willen haben, aber ihre Leistung in der Ukraine zeigt: Sie haben nicht die Fähigkeit.“

Was bleibt: Ein Krieg, den die Generäle längst beenden wollen. Aber die Politiker leben im Schatten von Jalta. Und Trump scheitert, ohne zu verstehen warum.