30 Milliarden Euro in nur vier Jahren: HERA, die neue EU-Struktur für Gesundheitskrisen, ist seit 2021 erst am Start – und schon heute ein Geld-Koloss, wie ihn Brüssel in diesem Bereich noch nie hatte. Bis 2027 stehen dafür nahezu 30 Milliarden Euro bereit. Eine Summe, die jede klassische EU-Agentur weit überragt und HERA politisch zur neuen Machtzentrale macht.

Genau diese Dimension ruft nun FPÖ-EU-Abgeordneten Gerald Hauser auf den Plan. Sein Kernpunkt: Wer so viele Milliarden bewegen kann, darf nicht ungeprüft im Schatten der Kommissionsbürokratie verschwinden.

17. Februar 2021: Mitten in der Corona-Krise starten von der Leyen und die Kommissare Kyriakides (l.) und Breton (r.) HERA – heute ein 30-Milliarden-Apparat ohne echte Kontrolle.APA/AFP/POOL/Aris Oikonomou

Woher die 30 Milliarden kommen

Der Finanz-Rahmen setzt sich aus mehreren Quellen zusammen: Rund 6 Milliarden Euro stammen direkt aus dem EU-Mehrjahresbudget inklusive dem Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“. Weitere 24 Milliarden Euro werden aus anderen EU-Programmen mobilisiert – von Forschung über industrielle Fertigung bis zu strategischer Gesundheitsvorsorge. Durch diese Quervernetzung wächst der Topf auf knapp 30 Milliarden Euro an.

Das Ergebnis: HERA wurde zur jungen Super-Behörde, zentralisiert und extrem milliardenträchtig – in einem Tempo, das selbst in Brüssel Seltenheitswert hat. „HERA ist um ein Vielfaches besser dotiert als alle anderen Agenturen der EU zusammen“, unterstreicht Hauser.

FPÖ-Mandatar Gerald Hauser warnt: 30-Milliarden ohne Kontrolle – das „öffnet der Korruption Tür und Tor“.APA/EVA MANHART

Was macht HERA mit all dem Geld?

HERA wurde am 16. September 2021 geschaffen, als Antwort auf die Corona-Jahre. Aufgabe ist seither die EU-weite Vorsorge und Reaktion bei Gesundheitsnotlagen. Dazu gehören: Frühwarnung und Risiko-Analysen, Förderung von Forschung/Entwicklung für Gegenmaßnahmen (zum Beispiel Impfstoffe, Medikamente, Diagnostik), gemeinsame EU-Beschaffung und Aufbau von Reserven, Absicherung von Lieferketten und Produktionskapazitäten, Koordination im Krisenfall, sobald ein EU-Notstand ausgerufen wird.

Kurz: HERA soll im Ernstfall den Hebel für Europas Gesundheits-Krisenpolitik in der Hand halten. Dank des riesigen Budgets kann die Behörde in Gesundheitskrisen faktisch das Kommando übernehmen – noch bevor die Mitgliedstaaten reagieren. Kritiker fürchten das nächste Bürokratie-Monster – made in Brüssel, finanziert vom Steuerzahler. „Bei dem Geld der Steuerzahler muss vollkommene Transparenz walten!“, sagt Hauser. „Was macht diese mit Abstand reichste EU-Behörde mit all den Milliarden?“

Auch Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton (Bild) trieb HERA voran.APA/AFP/POOL/Aris Oikonomou

Frühe Warnung aus dem EU-Parlament

Von der Leyens Konstruktion von HERA sorgte im EU-Parlament von Anfang an für heftige Kritik. Der Vorwurf: Die Kommission hat die neue Behörde nicht über das normale Gesetzgebungsverfahren geschaffen, sondern per Kommissionsbeschluss im Eiltempo installiert. Dass HERA keine unabhängige EU-Agentur wie es die europäische Arzneimittelagentur EMA oder das europäische Zentrum für Krankheitsprävention und -kontrolle ECDC ist, bedeutet mehr Macht in der Kommission, weniger sichtbare Kontrolle.

HERA sitzt direkt in der EU-Kommission. Also dort, wo Ursula von der Leyen die Fäden zieht. Deshalb greifen die üblichen Agentur-Kontrollen nicht automatisch. Es gibt keinen eigenen Prüfposten wie bei klassischen EU-Agenturen – und damit weniger Transparenz auf einen Blick.

Im EU-Parlament erzeugte die HERA-Konstruktion bereits zu Beginn Unmut.APA/AFP/Nicolas TUCAT

Think-Tank schlägt Alarm

Auch außerhalb der Politik schrillten die Alarmglocken. Das Brüsseler Think-Tank Centre for European Policy Studies (CEPS) warnte 2023: Gerade diese Konstruktion birgt politischen Sprengstoff. Ein Milliarden-Apparat als Kommissions-Dienst kann leichter in einer Blackbox verschwinden, wenn Regeln nicht glasklar nachgezogen werden.

CEPS listete mehrere sehr konkrete Schwachpunkte der Konstruktion auf: Stakeholder werden nur fallweise eingebunden, daher bestehe kein dauerhafter, transparenter Dialog. Überdies fehlt ein unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium als klare Kontrollinstanz. Hinzu kommt die begrenzte Budgetautonomie: HERA hängt am Kommissionspaket.

Mit anderen Worten: viel Macht, aber zu wenig sichtbare Gegenkontrolle.

Der Corona-Schatten nach EU-Impfstoff-Beschaffung und geschwärzten Verträgen

Hinzu kommt der Vertrauensbruch aus der Pandemie. Schon bei der EU-Impfstoffbeschaffung gab es Streit um geschwärzte Verträge, fehlende Offenlegung und Korruptionsfragen. Die Affäre um die verschwundenen SMS hängt der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis heute nach. Damit bringt sich eine neue Brüsseler Milliardenstruktur sofort selbst in Verdacht.

Der Think-Tank forderte daher vor zwei Jahren: Wenn HERA mit Milliarden arbeitet, braucht es eine eigene, klar ausgewiesene Budgetspur, damit Geldflüsse und Verantwortung sichtbar bleiben – und nicht im Kommissionshaushalt verschwimmen.

Von der Leyen in Puurs: Zu ihren Milliarden-Impfstoffdeals mit Pfizer bleiben bis heute viele Fragen unbeantwortet.APA/AFP/POOL/JOHN THYS

Hausers Kernvorwurf: Keine Milliarden ohne glasklare Kontrolle

Auch der FPÖ-Politiker Hauser fordert volle Transparenz. „Als gelernter Politiker weiß ich: Immer dann, wenn riesige Geldsummen intransparent zur Verfügung stehen, ist möglicher Korruption Tür und Tor geöffnet. Deswegen werde ich diesbezüglich eine parlamentarische Anfrage stellen! Ich verlange vollkommene Transparenz!“, erklärt der Freiheitliche.

Es brauche nachvollziehbare Antworten darauf, wofür die Milliarden verwendet werden, welche Liefer- und Beschaffungsverträge laufen.

Darf Brüssel das überhaupt? Der EU-Kompetenz-Zündstoff

Neben Geld und Kontrolle steht noch eine viel grundsätzlichere Frage im Raum: Ist die EU hier überhaupt zuständig? Lässt sich eine solche Riesen-Struktur überhaupt mit den Aufgaben der EU rechtfertigen? Genau hier wird HERA zur Sollbruchstelle: Gesundheit ist laut EU-Verträgen primär Sache der Mitgliedstaaten. Brüssel darf koordinieren und unterstützen – aber nicht die nationalen Gesundheitssysteme zentral steuern. Das ist kein Randargument, sondern steht schwarz auf weiß im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV): Artikel 168 Absatz 7 hält die Zuständigkeit klar bei den Staaten. („Die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung bleiben Sache der Mitgliedstaaten.“)

Von der Leyen setzte im Pfizer-Werk EU-Symbole – doch Transparenz über ihre Impfstoffverhandlungen fehlt bis heute.APA/AFP/POOL/JOHN THYS

Kritische EU-Beobachter und Juristen warnen deshalb vor einer schleichenden Machtverschiebung. Ihr Punkt: In jeder Krise klingt „Koordination“ harmlos – doch sie kann schnell zum faktischen Durchregieren werden, wenn Brüssel über Milliarden-Töpfe, Beschaffungsdeals und Notfallmechanismen den Takt vorgibt. Genau darin sieht das European Journal of Risk Regulation (Cambridge) den zentralen Konflikt einer „European Health Union“: Die EU bewegt sich mit neuen Strukturen wie HERA an der juristischen Außengrenze ihrer Gesundheitskompetenz.

Die Kommission verteidigt das Projekt mit dem Krisen-Argument: Pandemien, Medikamentenengpässe und Lieferketten seien grenzüberschreitend, also brauche es eine gemeinsame Schaltstelle. Aber die Kernfrage bleibt politisch hochbrisant: Wo endet legitime Ergänzung – und wo beginnt Brüsseler Machtübernahme durch den Krisen-Hebel?

Lektionen aus dem Impfstoff-Fiasko

Die Debatte ist auch deshalb so scharf, weil Brüssel bei Corona bereits ein warnendes Beispiel geliefert hat. Ein Sonderbericht des Rechnungshofs hält fest: Die EU startete später als USA und das Vereinigte Königreich in die Impfstoff-Deals, schloss anfangs Verträge mit zu schwachen Liefer- und Sanktionsmechanismen ab und hat den Beschaffungsprozess bis heute nicht vollständig evaluiert.

Dazu kam der jahrelange Streit über Transparenz und Offenlegung der Impfstoffverträge. Für viele ist das der Hintergrund von Hausers Alarm: Wenn Transparenz und Tempo schon bei Corona Probleme machten, wie kontrollierbar wird dann ein neues 30-Milliarden-Zentrum?

HERA ist Europas neuer Krisen-Gigant – riesig finanziert, rasend gewachsen, politisch hochumstritten – und zentrale Fragen bleiben weiterhin unbeantwortet: Wie viel Macht darf die Kommission überhaupt im Gesundheitssektor bündeln? Wie stellt man sicher, dass 30 Milliarden Euro sichtbar und nachvollziehbar kontrolliert werden?