Deutschland steht vor einem wirtschaftlichen Wendepunkt – das machte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) in ihrer Berliner Grundsatzrede zur sogenannten „Agenda 2030“ deutlich. Die Ministerin sprach offen von einer „ernsten Lage“: Die Bundesrepublik drohe international ins Hintertreffen zu geraten. Ein klarer Appell, den Reformstau endlich aufzulösen.

Doch Reiches Worte wirken wie ein spätes Erwachen. Über Jahre hinweg hat Deutschland strukturelle Veränderungen vertagt, vor allem im Bereich der Renten- und Sozialpolitik. Während Nachbarländer längst reagiert und ihre Systeme modernisiert haben, hielt man in Berlin an alten Versprechen fest. Die Folge: Eine Gesellschaft, die älter wird, ein Arbeitsmarkt, der unter Fachkräftemangel leidet – und ein Rentensystem, das unter der Last seiner eigenen Versprechen zu kollabieren droht.

„Die Rente wird nicht mehr für alle reichen“

Selten äußerte sich eine Ministerin so deutlich. Reiche stellte in ihrer Rede klar, dass die gesetzliche Rente in ihrer jetzigen Form künftig nicht mehr zum Leben reichen werde. Eine unbequeme Wahrheit, die vielen Politikern seit Jahren bekannt ist, aber kaum jemand auszusprechen wagt.

„Längere Lebensarbeitszeiten wären ein Zeichen von Solidarität zwischen den Generationen“, so Reiche. Damit spricht sie aus, was Ökonomen seit Langem fordern: Ohne ein höheres Renteneintrittsalter oder tiefgreifende Strukturreformen droht das System zu implodieren. Die demografische Realität lässt sich nicht länger ignorieren.

Doch während die Ministerin Reformen anmahnt, wird klar – diese Einsicht kommt spät. Schon vor zehn Jahren war absehbar, dass die Zahl der Beitragszahler sinkt, während die Rentenausgaben explodieren. Dennoch blieb der politische Wille aus, langfristig gegenzusteuern.

Flexibilisierung statt sozialer Stabilität?

Reiche fordert nun tiefgreifende Veränderungen: weniger Regulierung, mehr Marktdynamik, eine Lockerung des Kündigungsschutzes und neue Modelle für längeres Arbeiten. Sie will den Sozialstaat „verschlanken“ und Subventionen überprüfen – eine Parallele zur Agenda 2010 unter Gerhard Schröder.

Kritiker warnen jedoch, dass solche Maßnahmen auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden könnten. Besonders die Diskussion um Karenztage bei Krankheit oder die Flexibilisierung des Arbeitsrechts stößt auf Widerstand. Die Linke sprach von einer „Politik der sozialen Kälte“.