Frust über endlose Bürokratie, wachsende Kriminalität und hohe steuerliche Abgaben: Immer mehr Deutsche kehren ihrem Heimatland den Rücken. Was einst eine Ausnahme war, entwickelt sich zunehmend zu einem Massenphänomen – besonders unter gut ausgebildeten Fachkräften, Selbstständigen und Unternehmern.

Vom Vorzeigeleben zur Auswanderung

Julia und Philipp Ramjoué führten das Bilderbuchleben der deutschen Mittelschicht: Studium, sichere Jobs – sie als Leadership-Coach bei einem Energieversorger, er als KI-Entwickler –, Hauskauf nahe Augsburg, ein Kind. Doch die Pandemie wurde zum Wendepunkt. „Wir sind dann auf Selbstfindungsreise gegangen“, erzählt Julia, 32 dem Handelsblatt. Die beiden kündigten, gründeten eine GmbH zum Schutz von Natur und Arten mithilfe von KI – und stießen sofort auf lähmende Verwaltungshürden. „Wir wurden müder und müder in diesem System“, sagt Philipp, 33.

Ein mehrmonatiger Aufenthalt in Tansania im Jahr 2022 veränderte alles. „Wir haben uns so sehr zu Hause gefühlt, wie wir das in Deutschland noch nie gespürt haben“, erinnert sich Julia. Anfang 2025 folgte der endgültige Schritt: Hausverkauf, Abschied von Freunden und – und mit Tochter, Julias Mutter und zwei Katzen ein Neustart im ostafrikanischen Arusha.

Auswanderung auf Rekordkurs

Die Ramjoués sind kein Einzelfall. 2024 verließen laut Statistischem Bundesamt fast 270.000 Deutsche das Land – fast doppelt so viele wie noch 2010. Besonders betroffen: die Altersgruppe zwischen 25 und 49 Jahren, also die wirtschaftlich aktivsten. „Seit Corona sehen wir eine deutlich erhöhte Nachfrage beim Thema Auswanderung“, sagt Christoph Heuermann, Gründer der Beratungsfirma Staatenlos im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Zwischen Januar und April 2025 sind bereits über 93.000 Deutsche ausgewandert. Hochgerechnet könnte das Jahr einen neuen Höchstwert bringen.