Europa am Abgrund: Nur eine Krise kann uns noch retten, warnt der Telegraph
Der britische Telegraph schlägt Alarm und spricht offen von „Anzeichen, dass Europa tatsächlich dem Untergang geweiht ist“. Das Blatt warnt, „möglicherweise“ sei es „bereits zu spät“, um den wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten – „nur eine ausgewachsene Krise“ könne die EU noch „aus ihrem Dämmerschlaf reißen“.
Europas Wirtschaft befindet sich im Sinkflug, Brüssel hat darauf vor allem eine Antwort: noch mehr Regulierung. Im Bild: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.APA/AFP/FREDERICK FLORIN/GETTYIMAGES/ZPAGISTOCK
Wenn es um die EU geht, spart Donald Trump nicht mit drastischen Urteilen. Ein „verfallender Staatenbund“, angeführt von „schwachen Menschen“, sagte er kürzlich. „Wenn es so weitergeht, werden viele dieser Länder bald keine lebensfähigen Staaten mehr sein.“
Der US-Präsident bezog sich auf Migration – doch die Telegraph-Wirtschaftsredakteuren Szu Ping Chan und Hans van Leeuwen teilen seine Diagnose auch in ökonomischer Hinsicht. Ihre Analyse trägt den Titel: „Die Anzeichen, dass Europa tatsächlich dem Untergang geweiht ist – und Großbritannien mit sich reißt.“
Europa erstarrt – USA und China ziehen davon
Prominente Unternehmer und Investoren kommen im Telegraph zu Wort und sie zeichnen ein ähnliches Bild. Der französische Telekom-Milliardär Xavier Niel kommentiert: „In den USA haben die meisten Top-Unternehmen vor 30 Jahren noch gar nicht existiert. In Frankreich existierten unsere großen Firmen schon damals.“
Europas Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung ist von über 25 Prozent auf rund ein Sechstel gesunken. Während die USA und China wachsen, wirkt Europa blockiert.
Der Niedergang ist hausgemacht
Billige China-Importe allein erklären das nicht. „Europas Niedergang ist auch hausgemacht“, schreibt der Telegraph – vor allem durch Klima-, Energie- und Regulierungspolitik.
Zur Jahrtausendwende galt Europa noch als Wachstumsmotor der Industrie. Tom Crotty, langjähriger Topmanager des Chemiekonzerns INEOS, erinnert sich: „Es gab enorm viel Expansion. Neue Verfahren, neue Produkte, neue Werke.“ Heute kämpfen genau diese Unternehmen ums Überleben. Hohe Energiepreise, CO₂-Kosten und immer neue Auflagen treffen besonders energieintensive Betriebe.
„Europa schießt sich selbst ins Knie“
Crotty findet klare Worte: „Ein riesiger Teil unserer Energiekosten ist selbstverschuldet – durch Abgaben, Netzentgelte und CO₂-Besteuerung, die es so sonst nirgendwo gibt.“
In den USA wurden CO₂-Abgaben abgeschafft, in China und im Nahen Osten existieren sie nicht. In Europa schon – mit fatalem Effekt: „Sie sollen Emissionen senken. Tun sie das? Nein. Sie zerstören europäische Industrie.“ Produktion wandert ab, Produkte kommen aus China zurück – mit höherem CO₂-Ausstoß, schmutzigeren Verfahren und langen Transportwegen. Crotty resümiert: „Arbeitsplätze gingen verloren – und der CO₂-Ausstoß ist gestiegen.“
Klimaregeln als Standortnachteil
Auch Jim Ratcliffe, Gründer und Mehrheitseigentümer von INEOS, rechnet ab. Er spricht von „völlig durchgeknallten“ Regeln, die Unternehmen sogar fürs Grünwerden bestrafen.
Wer früh CO₂ senkt, wird oft nicht belohnt, sondern landet in neuen Kosten- und Bürokratiefallen. Besonders umstritten ist der EU-Emissionshandel (ETS).
ETS: Stillstand belohnt, Innovation bestraft
Im ETS erhalten energieintensive Betriebe Gratiszuteilungen – kostenlose CO₂-Zertifikate, um Abwanderung zu verhindern. Fehlen diese, müssen Firmen Zertifikate teuer zukaufen.
Kritiker warnen: Das System trifft ausgerechnet die „Early Mover“. Wer früh modernisiert, riskiert Nachteile, weil Zuteilungen an alte Produktionsdaten und starre Benchmarks gekoppelt sind. Ergebnis: Stillstand lohnt sich – Innovation nicht.
Deindustrialisierung durch Regelwut? Wird Klimapolitik zum Standortnachteil, wandert Industrie ab – und das CO₂ entsteht anderswo. Genau deshalb gilt Europas Klimabürokratie zunehmend als Wettbewerbsproblem: viel Moral, wenig Marktlogik.
Chinas Abrissbirne trifft Europas Industrie
Das erste Warnsignal kam aus der Solarindustrie. Deutschland war einst Weltspitze bei Photovoltaik. Doch China baute mit massiven Subventionen binnen weniger Jahre eine komplette Lieferkette auf, flutete den Markt – und drängte europäische Hersteller hinaus. Als Brüssel reagierte, war es zu spät.
Dasselbe Muster zeigt sich nun in der Autoindustrie. Chinesische Hersteller wie BYD, stark staatlich unterstützt, drängen mit günstigen Preisen nach Europa. Die EU wurde erstmals Nettoimporteur chinesischer Autos – trotz Strafzöllen von bis zu 45 Prozent.
Eine Goldman-Sachs-Analyse zeigt: Europas Anteil an wichtigen Industrieexporten schrumpft, China holt in immer mehr Bereichen auf. Kurz gesagt: China gewinnt Marktanteile, Europa verliert Industrie.
Siechtum statt Innovation
Auch in der Pharmaindustrie fällt Europa zurück. Der Telegraph schreibt: „Von den zehn meistverkauften biologischen Arzneimitteln in Europa wurden 2022 nur zwei von EU-Unternehmen vermarktet.“
Der Grund: zu wenig Forschung, zu wenig Risiko. Europa investiert 2,2 Prozent des BIP in F&E, die USA 3,5 Prozent, Südkorea fast 5 Prozent. Europa, einst zweitinnovativste Region der Welt, ist abgestürzt. Tom Crotty bemerkt: „China meldet heute mehr Patente an als Westeuropa und die USA zusammen.“
Zukunft verpasst: Start-ups, KI, Internet
Europa hat die Internet-Revolution verpasst – und droht auch bei KI und Start-ups zurückzufallen. In 50 Jahren entstand in Europa kein Unternehmen mit über 100 Milliarden Euro Marktkapitalisierung. In den USA: sechs über eine Billion Dollar.
Xavier Niel meint: „Es fehlt nicht am Talent. Es fehlt an Unternehmern – und an einem Umfeld, das sie lässt.“ Tech-Firmen kämpfen mit einem Dschungel aus EU-Gesetzen. Das Bruegel-Institut zählt über 100 Vorschriften, verwaltet von mehr als 80 Behörden. Bank-of-America-Ökonom Claudio Irigoyen warnt: „Die KI-Revolution findet in den USA und China statt – nicht in Europa.“
Krise als letzter Weckruf
Auf Probleme reagiert Brüssel meist mit noch mehr Regulierung. „Europa spielt schon lange nicht mehr in der Champions League“, sagt Crotty. Vielleicht sei es bereits zu spät – nur eine echte Krise könne noch Reformen erzwingen.
Investoren wie Lord Jim O’Neill sehen enormes Potenzial – aber fehlenden Mut. Reformen kämen erst, „wenn es richtig weh tut“. Irigoyen fordert eine Schocktherapie. Spanien und Griechenland hätten gezeigt, dass Wachstum zurückkehren kann – nach dem Schmerz.
Zurzeit erfindet sich Europa nicht neu. Es verwaltet seinen Abstieg.
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