Finanzexperte: "EZB stimmt uns auf anhaltende Inflation ein"
“Zu spät und nicht genug”: So kommentieren sämtliche Wirtschaftsexperten die von der EZB angekündigte Anhebung des Leitzinses. In Wahrheit hat die EZB überhaupt kein Interesse, die Inflation energisch zu bekämpfen, sagt Prof. Markus Kerber (TU Berlin). Entlarvend sei die Rhetorik von EZB-Präsidentin Lagarde.
Europas Währungshüter leiten angesichts der Rekordinflation einen Kurswechsel ein – der eXXpress berichtete. Die milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe lässt die EZB mit 1. Juli auslaufen, darüber hinaus will sie bei der Sitzung am 21. Juli die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte anheben – zum ersten Mal seit elf Jahren.
Im Vergleich zu anderen westlichen Zentralbanken wie der Fed und der Bank of England ist die EZB damit dennoch das Schlusslicht.
In Wahrheit ist Preisstabilität nicht mehr das Ziel der EZB
Ginge es der EZB tatsächlich um Preisstabilität mit einer Inflationsrate von durchschnittlich zwei Prozent, wie offiziell als behauptet, müsste sie die Geldmenge sofort massiv verknappen, sagt Prof. Markus Kerber gegenüber dem eXXpress. Das hätte schon längst geschehen müssen, doch es geschieht auch jetzt nicht, sagt der Wirtschafts- und Finanzexperte. So bleibt etwa der Einlagezinssatz negativ. Hierbei geht es um Geldanlagen der Geschäftsbanken bei der EZB. Diese Negativzinsen kosten gerade deutsche und österreichische Banken Jahr für Jahr Milliarden Euro.
Bemerkenswert sei im übrigen die Wortwahl von EZB-Präsidentin Christine Lagarde: Mittlerweile soll das die Zwei-Prozent-Inflation nur “auf mittlere Zeit” erreicht werden. Damit schwächt die EZB die ursprünglich hart formulierten Ziele deutlich ab. Die Bürger werden so schrittweise auf eine anhaltend höhere Inflation vorbereitet.
Prof. Kerber: Die EZB will vor allem die Finanzminister der hochverschuldeten Südländer schonen
In Wahrheit gehe es der EZB schon längst nicht mehr um die Wahrung jener Preisstabilität, zu der sie sich eigentlich verpflichtet hat, sagt Kerber. Sie will die hochverschuldeten Südländer und deren Finanzminister schonen, und ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone verhindern. Deshalb sollen die Zinsen im Süden und in den nördlichen Staaten künstlich auf dem selben Niveau bleiben, was aber wettbewerbsverzerrend ist.
Mehr noch: “Die Südländer freuen sich über ihre Inflation. Wenn sie weiterhin so hoch oder noch höher bleibt, sind die Schulden in einigen Jahren weg!”, sagt Kerber.
Für sämtliche deutsche Top-Ökonomen ist die Erhöhung ungenügend
Auch andere deutsche Top-Ökonomen üben massive Kritik am langsamen Tempo der EZB bei den geplanten Zinserhöhungen. “Zu wenig und zu spät”, sagt sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. “Dieser Zeitplan ist immer noch zu zögerlich”, meint auch der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Christian Ossig.
Auch der Chef des ifo-Instituts, Clemens Fuest twittert: “Die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank ist ein richtiger Schritt, der aber zu spät kommt. Es war nicht akzeptabel, das die EZB bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihekäufen festgehalten hat.”
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