Hinter der Krise stehen nicht nur globale Marktverwerfungen – sondern vor allem die hohen Energiepreisen, CO₂-Steuern und bürokratischen Fesseln, die den Standort Deutschland ausbremsen.

Ein Industriezweig verliert den Atem

Was einst als Herz der deutschen Wertschöpfung galt, wird nun zum Sorgenkind der Wirtschaft: Die Chemieindustrie, über Jahrzehnte Garant für Exportstärke, Forschung und Beschäftigung, kämpft ums Überleben. Der Ifo-Geschäftsklimaindex für die Branche stürzte im Oktober auf minus 19,4 Punkte – ein drastischer Rückgang gegenüber dem Vormonat. Besonders alarmierend: Der Auftragsbestand fiel auf minus 68,9 Punkte, den niedrigsten Wert seit über 30 Jahren.

„Die Kombination aus schwacher Nachfrage, massiv gestiegenen Kosten und sinkenden Verkaufspreisen bringt die Unternehmen in eine gefährliche Schieflage“, warnt Ifo-Expertin Anna Wolf. Investitionen würden zurückgefahren, Personal abgebaut – und die Stimmung sei düster wie selten zuvor.

Hohe Energiepreise als strukturelle Bremse

Dass die Chemieindustrie unter Druck steht, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrelangen energiepolitischen Schieflage. Die Abkehr von günstigen russischen Gaslieferungen, die Einführung der CO -Abgabe und die anhaltende Unsicherheit über künftige Energiepreise haben die Produktionskosten explodieren lassen.

Für ein Land, dessen chemische Produktion stark auf energieintensive Prozesse angewiesen ist, bedeutet das eine existenzielle Bedrohung. In Ludwigshafen, Leuna oder Marl – dort, wo einst das Rückgrat der europäischen Industrie schlug – rechnen Konzerne wie BASF, Evonik und Covestro, aber auch Mittelständler längst nach, ob sich die Produktion überhaupt noch lohnt.

Der Preis staatlicher Eingriffe

Parallel zur Energiekrise lasten Bürokratie und Regulierungswut schwer auf den Betrieben. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, spricht offen von einem drohenden „Bürokratieinfarkt“.

„Es gibt zu viele Formulare, Nachweispflichten und Absurditäten“, kritisiert Entrup. „Die Regulierungsflut aus Berlin und Brüssel ist inzwischen belastender als die hohen Energiepreise.“ Viele Unternehmen fühlten sich von der Politik allein gelassen – und sehen sich gezwungen, Standorte ins Ausland zu verlagern.

Die Kapazitätsauslastung in der Branche liegt laut Ifo derzeit nur noch bei 71 %, deutlich unter dem Zehnjahresdurchschnitt von 81 %. Ein Wert, der zeigt, wie tiefgreifend der Strukturwandel bereits fortgeschritten ist.