Ex-Bundeskanzler Christian Kern schwärmt auf Facebook: „Ungarn modernisiert sein Bahnnetz in großem Stil.“ Er tritt wie ein stolzer Werbebotschafter eines Milliardenprojekts auf. Dabei geht es um einen Deal mit Viktor Orbáns Staatsbahn MÁV. Der ehemalige SPÖ-Chef ist CEO der Firma ELL (European Locomotive Leasing) und beliefert bzw. vermietet MÁV ab sofort mit modernen Siemens-Vectron-Lokomotiven. Die Abmachung ist ein zentraler Baustein der ungarischen Bahnoffensive, die Orbáns Regierung seit Jahren als Prestigeprojekt verkauft.

Damit ist MÁV neuer ELL-Partner; gemeinsam bringt man „ultramoderne Vectron-Loks“ in den ungarischen Personenverkehr. Für Ungarn ist das ein Kernstück der Modernisierung – für Kern ein geschäftlicher Volltreffer.

Ungarns größte Bahnoffensive seit Jahrzehnten

Budapest treibt seit Jahren eine Infrastruktur-Offensive voran. Die Erneuerung der Bahnflotte gilt als politisches Prestigeprojekt – und genau hier spielen Vectron-Lokomotiven eine Schlüsselrolle: moderne, leistungsfähige Traktion, rasch verfügbar. Zunächst wollte MÁV 115 Vectrons kaufen, doch das brachte man politisch nicht durch.

Ungarns Staatsbahn braucht einen Modernisierungsschub. Christian Kern liefert.APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Also folgte der Schwenk auf Leasing: schneller, flexibler, günstiger – und ELL liefert. Die Firma hat mit Siemens einen Rahmenvertrag über bis zu 200 zusätzliche Vectrons, 60 davon fix bestellt, Lieferstart 2025. Damit ist ELL prädestiniert, nationale Modernisierungsschübe wie jenen in Ungarn sofort zu bedienen.

Kerns Vorteil liegt also auf der Hand: Leasing statt jahrelanger Beschaffung, inklusive Wartung und Service im Full-Service-Modell – ein attraktives Gesamtpaket für jeden Staatsbahn-Manager.

Als ELL-CEO kann Christian Kern rasch und unkompliziert mit modernen Siemens Vectron aufwarten.APA/HELMUT FOHRINGER

Politisch hochbrisant

Wirtschaftlich ist alles sauber. Politisch aber entfaltet der Deal eine Ironie, die Polit-Beobachter staunen lässt. Denn ausgerechnet der Ex-Chef jener SPÖ, die Viktor Orbán seit Jahren als Gefahr für Demokratie, Rechtsstaat und Europa brandmarkt, steht nun an der Spitze eines Projekts, das Orbáns Prestigeoffensive befeuert.

Tradition trifft Moderne: die Bahnhofshalle in Budapest.APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Natürlich unterschreibt Kern keinen persönlichen Deal mit Orbán. Die Kooperation läuft zwischen einer Privatfirma und einem Staatsbetrieb. Aber die Optik bleibt bemerkenswert – zumal MÁV integraler Teil jener Infrastrukturpolitik ist, die Orbán als Erfolg präsentiert. Kern unterstützt den benachbarten Ministerpräsidenten bei seinem Vorhaben; ihm ist die Geldbörse wohl letztlich näher als das Parteibuch.

Aus Fairness-Gründen muss aber festgehalten werden: Auch als Bundeskanzler hatte Kern eine durchaus gute Gesprächsbasis mit Orbán und fiel nicht durch jene kritischen Aussagen auf, die man ansonsten aus den Reihen der SPÖ bis heute hört. Näher besehen kann man gewisse Widersprüche innerhalb der Sozialdemokratie da nicht so einfach wegreden.

Juli 2016: Ministerpräsident Orbán empfängt den damaligen Bundeskanzler Kern, der bemüht war, das bilaterale Verhältnis zu verbessern.APA/AFP/PETER KOHALMI

„Autokrat!“ – Babler warnt vor „Orbanisierung“

SPÖ-Chef Andreas Babler nannte Orbán offen einen „Autokraten“. Nach dem Empfang Viktor Orbáns im Parlament übte er scharfe Kritik am FPÖ-Chef und am freiheitlichen Nationalratspräsidenten. Babler wörtlich: „Kickl und Rosenkranz rollen dem Autokraten Orbán den blauen Teppich aus.“

Schon Anfang 2024 warnte Babler vor autoritären Mustern nach ungarischem Vorbild: Es drohe eine „Orbanisierung“.

Leichtfried und Rendi-Wagner: Orbán „untergräbt die Demokratie“

Auch der ehemalige SPÖ-Europasprecher und jetzige Staatssekretär für Staatsschutz, Jörg Leichtfried (SPÖ), hielt nicht lange hinterm Berg. Dass „Orbán die Demokratie in Ungarn untergräbt“, beklagte er. Der ungarische Ministerpräsident sei „ein antidemokratischer, antiwestlicher Politiker, der die EU zerstören will und als politischen Freund nur mehr Putin hat.“

Gipfeltreffens der EU Staats- und Regierungschefs im September 2017: Kern und Orban behielten eine gute Gesprächsbasis bei.APA/BKA/ANDY WENZEL

Ex-SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner warnte 2020 vor Orbáns Notstandsgesetzen: „Orbán verordnet der ungarischen Demokratie auf unbestimmte Zeit Quarantäne.“ Er mache das Parlament „handlungsunfähig“, das sei „völlig inakzeptabel“.

Faymann: „unverantwortlich“ – und der historische Tiefschlag

Einen Tiefpunkt erreichten die österreichisch-ungarischen Beziehungen im Jahr 2015 unter Kerns Vorgänger Werner Faymann. Der damalige Bundeskanzler scheute sich nicht, Orbáns Flüchtlingspolitik mit den dunkelsten Kapiteln der europäischen Geschichte zu vergleichen. „Orbán handelt unverantwortlich“, erklärte Faymann, und dann folgte der umstrittene Satz: „Flüchtlinge in Züge zu stecken … weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents.“

Vor diesem Hintergrund wirkt Kerns Lob für Ungarns Bahnoffensive wie ein politischer Szenenwechsel. Natürlich ist es ein Geschäftsverhältnis. Aber wer Hightech-Loks liefert, stärkt auch Orbáns Modernisierungsnarrativ.