Top-Blockchain-Experte: Erstmals können wir Werte über das Internet übertragen
Was das Besondere an der Blockchain-Technologie ist, welche Chancen sie birgt, etwa beim Schutz von Eigentums- und Urherberrechten, aber auch welche Gefahren – vom neuen Methoden für das organisierte Verbrechen bis hin zur totalen Überwachung durch den Staat – all das erklärt der Top-Blockchain-Experte Thomas Nägele im eXXpress-Interview.
Was kann die Blockchain-Technologie, was das Internet bisher nicht konnte?
Erstmals ist es mittels dieser Technologie möglich, nicht nur Informationen zu übertragen, sondern auch Werte mittels Tokens. Eigentlich ist die Blockchain-Technologie eine raffinierte Kombination bereits bestehender IT-Technologien, um nicht kopierbare Informationen herzustellen und diese dann leicht zu übertragen.
Nun kann man Werte schon jetzt im Internet übertragen, Geldbeträge etwa über das Online-Banking. Was ist das Neue?
Das Neue ist, dass es nun ohne Bank funktioniert! Um zu verhindern, dass Werte vervielfältigt werden – zum Beispiel beim Online-Banking – brauchte es bisher eine zentrale Stelle, die einen Server betreibt, oder ein IT-System, das alle Information darüber behält, wer über wie viel verfügt. Bei der Blockchain-Technologie ist das ohne zentralen Intermediär möglich. Das Vertrauen entsteht durch die Ausgestaltung der Technologie allein.
Einfachere Übertragung von Eigentumsrechten
Wie würden sie die Blockchain-Technologie mit wenigen Worten erklären?
Stark vereinfacht beschreibt Blockchain eine Kette von Blöcken, die Datensätze enthalten. Die einzelnen Blöcke werden chronologisch nacheinander gereiht und mittels eines Hashwertes – eines „digitalen Fingerabdrucks“ – des vorhergehenden Blocks verkettet. Um Manipulationen zu erschweren wird das aus diesen Datensätzen bestehende Hauptbuch, von einer möglichst grossen Anzahl von Nutzern dezentral gespeichert – ein sog. verteiltes Hauptbuch, auf Englisch „Distributed Ledger.
Token sind Bausteine für Operationen mit Kryptowerten: Erst wenn man einen gültigen Token besitzt, darf man eine Transaktion auf der zugehörigen Blockchain ausführen.
Im Jänner 2020 hat Liechtenstein das erste umfassende „Blockchain-Gesetz“ (Token- und VT-Dienstleister-Gesetz, TVTG) als Rechtsgrundlage für die Token-Ökonomie weltweit in Kraft gesetzt, Nägele war Mitglied der Arbeitsgruppe der Regierung.
Wo werden Ihrer Meinung nach abseits von Kryptowährungen die Anwendungsgebiete liegen?
Wo es überall Sinn macht, wird sich im Einzelfall zeigen, aber ich sehe das Anwendungsgebiet recht breit. Fakt ist: Werte unserer Wirtschaft können nun durch Token repräsentiert werden. Über Token können zum Beispiel Eigentumsrechtsrechte übertragen werden, damit werden Prozesse in der Wirtschaft einfacher, effizienter und rechtssicherer.
„Man kann viele Rechte erstmals digital abbilden“
Können Sie konkrete Anwendungsfälle nennen?
Grundsätzlich lässt das Gesetz (TVTG) die Repräsentation von allen Rechten in Token zu, ein Beispiel wäre, die Aktionärsrechte in Token zu repräsentieren. Mit anderen Worten: Als Aktionär einer Gesellschaft bekommen Sie nicht mehr eine Urkunde, ein Inhaberpapier oder ein Aktienzertifikat, sondern Sie erhalten einen Token, mit dem Sie Ihr Stimmrecht ausüben und ihre Dividende einfordern können. Die Dividendenauszahlung kann man ebenfalls an die Blockchain-Adresse schicken. Das kommt bereits heute bei der Gründung von Gesellschaften und zur Unternehmensfinanzierung selbiger zum Einsatz; über den Primärmarkt als öffentliches Angebot von Token („STO“, sog. Security Token Offering). Über einen Sekundärmacht wären diese Anteile dann auch handelbar, hier bestehen vor allem noch regulatorisch große Herausforderungen. In der klassischen Welt geschieht der Handel beispielsweise über hochregulierte Börsen.
Ein anderes Beispiel wäre die Repräsentation von Rechten an Sachen. Das Eigentumsrecht an einer Uhr kann digital durch einen Token repräsentiert werden. Man kann nun also ganz viele Rechte erstmals digital abbilden und sie somit leicht in digitale Prozesse einbinden. Damit wären sie auch besser handelbar. Weitere aktuelle Anwendungsbeispiele wären die Verwertung von Rechten an geistigem Eigentum oder auch die Eigentumsrechte an einem Gemälde. Diese könnte man tokenisieren und so würde es vielen Menschen ermöglicht, zumindest Miteigentümer am Gemälde zu werden.
Blockchain könnte beim Urheberrecht helfen
Lizenzen und andere Dokumente kann man bekanntlich auch fälschen. Wie sicher ist die Blockchain-Technologie?
Identitäten kann man vergleichsweise leicht fälschen, Blockchain könnte auch hier gute Lösungen bieten. Das könnte auch beim Urheberrecht hilfreich sein: Als Schöpfer muss man vereinfacht gesagt beweisen, dass man der erste ist, der etwas geschaffen hat. Das kommt bei der Blockchain zum Tragen, die einem den Nachweis erlaubt, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Werk erschaffen hat.
Der bekannteste Anwendungsfall der Blockchain-Technologie sind Kryptowährungen wie Bitcoin. Wie stehen Sie dazu?
Das wirklich Spannende ist für mich die Technologie, aber Bitcoin ist ein unbestreitbar interessanter Anwendungsfall. Ob sich Kryptowährungen im Alltag durchsetzen werden, ist eine gesonderte Frage. Mich als Anwalt interessieren vor allem die regulatorischen Fragen. Was ist ein Bitcoin? Ist er als Handelsware zu sehen? Immerhin ist das Bezahlen mit Bitcoin bei Dienstleistungen bereits möglich. Die Skalierbarkeit und die geringen Transaktionskosten sind zwei von mehreren Gründen für die Attraktivität. Auch die Tauschfunktion einer Währung ist durch diese Technologie auf jeden Fall möglich. Aber ob es am Ende die Zentralbanken sein werden oder private Währungen, bei denen sich die Anwendung der Blockchain-Technologie durchsetzt, ist weniger relevant. Ich bin davon überzeugt, dass die Technologien für Beides genutzt werden wird.
Der Staat könnte auch die totale Überwachung schaffen
Birgt die Blockchain-Technologie auch Gefahren? Einerseits sind kriminelle Tätigkeiten denkbar, die Staaten nicht mitbekommen. Andererseits, wenn sämtliche Prozesse digitalisiert werden: Könnten dann Staaten die totale Überwachung der Bürger mit Hilfe der Blockchain-Zechnologie realisieren?
Klar: Der Umgang mit der Blockchain-Technologie kann in beide Richtungen gehen. Diese Technologie ermöglicht private Transaktionen, die von den Behörden nicht oder nur sehr schwer überwacht werden können, weshalb sie auch für Terrorismus und Geldwäsche eingesetzt werden kann. Andererseits könnte der Staat mit ihrer Hilfe eine totale Überwachung schaffen. Beides ist für mein Dafürhalten wenig wünschenswert. Die zweite Gefahr halte ich aber für noch größer. Es braucht einen vernünftigen Mittelweg: Man muss die Privatsphäre der Bürger wahren und die legitimen Interessen des Staates wie beispielsweise die Verhinderung der Finanzierung von Terrorismus und Geldwäscherei verhindern. Das Schöne daran ist aber gerade, dass Blockchain hier Lösungen bieten könnten.
Könnten Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?
Wenn wir unsere Prozesse digitalisieren, besteht tatsächlich das Risiko, dass der Staat überall Einsicht nehmen kann. Ein Teil der Lösung wäre hier: Der Staat bekommt gewisse Informationen gar nicht mit, weil sie nicht übertragen werden müssen. Ein Beispiel: Jemand kauft eine Zigarettenpackung. Von Interesse wäre nur das Alter des Käufers, falls er erst ab einem bestimmten Alter Zigaretten kaufen darf. In der Transaktion könnten nun automatisiert geprüft werden, ob der Käufer alt genug ist. Nicht nötig ist die Übermittlung des Geburtsdatums oder weiterer Informationen. Somit wäre auf der anderen Seite die Privatsphäre geschützt, denn Name und anderes gehen den Staat und den Trafikanten nichts an. Die Transparenz für den Staat muss also auf die wirklich rechtlich benötigten Informationen beschränkt werden. So stelle ich mir einen vernünftigen Ansatz vor.
Oft wirft man Bitcoin vor, Instrument für Geldwäsche und Ähnliches zu sein.
Ich glaube heute wäre es sehr kurzsichtig, mit Bitcoin kriminelle Aktivitäten zu finanzieren, denn gerade bei Bitcoin kann man die Transaktionen öffentlich einsehen. Es gibt aber völlig anonyme Kryptowährungen, und die könnte man sehr wohl dafür verwenden. Dann wird es auch für die Strafverfolgung schwierig.
Thomas Nägele stieß 2011 während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Wien erstmals auf Bitcoin. Nebenher hat er damals Software entwickelt, teilweise auch verkauft und lizensiert. „Das war zwar nicht meine Berufung, ich hatte aber Spaß daran“, erzählt er. Allerdings hat er sich auf diesem Weg technologische Kompetenz angeeignet. So war es nicht verwunderlich, dass kurz nach Gründung seiner eigenen Kanzlei im Jahr 2015 die ersten Kunden mit Anliegen rund um Kryptowährungen zu ihm kamen. „Hier liegt ein Schwerpunkt unserer Kanzlei. Wir beraten täglich zu Kryptowährungen, Token und allen rechtlichen und aufsichtsrechtlichen Fragen, die blockchainbasierte Geschäftsmodelle mit sich bringen.“
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