Moral-Schlacht im Netz wegen enthüllter Affäre: Pranger oder Gnade?
Im Internet gehen die Wogen hoch. Grund dafür ist die auf dem Coldplay-Konzert aufgedeckte Affäre zwischen einem Manager und seiner Personalchefin. Ganz besonders heftig wird unter christlichen Influencern debattiert. Einige heißen den digitalen Pranger gut, den das Paar erfährt, andere weisen darauf hin, dass „niemand fehlerlos” sei – und Jesus anders reagiert hätte.
Der durch die „Kiss-Cam" aufgedeckte Seitensprung erregt die Gemüter im Netz. Screenshots / Instagram / exxpress-Collage
Das „Kiss-Cam“-Video, dass die Affäre des Ex-CEOs der US-IT-Firma Astronomer Andy Byron mit seiner Personalchefin entlarvte, sorgt für wilde Diskussionen in den sozialen Medien. Ist ein Seitensprung moralisch vertretbar? Ist wiederrum die Zerstörung der Privatsphäre des Paars durch die Verbreitung des „Kiss-Cam“-Videos auf Instagram, TikTok und Co., das die Beziehung zwischen den beiden ans Licht brachte, ethisch korrekt?
Viele Influencer kommentierten den Vorfall, der die Gemüter erregt – darunter auch christliche. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Dieses Jesus-Zitat aus dem Neuen Testament verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Social-Media-Posts vieler gläubiger Influencer. Jasmin Friesen, eine junge deutsche Instagrammerin mit über 80.000 Followern, verfasste einen Beitrag mit dem Titel „Die ganze Welt wirft mit Steinen. Während Jesus sagt: ‘Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein’“.
Dann kritisiert sie den „Hass“ den „Spott“ und die „Häme“, die den Ehebrechern im Netz entgegenschlägt. „Jesus hat nicht mit Steinen geworfen: Er hat vergeben. Er hat in die Herzen geschaut, nicht auf die Schlagzeilen“, schreibt sie auf ihrem Account mit dem Namen „liebezurbibel“.
„Andy Byron verdient es, beschämt zu werden“
Auf der nächsten Slide rügt die frisch Verheiratetet einen christlichen-konservativen US-Influencer, der in seinem YouTube-Video behauptet „Andy Byron verdient es, beschämt zu werden“ – mit anderen Worten: Der Gründer einer konservativen NGO findet es gut, wenn Verheiratete, die Affären eingehen, quasi öffentlich an den Pranger gestellt werden. „Diese Leute sind wirklich das Letzte“, sagt Charlie Kirk. Später im Video, dass über 3.000 Mal kommentiert wurde, gibt er den „Ratschlag“: „Hör auf, mit Leuten befreundet zu sein, die Ehebruch begehen“.
Friesen kommentiert das YouTube-Video mit den Worten: „Das ist nicht christlich. Denn Gott beschämt nicht. Er ruft zur Umkehr“. In einem letzten Slide schreibt sie, dass es weniger „Spott, Verachtung und Ausgrenzung“ brauche, dafür mehr „Wahrheit und Gnade“.
Dass das Thema „Affäre“ die Menschen anscheinend sehr beschäftigt, zeigt sich in der Anzahl der Likes: Friesens Post wurde über 11.000 Mal geliked. Zum Vergleich: Ihre anderen Instagram-Beiträge haben meist nur zwischen 1.000 und 3.000 Likes. Das YouTube-Video von Kirk wurde über 300.000 Mal angesehen – in nur drei Tagen.
„In unserer Kultur wird Untreue fast beworben“
Jemand, der das Problem in seiner gesamten Komplexität erfasst, ist der US-Priester Father Leo. Ihm folgen auf Instagram 120.000 Personen. Die von der Kiss-Cam aufgenommene Szene sei ein perfektes Beispiel, um den Unterschied zwischen Schuld und Scham zu verstehen, meint er. Das Video eigne sich hervorragend für eine Analyse unserer Gesellschaft, denn: „Sünde ist weit verbreitet und wird fast gefeiert. In unserer Kultur wird Untreue fast beworben. Deshalb ist das, was hier passiert, nicht nur ein Ergebnis der gebrochenen menschlichen Natur, sondern auch von einer Welt, die verrückt geworden ist und an Moral verloren hat“, sagt der Priester.
Doch er bietet noch eine andere Perspektive: Am Ende des Tages seien wir alle Menschen und wir alle fallen. Es sei nicht gut, Schadenfreude gegenüber dem vor der Kamera gedemütigten Paar zu empfinden. „Ich hoffe, dass alle, die hier involviert sind, Versöhnung erfahren“, sagt Father Leo am Ende des Videos – und fordert dazu auf, für alle zu beten, die in diese unangenehme Situation verwickelt sind. Das Video des Priesters hat über 10.000 Likes bekommen.
Es ist faszinierend zu beobachten: Obwohl Affären in Zeitungsartikeln und Hollywood-Filmen als „normal“ dargestellt werden – wie der US-Priester richtig sagt –, das Netz trotzdem so empfindlich reagiert, wenn ein Seitensprung „in Echt“ passiert. Vielleicht zeigt die Debatte auf: Trotz dem „anything goes“, das westliche Gesellschaften propagieren, gibt es doch immer noch einen moralischen Kompass in uns, der uns anzeigt, was richtig und was falsch ist.
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