Alex Todericiu: Initialzündung
Die US-Sicht der National Security Strategy of the United States of America vom November 2025 ist nicht als Bedrohung unter POTUS – Unterschrift zu begreifen, sondern als Anstoß zur Selbstprüfung Europas. Der zündende Funke für diese Veränderung liegt aber nicht in Washington, sondern muss aus Europa selbst kommen.
Europa braucht mehr Europa – doch welches? Immer deutlicher prägt die Wiederkehr nationaler Selbstbehauptung die öffentlichen Debatten. Das Selbstbild des Kontinents wirkt aber brüchig: Sein Wohlstand besteht fort, doch die gemeinsame Orientierung scheint verloren. In der jüngsten National Security Strategy erscheint Europa als warnendes Beispiel – geschwächt nicht durch äußeren Druck, sondern durch innere Selbstverzwergung.
Europa habe an Gewicht in der Weltwirtschaft verloren und sehe sich der Aussicht einer zivilisatorischen Auslöschung gegenüber. Für Washington ist dieses Nachlassen keine bloße Entwicklung, sondern Ausdruck einer strukturellen Schwäche: einer politischen Kultur, die Konflikten ausweicht, Entscheidungsfähigkeit mit Konsens verwechselt und Souveränität zunehmend an transnationale Verfahren abtritt. Das Ergebnis ist ein Partner, dessen Verlässlichkeit aus US-amerikanischer Sicht nicht mehr als selbstverständlich gilt.
Doch diese Diagnose ist mehr als ein Urteil, sie ist ein Spiegel. Bedeutung in der Weltpolitik ist kein Erbstück; sie muss immer wieder neu erarbeitet und verteidigt werden. Wer seine Grundlagen – ökonomisch, politisch, kulturell oder geistig – vernachlässigt, verliert nicht nur Einfluss, sondern schließlich auch Selbstvertrauen. Zwischen den Zeilen der amerikanischen Selbstkritik lässt sich eine Mahnung mit Präsidentensiegel lesen: Ordnung verlangt Prioritäten. Ohne sie bleibt Politik vielleicht eine Liste guter Absichten.
Europäischer Richtungsverlust
Europa leidet heute. Es fehlt eine von seinen Völkern getragene Vorstellung davon, wofür unser Reichtum – nicht nur der pekuniäre – eigentlich eingesetzt werden soll.
Nicht die Existenz transnationaler Mechanismen schwächt Europas Handlungsfähigkeit, sondern ihr Gebrauch. Das Papier aus Washington formuliert es fast wohlwollend: „We want Europe to remain European, to regain its civilizational self-confidence.“ Eine Anerkennung und eine Warnung zugleich. Sie appelliert an Europa, sich seiner kulturellen, geistigen und politischen Eigenständigkeit wieder bewusst zu werden und daraus Kraft zu schöpfen.
US-Einladung
Die Müdigkeit Europas ist kein Schicksal, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen in Brüssel, aber nicht nur dort. Gerade deshalb ist sie umkehrbar. Dieser Weg verlangt Zeit, klare Prioritäten, Mut und einen erneuerten Verantwortungswillen gegenüber den Völkern unseres Kontinents. Das 21. Jahrhundert gewährt keinen Aufschub. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang entfaltet sich längst eine strategische Konkurrenz, der wir uns nicht mehr entziehen können.
Europa erscheint in diesem Licht fast wie ein Spiegelbild seiner selbst. Eine leise, beinahe goethesche Verfremdung – weniger von Gefühl als von klarem Nachdenken getragen – könnte heilsam wirken. Vielleicht birgt sie jene Initialzündung, die auch im griechischen Verständnis von arché und kairos mitschwingt: den Ursprung als Moment der Entscheidung. In der heutigen US-Perspektive eröffnet sich so die Möglichkeit, unseren Kontinent neu zu betrachten und sein Verhältnis zur Welt wie zu sich selbst mit größerer Nüchternheit zu prüfen.
Kommentare