Die EU betont, dass ein Friedensabkommen ohne die Beteiligung der Ukraine und Europas nicht möglich sei. Während die Ukraine im Krieg mit Russland steht und keinerlei offene diplomatische Kanäle nach Moskau besitzt, führt Europa zwar keinen Krieg, hat jedoch seine eigenen Verbindungen zum Kreml nahezu eingefroren. Damit hat es sich selbst an den Rand der Einflussmöglichkeiten manövriert: ein Umstand, der vor allem den Vereinigten Staaten in die Hände spielt.

In dieser frostigen Atmosphäre stellt sich die Frage, ob das Reich der Mitte, heute Moskaus Freund, bereit sein könnte, eine aktivere Rolle in möglichen Verhandlungen zu übernehmen. Der „wundersame Mandarin“ – einst Bezeichnung für einen hohen chinesischen Beamten – scheint gefragt wie selten zuvor. Doch eine solche Vermittlerrolle birgt nicht nur Chancen, sondern auch erhebliche Risiken.

Ist der Friedensplan eine Chimäre? Je nach politischer Wetterlage scheint er sich in alles und nichts zugleich zu verwandeln. Mitunter heißt es, die USA hätten gemeinsam mit Russland – unter Ausschluss der EU – ein mögliches Abkommen skizziert; dann wiederum sei der Entwurf kaum mehr als eine Wunschliste Moskaus. Für die einen wirkt er wie ein politischer Schlag gegen die Ukraine und Europa, getragen von Isolationisten im Umfeld Donald Trumps; für andere ist er eher Ausdruck von Trumps transaktionalem Politikverständnis und des neuen amerikanischen Zeitgeistes.

Das Einzige, was sich mit Gewissheit sagen lässt: Die EU saß nicht mit am Tisch, falls ein solcher Tisch überhaupt existiert hat. Europa verfügt weder über eine für seine Bürger nachvollziehbare, kohärente Strategie noch über ausreichende finanzielle und militärische Mittel, um die Ukraine bis zu einem „gerechten Frieden“ oder bis zu einer möglichen politischen Neujustierung in Washington nach den Midterms 2026 zu unterstützen.

Die chinesische Karte

Ist die sogenannte „chinesische Karte“ jener unscheinbare, vielleicht aber entscheidende Zug, der wie ein wundersamer Mandarin im rechten Moment auftritt und das gesamte Machtgefüge ins Rutschen bringen könnte?

„Präsident Xi hat mich eingeladen, im April nach Beijing zu reisen – eine Einladung, die ich angenommen habe“, schrieb Trump auf Truth Social. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz forderte China dazu auf, stärkeren Einfluss auf Russland auszuüben. Für 2026 plant auch er eine Reise nach Peking.

Den USA wie Europa käme es dieser Tage durchaus gelegen, wenn China sich in mögliche Verhandlungen einbringen würde, denn eine weitere gewichtige Macht am Tisch könnte den diplomatischen Dunst zumindest mit etwas mehr “Würde” lichten.

Für das Reich der Mitte, so Staatspräsident Xi Jinping in einem Telefonat mit Trump, sei aber die Rückkehr Taiwans zu China ein zentraler Bestandteil der internationalen Nachkriegsordnung.

Die zyklische Geschichtsauffassung

„Große Unordnung unter dem Himmel, um große Ordnung unter dem Himmel zu erreichen“ ist eine Denkformel die dem Diktator Mao Zedong (1893–1976) zugeschrieben wird. Sie beschreibt ein Weltbild, in dem gesellschaftliches Chaos als notwendige Durchgangsphase zu einer “höheren Ordnung” gilt. Erst wenn die bestehende Ordnung ins Wanken gerät, Konflikte offen ausbrechen und „große Unruhe“ herrscht, sei – aus Maos Perspektive – der Boden für eine neue, gerechtere Ordnung bereitet. Gerade im Licht seiner blutigen sog. „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ (1966-1976) zeigt sich, wie gefährlich diese Vorstellung sein kann: das sog. schöpferischen Chaos sei ein legitimes Mittel zur „Reinigung“ der Gesellschaft. Dieser Satz, als Verdichtung dieser Ideologie, wirkt bis heute im chinesischen politischen Denken nach; insbesondere dort, wo seit jeher zyklische Geschichtsauffassungen verbreitet sind. Vae victis.

Unabhängige und souveräne Großmächte

Der rote Teppich war wieder ausgerollt, als Frankreichs Präsident Macron zu seinem vierten Besuch in Peking eintraf. Xi betonte, China unterstütze alle Bemühungen um Frieden in der Ukraine, lehne jedoch „jedwede unverantwortlichen Versuche ab, Schuld zuzuschreiben“. Die EU erwähnte er in seinen öffentlichen Ausführungen jedoch nicht. Stattdessen sprach Xi von den „unabhängigen und souveränen Großmächten“ Frankreich und China.

Diese rhetorische Aufwertung Frankreichs sowie die demonstrativ herzliche Behandlung Macrons lassen erkennen, wie China im geopolitischen Spannungsfeld mit den USA seine Einflussmöglichkeiten sorgfältig auslotet – einschließlich der Annäherung an einzelne EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, dessen Rolle als Atommacht zusätzliche Bedeutung verleiht.

Die chinesische Regierung hält sich zu den wechselnden Friedensinitiativen für die Ukraine bedeckt. Nicht ohne Grund: Schon vor zwei Jahren hatte Xi einen eigenen „Friedensplan“ präsentiert – ohne dass daraus etwas erwuchs.

„Unter dem Himmel herrscht großes Chaos, die Lage ist ausgezeichnet“ – auch eine jener Formeln, die Mao häufig zugeschrieben werden, ohne je eindeutig belegt zu sein und die doch den Nerv der Gegenwart treffen. Selten zuvor schien unsere Welt so aus den Fugen und selten zugleich so voller neuen Möglichkeiten. Das Durcheinander ist vollkommen und vielleicht beginnt gerade deshalb eine neue, ungleich gefährlichere Ordnung.