Im Frühjahr 1989 baute Ungarn die Grenzbefestigungsanlagen an der österreichisch-ungarischen Grenze ab, der Eiserne Vorhang war bald Geschichte. Bedingt war dies durch die seit 1988 gewährte völlige Reisefreiheit der Ungarn und die immensen Kosten der Grenzanlagen, die mittlerweile anachronistisch und überflüssig waren. Allein, sie dienten der Fluchtvereitelung der Bürger der DDR und anderer sozialistischer Staaten. Der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn durchtrennten symbolisch und medienwirksam ein Stück wiederaufgebauten Stacheldrahts am 27. Juni 1989 an der Grenze Klingenbach-Sopron, um der ganzen Welt zu beweisen: Ungarn macht sich frei. Wenigen war bekannt, dass diese Szene eine wohlfeile Inszenierung war, freilich eine, die wirkmächtig und folgenschwer werden sollte.

Durch diese Nachrichten angespornt, suchten immer mehr DDR-Bürger das berühmt-berüchtigte Schlupfloch im Zaun. Sie verfolgten feinsinnig die Entwicklungen, die sich im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet abspielten. Dabei halfen ihnen viele Ungarn bei der Flucht über die grüne Grenze. Auf österreichischer Seite wiederum waren zahlreiche Bürger unterwegs, um die verirrten Ostdeutschen auf österreichischer Seite, in der Freiheit, willkommen zu heißen. Nicht selten standen Schilder: „Sie sind in Österreich. Keine Gefahr mehr. Wir helfen.“ Beim Paneuropäischen Picknick am 19. August 1989 in Sopron kam es mit über 600 DDR-Flüchtlingen zur größten Massenflucht in der Geschichte der DDR. Die ungarischen Grenzsoldaten beschlossen, nicht einzugreifen, Oberstleutnant Árpád Bella wurde so zum Helden dieses Grenzdurchbruchs. Ein österreichischer Beamter brachte ein in Ungarn zurückgebliebenes Kleinkind in die Arme seiner schon in Österreich angekommenen Eltern – nicht im Sinne der Dienstvorschriften, aber im Sinne einer gelebten Menschlichkeit, Gott sei Dank! Die verstört rennenden Menschen aus der DDR brachten schließlich die greise Staats- und Parteiführung der DDR aus dem Kreis der seriösen Gesprächspartner. Die Berliner Mauer fiel kurze Zeit später, Deutschland konnte wiedervereint werden.

Ohne Österreich wäre die Flucht nicht gelungen

Bei diesen Fluchtbewegungen halfen die Österreicher komplikationslos und altruistisch. Sie ließen die Ungarn gewähren, halfen den verzweifelten DDR-Bürgern bei der Ankunft in Österreich und versorgten sie mit Speis und Trank. Auch nach der allgemeinen Grenzöffnung am 11. September 1989 rollte eine Lawine der Hilfsbereitschaft durch die Alpenrepublik. Ohne Österreich wäre die Flucht nicht gelungen! Die österreichische Politik gewährte großzügig Durchreise in die Bundesrepublik Deutschland und kooperierte mit Bonn und Budapest in hervorragender Weise. Bis in den Herbst gelangten schätzungsweise mehr als 50.000 Menschen aus der DDR nach Westdeutschland. Die Freiheit begann in Ungarn – doch Österreich half tatkräftig mit, diese auch wahr zu machen. Durch diese Sternstunde der Menschheit bleiben die Deutschen, allen voran die Ostdeutschen, den Ungarn auf alle Zeiten verbunden. Doch der Dank sollte auch Österreich gelten – Politik, Diplomatie, Bürgergesellschaft halfen mit, die Menschen zu versorgen und sie in den freien Teil Deutschlands zu geleiten. Dieses große Verdienst Österreichs wurde in der Geschichtsschreibung selten genannt. Heute sagen wir DANKE!