Bence Bauer: Orbáns EU-Reform
Anders als von vielen seiner politischen Gegner behauptet, verfolgt Viktor Orbán keine antieuropäische Politik. Ganz im Gegenteil: Seine Visionen von einem starken Europa gründen auf der Erkenntnis, dass sich die EU verändern muss, um zu bestehen, schließlich handelt nur derjenige europäisch, der die Defizite erkennt, aufzeigt und sie beseitigen will.
Das Reformkonzept des ungarischen Ministerpräsidenten wurden Anfang September 2025 einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei ist es das Credo des seit 2010 regierenden Regierungschefs, eine handlungsfähige und souveräne Europäische Union zu schaffen, die ihre Interessen weltweit erkennt, artikuliert und entsprechend auftritt. So gesehen zeugte auch die ungarische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 von der Ambition, Europa groß und stark zu machen, um auf internationaler Bühne erfolgreich auftreten zu können. Das Motto war auch entsprechend „Make Europe Great Again“. Von dieser Zielsetzung handelt auch die Strategie der Konnektivität, die Ende 2023 präsentiert wurde und die einen wichtigen Meilenstein auf dieser Zielerreichung darstellt. Zentrales Element dieser Großstrategie ist, dass Ungarn – oder auch Europa – mit möglichst vielen weltweiten Akteuren gute Beziehungen in Handel, Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehrswege, Vernetzung, Diplomatie aufbaut, um durch eine integrierte Welt Kriegs- und Abhängigkeitsrisiken zu minimieren. Eine auf Konnektivität bauende internationale Ordnung verhindert die Herausbildung von geopolitischen Machtblöcken, die sich gegeneinanderstellen können.
Die in diesem Zusammenhang nicht wegzudenkenden Pläne einer Reform der Europäischen Union fußen auf der Annahme, dass sich die Union in vielen Bereichen überdehnt hat und durch ihren schieren Regelungswahn und die schleichende Kompetenzanmaßung ein gedeihliches Auskommen ihrer Mitglieder zusehends erschwert. Eine vertiefte Integration um der vertieften Integration willen ist aber nicht sachgerecht, sondern erzeugt Spannungen und Konflikte, immer weniger Mitgliedsländer seien dann an einer Mitgliedschaft interessiert. Ein Beispiel für eine solche fehlgeleitete Politik sei zum Beispiel die gemeinsame Verschuldung, die die EU-Mitglieder ohne sachlichen Grund aneinanderbinde, da sie staatlichen Charakter annehme. Eine etwaige Mitgliedschaft der Ukraine würde die Verschuldung wachsen lassen.
Reformierte EU als Lösungsmöglichkeit
Eine Lösungsmöglichkeit wäre nach Orbán eine reformierte EU, die sich in vier konzentrischen Ringen aufgebaut flexible Integrationsmodelle aufzeigen könnte. Dieses Konzept ist nicht zu verwechseln mit dem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, in der alle dasselbe Ziel verfolgen. Vielmehr könne die zirkelförmige EU-Struktur sicherstellen, dass sich alle Länder mit ihren jeweiligen Interessen vertreten sehen. In einem ersten Kreis müssten die Länder zusammenarbeiten, die die militärische und die Energiesicherheit gemeinsam bewerkstelligen wollen. Hier könnten auch das Vereinigte Königreich, die Türkei und auch die Ukraine Platz finden. In einem zweiten Kreis wären die Länder des gemeinsamen Markts zu nennen. In einem dritten Kreis kämen zusätzlich diejenigen hinzu, die sich auch einer gemeinsamen Währung verschrieben hätten. Erst in einem letzten, vierten Kreis sollten die Themen beinhaltet werden, die eine vertiefte politische und gesellschaftliche Kooperation zum Gegenstand haben in Fragen wie etwa der Migration, der Gesellschaftspolitik, der Rechtsstaatlichkeit.
Der ungarische Ministerpräsident hat damit zum wiederholten Male bewiesen, dass er es mit der Zukunft der EU ernst meint. Seine Reformvorstellung könnte eine wahre Überlebensstrategie einer durch Krisen gebeutelten EU werden – es lohnt sich, darüber nachzudenken!
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