Bernhard Heinzlmaier: #allesdichtmachen – der Künstlerskandal
Wir haben wieder einen Skandal. Aber es ist kein Skandal, der praktische und lebensrelevante Dinge wie Altersarmut, Jugendarbeitslosigkeit oder die verheerenden Arbeitsbedingungen in den Betriebsstätten des digitalen Kapitals betrifft, das gerade dabei ist, sich Europa untertan zu machen.
Es geht wie so oft in der letzten Zeit darum, dass jemand eine Meinung vertreten hat, die der linken Twitter-Subkultur und ihren Verbündeten in den dominanten Medienapparaten nicht passt.
So haben es 50 Schauspielerinnen und Schauspieler gewagt, Corona-Politik und Corona-Kommunikation der Regierenden zu kritisieren. Sie haben weder das Corona-Virus geleugnet, noch zu illegalen Demonstrationen aufgerufen, noch haben sie für rechtsdemokratische oder rechtsradikale Parteien und Organisationen geworben. Ihnen ging es darum Angst- und Panikmache, Untertanenmentalität und den kopflosen Regierungsstil der politischen Eliten ironisch durch den Kakao zu ziehen.
Passiver Widerstand
Man kann sich ja durchaus fragen, ob es strategisch richtig war, einen halbherzigen Teil-Lockdown nach dem anderen über 1,5 Jahre hinweg zu verhängen und ob es nicht besser gewesen wäre, Menschen in Altersheimen von Anfang an besser zu schützen und das Impfwesen professioneller zu managen. Und auch über die Corona-Kommunikation sollte man sich öffentlich Gedanken machen dürfen, lässt sich doch heute anhand von diversen Studien zeigen, dass die Versuche, die öffentliche Meinung durch verhaltensökonomische Sprachtricksereien in die gewünschte Richtung zu steuern, so primitiv waren, dass die Bevölkerung, vor allem aber die Mittel- und Unterschichten, sich wie regredierte Kinder behandelt fühlten und passiven Widerstand zu leisten begannen.
Erhobener Zeigefinger
Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Österreich und in Deutschland gibt es deutliche Mehrheiten, die die Schließung von Schulen, Kindergärten, Sportstätten, Gastronomie, Geschäften und Friseurläden nicht für angemessen halten. Darüber hinaus ist während der Zeit der Pandemie das Vertrauen der jungen Menschen in Parlamente, Regierungen und die Europäische Union auf einen historischen Tiefststand gesunken. Das Vertrauen in Journalisten und Zeitungen war schon davor katastrophal niedrig.
Ohne auch den Versuch einer verstehenden Rezeption der Videos der Kritiker zu unternehmen, haben die üblichen Verdächtigen sofort damit begonnen, die Schauspieler und Künstler ins rechte Eck zu drängen oder zu nützlichen Idioten der Rechten herabzuwürdigen. Jan Josef Liefers wurde im WDR wie ein kleiner Schuljunge verhört und am Ende mit erhobenem Zeigefinder gemaßregelt.
Die letzten Zugpferde vom Hof getrieben
Und Jan Böhmermann? Die Krone der deutschen Satire, dessen schnarrende Stimme klingt, als würden Stahlruten auf entblößte Körper einschlagen und der immer arrogant mit erhobenem Kinn über die Menge blickt, als würde ein Armeeoffizier der 1950er Jahre gerade eine Standeskontrolle abnehmen, der kleinkarierteste Erbsenzähler aller Sprachpolizisten, wirft diesmal gleich mit ein paar tausend Toten und der Intensivstation der Charité nach den „Abweichlern“. Subtil ist das gerade nicht, war aber auch von Böhmermann nicht anders zu erwarten, vor allem, wenn er als Vertreter des öffentlich-rechtlichen Wohlfahrtsausschusses der deutschen Bundesregierung, der ARD, im nonkonformistischen Hinterhof des Kulturbetriebes der Republik für Ordnung sorgen muss.
Und vergessen sollte man keinesfalls auf den einen SPD-Rundfunkrat, ehemaliger Minister und Berufspolitiker, der den Ausschluss von Jan Josef Liefers, Meret Becker und Co aus den Eigenproduktionen der ARD gefordert hat. Eine faszinierende Idee. Vor allem wenn man weiß, dass der durchschnittliche ARD-Seher um die 60 Jahre alt ist. Da ist es natürlich würdig und recht, wenn man die letzten Zugpferde für junge Zielgruppen vom Hof treibt.
Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.
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