Bernhard Heinzlmaier: Die alte Welt liegt im Sterben, die Neue ist noch nicht geboren
Der Titel dieser Kolumne ist ein Zitat des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. Er wurde jahrelang in den Kerkern der Faschisten gequält und starb entkräftet kurz nach seiner Entlassung. Gramsci hat seinen Worten aber noch einen Zusatz hinzugefügt. Er lautet: Es ist die Zeit der Monster, schreibt eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier.
Übergangszeiten sind nach Gramscis Auffassung Zeiten des Monströsen. Irrsinnige treten auf die politische Bühne, wahnwitzige Theorien und Weltbilder breiten sich aus, es herrscht grenzenlose Aufgeregtheit und die Vernunft ist in einen tiefen Schlaf gefallen. In solchen Zeiten leben wir auch gerade jetzt. Sie erinnern viele nicht zu Unrecht an die Zwischenkriegszeit, die Weimarer Republik, die Zeit des Austrofaschismus. In solchen Zeiten sind die Gegensätze so stark, dass man zwischen ihnen nicht vermitteln kann. Alle agieren, als ginge es immer ums Ganze, als würde gerade jetzt der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Himmel und Hölle in seine finale Phase treten. Wenn es um alles geht, dann ist jedes Mittel recht, dann sind es interessanterweise aber gerade die Moralisten, die glauben, dass wer im Dienste des Guten kämpft, von jeglicher Moral entbunden ist. Solche Zeiten sind Zeiten der Bespitzelung, der grenzenlosen Übertreibung, der Tatsachenverdrehung, der Inquisition, der Gnadenlosigkeit.
Die listigen Herausforderer der Herrscher werden später selbst gleichgültige Tyrannen
Angesichts dieser Umstände ist mir die soziologische Theorie von den Löwen und den Füchsen von Vilfredo Pareto in den Sinn gekommen. Pareto nennt die Machthaber, die schon lange und saturiert auf ihren Machtpositionen sitzen, Löwen. Träge und selbstgefällig geworden, sind sie primär damit beschäftigt, ihre Macht zu erhalten. Ihre Methoden der Machterhaltung sind nicht gerade intelligent und raffiniert. Wenn sie Gefahren für ihre Herrschaft aufziehen sehen, dann reagieren sie wuchtig und undifferenziert. Sie schicken ihr Gefolge, das sie durch wohl dosierte Zuwendungen in Abhängigkeit gebracht haben, mit dem Auftrag aus, ihre Feinde gnadenlos auszumerzen. Ihnen gegenüber stehen die Füchse. Sie sind geschickt und wendig. Listig fordern sie die plump und schwerfällig gewordenen alten Herrscher heraus. Übernehmen sie die Herrschaft, dann sind sie zu Beginn reformfreudig und volksnahe. Mit der Zeit werden aber auch sie fett und träge und verwandeln sich nach und nach in egozentrische, unnahbare und gleichgültige Tyrannen. Es braucht dann neue mutige Füchse, die die verbrauchten Herrscher stürzen und sich an deren Stelle setzen. Der Kampf der Füchse gegen die Löwen ist die ewige Wiederkehr des Gleichen. Diese Geschichte endet nie. Das Alte und Abgelebte muss dem neuen Platz machen. Kampflos geht das aber niemals vonstatten.
Löwen, die das Ende ihrer Herrschaft kommen sehen, verwandeln sich in Monster
Wenn die Löwen fühlen, dass das Ende ihrer Herrschaft gekommen ist, verwandeln sie sich in Monster. Hasserfüllt und boshaft verteidigen sie ihre Macht. Überall sehen sie den Feind am Werk, überall den Leibhaftigen aus der Hölle aufsteigen. Und wo keine Gefahr herrscht, erfinden sie eine. Endzeitnarrative werden verbreitet, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Regierungen Österreichs und Deutschlands sind ausgebrannt und entkräftet. Sie sind geistlos, ideenlos und planlos. Das Einzige, was diese Regierungen der ermüdeten Löwen noch zusammenhält, ist die Angst vor dem Verlust von Macht und Privilegien. Zudem sind die Machtklüngel untereinander zerstritten und ihre Mitglieder hassen sich gegenseitig mindestens so tief, wie sie ihre Gegner hassen.
Das politische Klima ist total vergiftet, die Sprache verkommen. Wer kritisiert, dass zu wenig diplomatische Anstrengungen unternommen werden, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, wird zur „Putinhure“ erklärt. Das erinnert fatal an die Nazizeit, in der man Frauen, die mit Juden verkehrten, als „Judenhuren“ bezeichnet hat. Später traf der Hurenbann junge Mädchen und Frauen, die in der Nachkriegszeit mit amerikanischen Soldaten liiert waren. Sie wurden mit dem Begriff „Ami-Huren“ stigmatisiert. Als „collaboration horizontale“ bezeichnete man im Nachkriegsfrankreich die sexuellen Beziehungen von Französinnen mit Deutschen. Solche Frauen wurden von einem hysterischen Rache-Mob ergriffen, man schor ihnen die Haare, riss ihnen die Kleider vom Leib, erniedrigte sie öffentlich. Ein Ritual, das irgendwie an den Umgang mit Hexen im Mittelalter erinnert.
Einer der gefährlichsten Hetzer ist Böhmermann
Ja, es ist ganz richtig, die Sprache legt gnadenlos das pervertierte Innenleben ihrer Sprecher bloß. Vor allem bei Männern, die schnell mit dem Hurenwort zur Hand sind oder mit dem Vergewaltigungsrecht der alten Gutsherren Witze treiben, ist man froh, dass uns ihre innersten Vorstellungen verborgen bleiben. Wahrscheinlich sind sie tickende Zeitbomben. Anomische Zustände wie Kriege bringen sie zur Explosion, wie man zuletzt in Palästina gesehen hat. Besonders treffen Hass und Wut jetzt die AfD- und FPÖ-Wähler und es ist auch klar warum. Denn es sind die Rechtsparteien, die die Macht der Löwen am stärksten bedrohen. Deswegen herrscht in den Palästen der Macht Angst und Panik und man entwickelt dort Konzepte für einen hybriden Kampfeinsatz gegen sie. An vorderster Front werden dabei die Staatsmedien eingesetzt.
Einer der gefährlichsten Hetzer der Staatsmedienmaschine ist der deutsche Hass-Aktivist Böhmermann. Böhmermann und seine fürchterlichen Epigonen sind in einem Punkt im Übrigen alle gleich. Nach feigen und hinterhältigen kriminellen Attacken verstecken sie sich hinter dem Stilmittel der Ironie. Selbst der eindeutige Aufruf, die als Nazis etikettierten AfD- und FPÖ-Wähler zu „keulen”, wird als witzig-bissige Stichelei abgetan. Die Künstler und Kulturschaffenden, auch das muss einmal gesagt werden, waren schon immer die treusten Verbündeten der mächtigen Löwen. Selbst große Geister wie Georg Lukács, Bertolt Brecht, Richard Strauss, Martin Heidegger, Herbert Karajan oder Maxim Gorki unterwarfen sich des materiellen Vorteils wegen und um ihre Eitelkeit zu befriedigen, dem linken oder rechten Totalitarismus, je nachdem, welcher ihnen gerade zur Hand war. Schon Lenin hat darauf hingewiesen, dass Künstler und Intellektuelle „schwankende“ Gesellen sind, und er hatte damit absolut recht. Sie kippen einmal auf diese und einmal auf jene Seite, am wichtigsten ist dabei in der Regel der persönliche Vorteil.
Amerika ist ein im Abstieg begriffener, dekadenter Staat
Heute kippen die Künstler gerne nach links, weil von dort die Subventionen ergiebig sprudeln. Dort werden sie von den alten Löwen hofiert, glorifiziert und finanziert, das gefällt ihnen. In Österreich kennt man ja die Truppe derer recht gut, die immer zur Stelle ist, wenn es irgendwo eine „kritische“ linke Petition zu unterschreiben gibt. Aber auch die internationalen Stars sind gleichermaßen opportunistisch. Gerade hat sich anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz Sharon Stone hervorgetan und die Verhaftung von Donald Trump gefordert. Hillary Clinton, die den Aufstieg von Trump gemeinsam mit ihrem Mann durch eine Politik im Interesse des neoliberalen Börsenkapitals erst möglich gemacht hat, stand zustimmend daneben.
Amerika scheint überhaupt komplett von der Rolle zu sein. Nicht nur, dass die Demokraten dort einen offensichtlich dementen Präsidenten, der unlängst mit dem toten Françoise Mitterrand gesprochen zu haben glaubt, unbeirrt für eine zweite Legislaturperiode durchdrücken wollen, sind die führenden Medien des Landes davon überzeugt, dass die Popsängerin Taylor Swift der wahlentscheidende Faktor bei der Präsidentenkür sein wird. Damit ist der Wahnsinn wohl perfekt. Auf eine serielle Blondine, deren Stimmchen genauso dünn wie ihre Figur ist und die ein Beleg für die kulturindustriell hergestellte Geschmacksumnachtung der Massen ist, hört das amerikanische Wahlvolk, wenn es zur Urne schreitet. Sollte das wahr werden, dann ist der Beweis endgültig dafür erbracht, dass Amerika ein im rasanten Abstieg begriffener, dekadenter Staat ist.
Nehammer und Scholz haben ihren Zenit längst überschritten
Die Löwen der Politik machen sich gerade lächerlich. Ihre Machtinszenierungen sind genauso eine Farce wie ihre rhetorischen Holzhammerattacken. Es prägt sich auch in der Politik eine Böhmermannkultur aus, wie in Österreich zuletzt Nehammer, Kogler und Babler gezeigt haben. Alle drei glauben, dass sie Wahlen gewinnen werden, wenn sie Menschen, die für jeden erkennbar keine Nazis sind, als Faschisten titulieren. Ein Irrglaube, denn der Bürger durchschaut sofort, dass hier keine souveränen Politprofis am Werk sind, sondern eine verzweifelte Jagdgesellschaft, die Kickl dämonisieren muss, weil sie ihm intellektuell und rhetorisch in keiner Weise gewachsen sind. Wären sie wirklich fähige Politiker, dann würden ihnen die sogenannten Rechtspopulisten nicht dermaßen auf der Nase herumtanzen.
Es wird nicht der die Wahl gewinnen, der am lautesten und am meisten empört gegen einen frei erfundenen neuen Faschismus randaliert. Denn je ungestümer, emotionaler und lauter die Macht wird, desto mehr zeigt sie ihre Schwäche. Oder um es mit den Worten des Philosophen Byung-Chul Han zu sagen: „Je mächtiger die Macht ist, desto stiller wirkt sie. Wo sie eigens auf sich hinweisen muss, ist sie bereits geschwächt.“ Ob Nehammer in Österreich oder Scholz in Deutschland, beide haben ihren Zenit längst überschritten. Sie sind schwache Löwen, denen die Massen längst entglitten sind. Und während sie Zeter und Mordio schreien, haben sich die listigen Füchse längst im Vorraum der Macht niedergelassen. Dort müssen sie nur mehr darauf warten, bis das Volk die abgelebten Alphafiguren endgültig verstößt und sie deren Plätze einnehmen können. In Österreich wird das wohl nicht bei der kommenden Nationalratswahl passieren, bei der darauffolgenden aber sicher.
Kommentare