Bernhard Heinzlmaier: Der Wokismus als neuer Glaube einer moralüberfressenen Kultur
Es kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass die Linke in ihrer Gesamtheit eine Kulturvernichtungsbewegung geworden ist. Es gibt faktisch nichts mehr, was diese politische Richtung an unserer Lebensführung zu bejahen imstande ist. Mit der Nazikeule in der Hand wird alles zusammengedroschen, was sich als Rohstoff für ein positives Narratives über unsere Lebensart eignen würde.
Heimat oder gar Vaterland dürfen wir nicht mehr sagen, Traditionen dürfen wir nicht mehr leben, unsere Sprache dürfen wir nicht mehr pflegen, unsere Grenzen dürfen wir nicht mehr schützen und unser kulturelles Erbe und seine überlieferten Feste müssen aus der Wirklichkeit weichen. Das Weihnachtsfest sollen wir verschämt hinter verschlossenen Türen feiern, der Nikolaus darf nicht mehr in den Kindergarten kommen oder er wird von der Katholischen Jungschar dekonstruiert, indem ein Mann oder eine Frau in „Zivil“ vor den Kindern erscheint und sich dann nach und nach als Nikolaus verkleidet. Alles Geheimnisvolle und Magische wird so „mit Butz und Stingl“ ausgemerzt oder wenn es überleben darf, dann nur als demoliertes wokes Residuum, kaum wiederzuerkennen, weil es nur dieserart ausgedünnt und unkenntlich gemacht die sensiblen Seelen der zu uns Geflüchteten nicht verletzen kann. Im Gegensatz dazu tritt der Islam, die aggressivste Religion, die wir gegenwärtig in unseren Breiten kennen, breitbeinig und meist wutentbrannt auf. Wer den tobenden Horden, die den Wahlsieg Erdogans oder die Ermordung von 1400 Juden durch die Hamas feiern, in die Quere kommt, der hat schlechte Karten, denn die Leute sind zu allem entschlossen. Unsere Kultur hingegen hat das letzte Quäntchen Widerständigkeit und Willen zur Selbsterhaltung in Selbstzweifeln und Opferlust erstickt. Selbst die Polizei zieht verunsichert den Schwanz ein, wenn sie den kämpferischen und unerschrockenen Recken gegenübertreten muss, die dem ursprünglichen Naturzustand näher sind, als wir, die wir Angehörige einer Kultur sind, die ihre Identität und ihren Selbstwert in Abstraktionen, Ideologien und selbstquälerischen Schuldgefühlen aufgelöst hat.
Moralüberfressene Ziellosigkeit
Eine Kultur, die sich selbst Moral in einer dermaßen großen Überdosis zuführt, wie wir es tun, kann nicht überleben. Wer sich für alles Böse in der Welt als erste Adresse für Schuldzuschreibungen annonciert, der muss untergehen, denn wer immer reinen Herzens und gerecht zu sein versucht, der kann nicht auf einem Planeten überleben, den die nur notdürftig verhüllte Monstrosität des dionysischen und triebhaften Urmenschentums beherrscht. Schon Freud hat darauf hingewiesen, dass die Firnis der Zivilisation dünn ist. Unter der porösen und brüchigen kulturellen Deckschicht lauert der nackte Höhlenmensch, der lügt, betrügt, stiehlt und mordet. Was im Menschen steckt, zeigt nicht zuletzt der Überfall der Hamas auf Israel. Im männlichen Rudel ist er dazu in der Lage, eine junge Frau zu Tode zu vergewaltigen und sie danach noch als halbnackte Leiche in einer Art Triumphzug der johlenden friedliebenden Bevölkerung des Gaza-Streifens wie ein dem Feind abgejagtes Totemtier vorzuführen. Ja, das ist widerlich, aber es gehört genauso zum Wesen des Menschen wie die überragende tugendhafte Größe des katholischen Priesters, der sich im KZ anstelle eines Mithäftlings zum Erschießungsplatz bringen lässt. Naturgemäß muss jene Kultur, die nur mehr an das priesterliche im Menschen glaubt, untergehen oder wird unterworfen, wie einst die Römer, als diese aufgehört haben, den Limes ordentlich instand zu halten, denn Feinsinnigkeit, Mitleidigkeit und Kultiviertheit werden niemals der rohen Gewalt eines anstürmenden Kriegsvolkes gewachsen sein, das seine Waffen zu führen weiß. Seit der französischen Revolution war die Linke eine aufstrebende Bewegung. Weder Adel noch das biedere Bürgertum waren ihr langfristig gewachsen. Wichtige Voraussetzung für den Aufschwung der Linken und für ihre Siege war, dass sie mitleidslos und nicht wählerisch bei der Wahl ihrer Mittel gegen jeden Widerstand anrannten und ein klares Ziel vor Augen hatten, die klassenlose Gesellschaft, das Paradies auf Erden.
Unsere Zivilisation ist im Abschwung, weil wir moralüberfressen sind und kein Ziel mehr haben, für das es sich zu kämpfen lohnt. Im Gegenteil, wir sind schon zufrieden damit, wenn wir das erhalten, was wir haben oder davon nicht zu viel abgeben müssen. Selbst der Imperialismus, unsere europäische Erfindung, ist lahm geworden. In den Zentren der imperialistischen Monopole hat sich die woke Endzeitreligion eingenistet, die irrigerweise daran glaubt, dass kulturelle Selbstaufgabe und lustvolle Selbstgeißelung dauerhaft wirksame Produktivkräfte sein können. Das ist aber ein fundamentaler Irrtum, denn wenn man dem Kopftuch der muslimischen Frauen als emanzipatorisches Symbol zujubelt, werden am Ende auch die westlichen Frauen unter dem Kopftuch gehen. Denn der Islam ist keine tolerante Lehre, die zum Pluralismus neigt. Vielmehr ist er eine Religion, die nicht nur daran glaubt, über die einzige Wahrheit zu verfügen, das glauben die Christen ja auch, sondern zudem auch noch das Selbstbewusstsein und die Kraft hat, diese auch ausnahmslos und für alle zu dekretieren und durchzusetzen. Zu einer solchen imperialen Großtat ist das Christentum zu schwach, weil es mit der westlichen Kultur insgesamt in die Agonie der Dekadenz gefallen ist und die Dekadenz ist immer anspruchslos.
Immer in der Nähe: Ein Gott, der hochgradig erregt
Slavoj Žižek hat einmal geschrieben, dass wir in der westlichen Welt nur so tun, als ob wir nicht an Gott glauben würden. Insgeheim glauben wir weiter an Gott, unser Gott ist aber keine transzendente Allmacht, sondern wir suchen ihn in der Immanenz. Die neuen Götter sind also diesseitige Fetische, die wir voller Inbrunst und Hingabe umtanzen. Offenbar gehört es zur Natur des Menschen, dass er etwas anbeten muss und wenn nichts anderes zur Hand ist, dann werden, wie bei den sogenannten Cargo-Kulten, ein paar alte Flugzeugteile zum Kultobjekt. Einer der Fetische der immanenten, also diesseitigen, Religionen ist die Wissenschaft. Dem entsprechend lautet das Glaubensbekenntnis der Postmoderne: „Glauben wir an die Wissenschaft.“ Und der neue Glaube hat auch schon seine Priester, die Scientists for future. Und wie die Katholiken einst mit dem Spruch „Gott will es“ zum Kreuzzug aufriefen, so heute die Scientists mit dem Slogan „Die Wissenschaft hat sich entschieden“. Neuer Gott und alter Gott treffen sich hier in aller Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. Und war widerspricht, über den kommt die heilige Inquisition. Und genau dieser bin ich unlängst begegnet, als ich im Auto die Nachrichten auf Radio Wien gehört habe. Dort handelte die erste Meldung über Faktenchecker, die davor warnen, dass angesichts des Klimagipfels in Dubai das Internet mit „Fake News“ überschwemmt wird. Im Kern bedient sich das Böse, das immer und überall ist, folgender Narrative: die fossilen Energieträger haben Zukunft, Wasserstoff ist eine sinnvolle Energiequelle und die Atomkraft sollte man nicht abschreiben. Wir können davon ausgehen, dass diese Meinungen bald genauso zu Nazi-Speech erklärt werden, wie jetzt schon die Begriffe „Heimat“, „national“, „Elite“, „Grenzkontrolle“ oder „Lohn-Preis-Spirale“. Und damit solche satanischen Begriffe nicht verwendet werden, gibt es vom Staat mit unseren Steuermitteln geförderte Einrichtungen, wie die linksradikale Amadeu Antonio Stiftung in Deutschland, die dann genau überprüft, wer solche Begriffe verwendet und gleichzeitig Straf- und Sühneverfahren vorschlägt, die auf solche „Begriffs-Nazis“ anzuwenden wären.
Die Linke ist zu einer Religionsbewegung der Immanenz jenseits aller Vernunft geworden. Sie hat sich von der materialistischen marxschen Interessenspolitik und damit von den abhängig Beschäftigten abgewendet und der woken akademischen Morallehre der Privilegierten zu. Eine Ikone der neuen Linken ist die Reemtsma-Erbin Luisa Neubauer. Aus Dubai schickte sie eine bestürzende Nachricht an die Welt. In Dubai hätte es gefühlte 7000 Grad. Die Sonnenoberfläche bringt es übrigens auf 6000 Grad. Tatsächlich hat man in Dubai 33 Grad gemessen. Das ist um sieben Grad weniger, als ich vor 20 Jahren ungefähr zur selben Zeit dort war. Neubauer hat die Botschaft mit vor Entsetzen geweiteten Augen ins Internet hineingesprochen. Wie das Glaubensikonen eben tun. Sie sind meistens echauffiert, weil immer ein Gott in ihrer Nähe ist, der sie hochgradig erregt. Manche von ihnen haben in der Vergangenheit ihren Glauben mit den Wundmalen Christi bewiesen. Wir können davon ausgehen, dass uns auch Neubauer demnächst ähnliches vorführen wird. Und das alles, um für ihre Glaubenslehre, die postkritische Wissenschaft, Zeugnis abzulegen. Andere haben dieses Spektakel anzubeten oder zu schweigen, sonst droht die Inquisition. „Roma locuta, causa finita.“ Das neue Mittelalter hat begonnen.
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