Diskurs und Widerspruch geht es an die Gurgel

Als ich zuletzt wieder einmal alles hinwerfen und dauerhaft in die norddeutsche Abgeschiedenheit flüchten wollte, hat mich folgender lässig hingeschriebener Gedanke davon abgehalten: „Jeder weiß jetzt, dass Widerspruch-Vertragen-können ein hohes Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der höhere Mensch den Widerspruch gegen sich wünscht und hervorruft, um einen Fingerzeig über seine ihm bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen.“ Mit einem Mal war mir klar, dass es in der Politik keine höheren Menschen mehr gibt. Denn nichts wird dort mehr bekämpft als der Widerspruch. Und einen Fingerzeig über ihre unbekannte Ungerechtigkeit scheint auch kein Politiker nötig zu haben. Das kann nicht hingenommen werden, dachte ich, und schob meine Abreise auf. Was mich gerade nachdenklich stimmt, ist der Umstand, dass es erscheint, als wolle man den Lebenselixieren der freien westlichen Kultur, dem Diskurs und dem Widerspruch, an die Gurgel gehen. Immer umfangreicher wird das Unsagbare und Ungebührliche, das von einem gnadenlosen Ensemble aus Werten, Normen, Regeln und Konventionen erzeugt wird. Und immer wieder fallen mir die Worte eines Freundes aus dem fernen Ausland ein, der, wenn er in Österreich oder Deutschland war, sagte: „Bei euch ist ja im Prinzip alles verboten und davon gibt es dann ein paar Ausnahmen.“ Dass diese Aussage der Wahrheit nahe kommt, ist mir zum Beispiel zuletzt bewusst geworden, als ich mit einem T-Shirt aus dem Haus gegangen bin, auf dem die „Augengranate“ von Guy Debords Situationistischer Internationale abgebildet war, eine Handgranate, aus der ein riesiges Auge blickt. Es ist ein Symbol für eine Gesellschaft, deren Menschen nur dann zufrieden sind, wenn sie täglich mit einem Übermaß an spektakulären Medienbildern versorgt werden. „Zieh das aus. Das sorgt sicher wieder für Missverständnisse und macht dir Probleme“, meinte meine Frau. Ich ließ es an, um nur kurze Zeit später von einem ängstlich blickenden Studiomitarbeiter darauf angesprochen zu werden. „Ist das nicht ein wenig provokant“, meinte er. Nach einem kurzen Verweis auf den kunstgeschichtlichen Hintergrund der Darstellung war er beruhigt. Passiert ist danach nichts. Nicht einmal Olga Voglauer von den Grünen hat mich angezeigt. Und die ist, was das betrifft, ziemlich verlässlich.

Die Wahrheit ist ab sofort verboten

Wenn man davon ausgeht, dass die Wahrheit die Perspektive ist, aus der der einzelne Mensch oder Gruppen von Menschen die Wirklichkeit sehen, dann leben wir in einer Zeit, die ängstlich auf der Flucht vor der Wahrheit ist. Es ist geradezu selbstgefährdend, eine eigene Meinung oder eine persönliche Sichtweise zu haben. Sieht man beispielsweise eine Rede von Robert Habeck im Fernsehen und es kommt in einem das Wort Schwachkopf hoch, sollte man diese verbale Emotion keinesfalls auf X publizieren. Liest es nämlich eine der Organisationen, die für Habeck das Internet nach Beleidigungen durchkämmen, dann wird man angezeigt, der Staatsanwalt schickt einem die Polizei für eine Hausdurchsuchung und danach ist das Leben der Familie nie mehr so, wie es davor war, weil die Kinder von nun an täglich Angst haben, dass die Polizei wieder kommt. Mir ist zuletzt zum Beispiel nach einem Nehammer-Video, das ich im Internet gesehen habe, der Begriff „geistlose Stereotypenschleuder“ durch den Kopf geschossen. Ich habe den Begriff natürlich nicht ins Social Media-System unter Klarnamen eingeschleust, weil ich weiß, dass mich meine Frau durchaus aus dem Haus werfen könnte, wenn wegen meiner Sucht zum Widerspruch die Polizei in den frühen Morgenstunden unsere Kinder für ihr Leben traumatisieren würde. Aber genau das ist ja der Grund, warum Politiker wie Habeck, Baerbock oder die ständig auf Krawall gebürstete Liberale Strack-Zimmermann das Wahlvolk unentwegt mit Abmahnungen und Klagen überziehen. Sie wollen das, was man früher einmal den Souverän genannt hat, durch Einschüchterung weitgehend aus dem Kreis der höheren Kultur, die auf Diskurs und Widerspruch beruht, hinausdrängen und zum brav vor sich hin äsenden Herdenvieh in einer niedrigen Kulturstufe zurücktransformieren. Aufschauen soll die Herde ängstlich zu ihrem Gott und seinen Priestern. Widerspruchslos zur Kenntnis nehmen soll sie die Wahrheit, die die Mächtigen verkünden. Ziel ist es, dass das aufgeklärte sapere aude durch eine Art Gottesliebe zur weltlichen Herrschaft ersetzt wird. Leute wie Habeck oder auch der Nehammer „Koarl“ hätten es am liebsten, wenn ihre Untertanen vor ihnen, wie einst Caren Miosga bei Robert Habeck im ZDF-Studio, wie Sklaven der Leidenschaft hinschmelzen würden. Die postmoderne Politik will angebetet werden wie das chinesische Gotteskaisertum. Denn dem Gläubigen ist alles gerecht, was von oben kommt. Er unterwirft sich dem Wort Gottes. Nur der Ungläubige widerspricht und wird deshalb verdammt. Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass die dem vernünftigen Wort entfremdete und den emotionalen Bildmedien verfallene Postmoderne zumindest in ihrem Unbewussten wieder hin zum Götzendienst will. Und Politiker erkennen dies und versuchen zunehmend, sich dem Volk in der Götzenrolle anzubieten, siehe Habeck. Ihnen gefällt daran, dass das Wort eines Gottes Wirklichkeit schafft. Der Realität der materiellen Raum-Zeitlichkeit ist ein Gott entzogen. Denn er spricht nur ein Wort und sein Wille geschieht. Und genau das findet der politische Narziss richtig geil.

Absurdes Theater

Der Nehammer „Koarl“ und sein Außenminister, der Brunner Magnus, haben sich offensichtlich vor den Nationalratswahlen im Sommer 2024 zumindest in der Rolle von mächtigen Demiurgen gesehen. So hat der „Koarl“, als er aus Brüssel zurückgekommen ist, verkündet, dass er von dort 500 Millionen Euro für die Hochwasserhilfe mitbekommen hätte. Doch das Wort ist nicht wahr geworden, die 500 Millionen sind die Einbildung des „Koarl“ geblieben. Ebenso ist die Budgetweissagung des heiligen Magnus nicht wahr geworden. Er glaubte ja, mit seinen magischen Kräften die explodierenden Staatsschulden wegzaubern zu können. Den Fiskalrat, der seiner Lehre nicht gefolgt ist, hat er der Ketzerei bezichtigt. Am Ende musste er nach Brüssel flüchten, denn die Wahrheit war stärker als seine göttliche Magie. Die Republik sitzt nun mit um die 30 Milliarden Euro Neuverschuldung da. Die Maastricht-Grenzen wurden gesprengt, es droht die EU-Schuldenregulierung. Ein Gott hat sich geirrt.

Dass sich Menschen für Götter halten, ist nichts Neues. Es gibt Anstalten, die sind voll mit Cäsaren, Königen, großen Feldherren und Religionsführern. Aber sie haben dort keine gläubige Gefolgschaft, sondern gütige Leute umgeben sie, die sich liebevoll um sie kümmern. In Österreich und Deutschland aber nimmt man die Halluzinationen von Fantasten für bare Münze. Und folgt ihnen nach, auch wenn es offensichtlich ist, dass sie wahnverwirrt sind oder hochstapeln. Ein unbeirrbarer Tross von Künstlern, Wissenschaftlern, Journalisten, Medienmanagern etc. folgt ihnen zum Geleit. Und auch wenn sie den Staat destabilisieren, ruinöse Kriege auslösen und führen, Epidemien zum Wohle der Pharmaindustrie erfinden, die Menschen wochenlang zu Hause einsperren, die Grenzen öffnen, um halb Afrika aufzunehmen oder eine ruinöse grüne Transformation in Szene setzen, bleibt der Widerspruch überschaubar. Offenbar leben wir in einer Zeit der narkotisierten Vernunft. Jenseits des Willens zur Aufklärung angekommen, ist an die Stelle des kritischen Diskurses die Lust an der Unterwerfung getreten. Dass man sich aber ganz offensichtlich vor Hanswursten niederwirft, gibt der ganzen Szenerie einen bizarren bis absurden Anschein. Manchmal hat man das Gefühl mitten in einer Aufführung der Nashörner von Ionescu zu sein. Die entfesselten Trampeltiere laufen aus und ein, aber niemand scheint mehr den Willen aufzubringen, sich gegen sie zur Wehr zu setzen.