Bernhard Heinzlmaier: Was auf der Demo gegen die Zuckerl-Koalition wirklich passiert ist
Die Wahrheit ist eine Frage der Perspektive, hat einst Friedrich Nietzsche gesagt. So viel Demut der Wahrheit gegenüber ist längst nicht mehr üblich, im Gegenteil, vor allem die Vertreter des politischen Mainstreams glauben heute die Wahrheit gepachtet zu haben und lassen alle, die auch nur den kleinsten Einwand gegen ihre Dogmen vorzubringen wagen, die Macht des Staates spüren. Die Linke hat heute immer recht. Sie hat die Oberhoheit über die Bedeutung der Begriffe und darf sie unwidersprochen als giftige Etiketten verwenden, um politisch Andersdenkende anzuprangern und abzuwerten. Links ist gut und rechts ist böse, das ist eines der grundlegenden Dogmen unserer Zeit.
Wer seine Kultur erhalten will, ist ein Faschist
Einer der obersten Herrscher über die Richtlinien des „demokratischen“ Diskurses ist unser alter Bundespräsident. Manchmal mutet er wie ein ägyptischer Gottkönig an, wenn er entscheidet, was Recht ist und was Unrecht, welche Person haram und welche halal ist. Gegenwärtig ist die FPÖ, vor allem aber ihr Vorsitzender Herbert Kickl, haram. Warum? Weil er freche Reden schwingt, nicht zu den anbefohlenen, öffentlichen Verhören des Staatsfunks am Küniglberg antritt und einen Asylstopp verlangt. Und natürlich ist er auch haram, weil er unsere muslimischen Neubürger und ihr konquistadorisches Gehabe kritisiert. Es ist ja generell einer verdächtig, ein Faschist zu sein, wenn er sich zur überlieferten Kultur seines Landes bekennt und diese erhalten will. Geeignet, einer Regierung anzugehören, ist nur der, der der Buntheit huldigt und damit seine kulturelle Identität bereitwillig auf dem Altar der multikulturellen Identität opfert. Menschen, die nicht bereit sind, Favoriten oder Ottakring fremdländischen Kalifen oder Imamen freudig zu übergeben, sind keine Demokraten, genießen keine Persönlichkeitsrechte und sind dementsprechend politisch vogelfrei. Man darf sie deshalb mit allen Namen des Satans etikettieren und ihnen den Zugang zu Regierungsverhandlungen verweigern. Andere hingegen, die in roten Büchern den Anstoß zur Demokratisierung der Sowjetunion und ihrer Trabanten durch Gorbatschow als „Liquidierung des Sozialismus“ und „antisozialistischen Putsch“ bezeichnen, verdienen das Vertrauen des alten Herrn. Einer von ihnen wird wohl auch von diesem demnächst als Vize-Kanzler angelobt werden. So viel vorerst aus Absurdistan, der kleinen Anderswelt des Bundespräsidenten in der Hofburg.
Es geht um den Kanzlerthron und nichts anderes
Während es um den alten Herrn still geworden ist, seit Wochen ist nur sein lautes Schweigen vernehmbar, sind die, die sein Vertrauen genießen, hyperaktiv. Karl Nehammer, Comandante Babler und Beate Meinl-Reisinger arbeiten, wenn auch nur zu den Amtsstunden, in größter Intensität an der Bildung der nächsten Regierung. Sie soll das Beste aus den drei Welten der ÖVP, SPÖ und Neos beinhalten. Das wären dann Steuersenkungen, Einführung von Erbschafts- und Vermögenssteuer und die Abschaffung der Flächenkollektivverträge. Dass es sich dabei um widerstreitende Gegensätze handelt, die nicht zur Synthese zu bringen sind, sieht jeder Grundschüler. Somit wird es fast niemanden überraschen, wenn man sich als Ersatz dafür dann tatsächlich um offene Fluchtrouten, Erhöhung der Mindestsicherung, die Ermöglichung von jährlichen Geschlechtswechseln und die Unterstützung von LGBTQ-Umzügen kümmern wird. Nach dem Ablauf von fünf Jahren wird Herbert Kickl dann die absolute Mehrheit haben, aber das ist nicht so wichtig, weil dafür ja Karl Nehammer auf dem Kanzler-Thron sitzen durfte und Babler und Meinl-Reisinger Ministerämter zelebrieren konnten. Auch die einfachsten Menschen sollen einmal die Möglichkeit bekommen zu regieren. Das ist gelebte Demokratie.
Der Kessel am Ballhausplatz
Mit Blaulicht und mit Kampfformationen gehen die bald Mächtigen gegen Demonstrationen vor, die kritisch zum Ausschluss der FPÖ, die bald schon in fünf österreichischen Bundesländern regieren wird, von den Regierungsverhandlungen und gegen die linke Kriegshetze in Europa Position ergreifen. Zuerst wurde die Demonstration von der Landespolizeidirektion überhaupt verboten. Sie würde den vorweihnachtlichen Einkaufssamstag stören und für Staus im innerstädtischen Verkehr sorgen. Eine zur gleichen Zeit angemeldete Demonstration der anarchistischen und staatsfeindlichen Antifa, die sich ausdrücklich in ihren Grundsätzen zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele bekennt, durfte stattfinden. So wie bei den vielen Blockaden der „Letzten Generation“, bei denen die Polizei die Manifestanten mit Glacéhandschuhen anfasste. Gerade noch gefehlt hat, dass unter den radikalen Klimaschützern Decken und heißer Tee verteilt wurden. Als dann die Demonstration doch genehmigt wurde, errichtete die Polizei ein Disziplinierungsszenario, das beim besten Willen nur als Abschreckungsmaßnahme gedeutet werden kann. Ziel war es wohl, den einfachen Bürgern Angst einzujagen, um sie in der Folge von weiteren Aktionen abzuhalten. So wurden alle Ausgänge am Heldenplatz, dem Ort der Demonstration, verbarrikadiert, das große Tor bei der Volksgarten-Diskothek war mit einer schweren Kette geschlossen. Offen blieben einzig ein enger Durchgang am Burgtor und neben der Hofburg. Bei der Hofburg waren auch die beiden Wasserwerfer positioniert, über die die Wiener Polizei verfügt. Dass sich Provokateure der Antifa unter die Demonstranten zu mischen versuchten, um dann einen Skandal zu inszenieren, wurde von der Polizei ignoriert, obwohl man sie darauf hingewiesen hat. Ein paar junge Männer haben dann, Dank und Anerkennung für sie, die Unruhestifter ohne Aufsehen aus dem Kessel geleitet.
Der Durchmarsch der Exekutive
Der Durchgang beim Burgtor war eng. Der Strom der eintreffenden Teilnehmer kam immer wieder zum Stillstand. Ich war inmitten einer Menschenmenge gefangen. Es ging weder nach vorne noch zurück. Man spürte die aufkommenden Ängste der dicht auf dicht stehenden Menschen. Und dann kam das Polizei-Sonderkommando. Ohne auf den Stau Rücksicht zu nehmen, marschierte die ausgepolsterte Mannschaft, die Helme in der Hand, durch die Menge. Menschen schrien, eine Frau stolperte, fiel fast hin, gerade noch konnten wir sie auffangen. Und genau in diesem Augenblick rammte mir ein Polizist von hinten seinen Helm ins Kreuz. Ein riesiger Kerl. Ich drehte den Kopf und blickte zu ihm hoch, er grinste mich an. Warum bist du nur hergekommen, dachte ich plötzlich. Du hast einen guten Job, eine tolle Familie, super Freundinnen und Freunde, richtig nette und engagierte Arbeitskollegen, ein perfektes Leben. Warum tust du dir das an, warum gefährdest du deine Gesundheit? Und schon während ich das dachte, war mir klar, dass genau dies das Ziel der Organisatoren des Kessels war. Sie wollten den Menschen Angst machen, ihren Willen brechen, sie davon abhalten, noch einmal zu demonstrieren. Wie in Zeiten von Corona ging es um die Demoralisierung von Menschen, die ihr Demonstrationsrecht auszuüben versuchten. Und da fielen mir ein paar Gedanken aus Bablers roten Buch ein. Die Demokratie ist im Kapitalismus nur formal, die Grundrechte sind lediglich Abstraktionen, will man sie einlösen, dann läuft man geradewegs gegen die harte Tür der Macht, eine Macht, deren Kern ein Verbund aus Politik, Wirtschaft und Medienmacht ist. Und ich erkannte, dass das Lesen der Überlegungen Andersdenkender sich am Ende auch als instruktiv und lehrreich erweisen kann. Fast kein Buch wurde umsonst geschrieben auf dieser Welt.
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