Bernhard Krumpel: Vabanquespiel mit Österreich
„Das Beste aus beiden Welten“ versprach die K.u.K. Regierung – Kurz und Kogler – zum Jahresanfang 2020. Gekommen sind Corona und jede Menge koalitionäre Unstimmigkeiten, die sich von Woche zu Woche intensivierten. Einige tuscheln von Neuwahlen. Damit stellt sich die alte Frage: Geht es um Macht oder um Österreich?
Der Beziehungsstreit könnte beim kommenden Untersuchungsausschuss seinen Höhepunkt erreichen. „Könnte“, weil es darin um die innerparteiliche Machtübernahme durch die „türkise ÖVP“ gehen wird. Ein zusätzliches Druckmittel der Grünen im Verbund mit der Opposition, damit sich die „schwarze ÖVP“ und die „türkise neue ÖVP“ auseinanderleben. Für viele außerhalb der Volkspartei wird dies nur am Rande relevant sein, für die eigenen Parteigänger ist es eine nicht zu unterschätzende Zerreißprobe. Der innerparteiliche Umgang der ÖVP war schon jahrzehntelang ein eigenes Thema, über das ab und an ein hämisches Wort in Medien gelesen wurde. Nun gibt es Chats dazu und wird so im kommenden Untersuchungsausschuss durch Nachrichten dokumentiert, für alle lesbar. Und für viel Streit zwischen den beiden Strukturen – türkis und schwarz – sorgen.
So hat bei den bisher bekannten Chats der Umgang mit der katholischen Kirche ein innerparteiliches Kernthema getroffen. Mehr als jede andere Kommunikation, die wesentlich breiter in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Der Fraktionsführer der SPÖ, Kai Jan Krainer, hat dies erkannt. Bei jeder sich bietenden medialen Gelegenheit, erinnert er an diese Kirchen-Chats. Natürlich wird sich Krainer die Chance nicht nehmen lassen, den bisher nur zart angesetzten Keil zwischen türkis und schwarz immer tiefer einzuschlagen. Wie dieses innerparteiliche Ringen letzten Endes ausgeht, ist noch offen. Aber klar ist, am Ende gewinnen immer die Landeshauptleute. Grenzt sich schwarz von türkis ab, dann wird das der Koalition guttun. Falls nicht, dann erleben wir einen Dauerstreit innerhalb der Regierung.
Guter Lauf bei Grün und Adaptionen bei Pink
Die Grünen haben derzeit einen guten Lauf und machen taktisch viel richtig. Ihre diesbezüglichen Fertigkeiten wurden vom Regierungspartner massiv unterschätzt. Mit Leuten wie Stefan Wallner haben sie hervorragende Strategen in ihren Reihen. Wallner hat einst schon als Bundesgeschäftsführer zukunftsorientiert gewerkt, strategisch und handwerklich viel richtig gemacht hat. Merkbar ist auch, dass die Grünen in ihren Wortmeldungen zunehmend staatsmännisch ausgleichend agieren.
Auch Sigrid Maurer ist in ihre sicherlich äußerst herausfordernde Rolle mittlerweile sehr gut hineingewachsen. All diese Entwicklungen bei den Grünen werden, wenn für sie das Thema „Sebastian Kurz“ erledigt ist, in Zukunft wieder zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen Grün, Pink und Rot führen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass alle drei letztendlich in einem großen gemeinsamen Teichstück um Wählerstimmen fischen. Hier ist insbesondere interessant, dass die Neos gerade eine sanfte Positionsänderung vollziehen, um vermutlich die Schwäche der ÖVP in Wählerstimmen ummünzen zu können. Nikolaus Scherak tritt verstärkt mit Beate Meinl-Reisinger in den Vordergrund. Im Verbund mit dem immer fleißigen, konstruktiv-streitbaren Gerald Loacker positioniert sich dieses Triumvirat verstärkt als Angebot an bürgerliche Wähler, während Stefanie Krisper erfolgreich im grünen Teich angelt.
Aber zurück zur Arbeitsbeziehung in der türkis-grünen Regierung. Am Ende dieses Vabanquespiels wird wohl stehen, dass die Grünen mit den Türkisen freudvoll ins koalitionäre Bett gestiegen sind, nun aber höchstwahrscheinlich mit den Schwarzen ihren Morgenkaffee genießen. Es könnte aber auch anders kommen.
Norbert Hofer, der Seher?
Norbert Hofer gilt gemeinhin weder als Seher noch als Zukunftsforscher. Aber erinnern wir uns an seine Prognose. Ich meine nicht „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“, sondern seine Ende März 2021 ausgesprochene Prognose, dass Anfang 2022 gewählt wird. Allerdings mit ihm als Spitzenkandidat. Sollte letzteres passieren, dann können wir ihn jedenfalls endgültig als Prophet verehren. Zumindest die Neuwahlen sind eine im Raum schwebende Option.
Die türkis-grünen Regierungsmonate kannten keinen Honeymoon. Schon am Anfang bot die Koalition, das Bild einer arrangierten Hochzeit. Der eine kannte den anderen kaum. Als nach dem koalitionären „Ja, wir wollen“ der Schleier gelüftet wurde, blickten sich beide zum allerersten Mal tief in die Augen und jeder dachte für sich „Das ist eigentlich nicht mein Typ.“ Genauso verliefen die Folgemonate. Nach der Anfangsbegeisterung hielt der Alltag im türkis-grünen Regierungsbett Einzug. Dort ging schon bald nichts mehr. Jede kleine gesetzliche Diskussion mutierte zum Kraftakt. Schon im Vorfeld der Chats spielte sich auf offener Bühne ein türkis-grünes Beziehungsdrama in drei Akten ab.
Der erste Akt, „Das friedvolle Miteinander“, dauerte bis zum Ende des Vorjahres. Der zweite Akt, „Die Entzweiung“, läuft gerade. Falls sich die Arbeitsbeziehung nicht verbessert, wird der dritte Akt folgen, „Die Scheidung“. Ein Untersuchungsausschuss kann durch die Auflösung des Parlaments beendet werden. Das bedeutet Neuwahlen. Und eines darf nicht vergessen werden: Bei der letzten Sonntagsfrage verlor die ÖVP zwar eine Unmenge an Zustimmung. Allerdings blieb sie auf Platz 1. Das könnte diejenigen motivieren, die mit dem Gedanken an Neuwahlen flirten. Angesichts von in Sichtweite befindlicher elementarer Probleme, wie Inflation, Arbeitskräftemangel oder massiver Teuerungen ist ein monatelanger Stillstand keine gute Idee. Dass dies somit ein Vabanquespiel auf unser aller Kosten ist, ist hoffentlich jedem klar, der mit Neuwahlen liebäugelt.
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