Christian Ortner: Deutschland gegen Österreich, 1:0
Die neuen Regierungen in Wien und in Berlin stehen derzeit vor teilweise sehr ähnlichen Problemen, vor allem rund um die lahmende Wirtschaft. Doch die Deutschen scheinen wenigstens begriffen zu haben, dass es jetzt dringend einen Politikwechsel braucht, während in Wien Kanzler Stocker mit buddhistischer Gelassenheit den Status quo administriert, findet exxpress-Kolumnist Christian Ortner.
Österreich und Deutschland werden zwar bekanntlich durch eine gemeinsame Sprache voneinander getrennt, haben aber derzeit vor allem wirtschaftlich viel Miteinander gemeinsam: das in den letzten Jahren schlechteste (Österreich) und zweitschlechteste (Deutschland) Wirtschaftswachstum der EU, immer mehr Staatsschulden, enorme Probleme mit der nach wie vor steigenden Zahl illegaler Zuwanderer, immer desolater werdende Schul- und Gesundheitssysteme, eine Industrie, die sich immer schneller ins Ausland verabschiedet, und ganz allgemein eine schlechte Stimmung, die wie ein zäher Schleier über all diesen Schwierigkeiten liegt, deren Ursache sie ist.
Kein Ende der bleiernen Zeiten
Zu verantworten haben dieses Fiasko die wohlverdienter Weise abgewählte Ampelregierung in Berlin und die genauso wohlverdienter Weise abgewählte Schwarz-grüne Regierung in Wien. Deren Nachfolger, also die Regierung aus CDU und SPD in Deutschland und Schwarz/Rot/Neos in Österreich, stehen jetzt vor der nicht gerade kleinen Aufgabe, ihre Länder wieder auf Touren zu bringen, das Wirtschaftswachstum anzuwerfen und dafür zu sorgen, dass Zuversicht, Zukunftsfreude und Optimismus den bleiernen Zeiten endlich ein Ende setzen. Natürlich ist jetzt noch zu früh zu beurteilen, wer da den besseren Job macht, Berlin oder Wien. Aber wenn nicht alles täuscht, dann hat das Team Merz in Berlin den deutlich besseren Start hingelegt als das Team Stocker in Wien. Denn Friedrich Merz gelang es in der kurzen Zeit seiner Regierung, in der Migrationspolitik mittels Einführung von Grenzkontrollen der Bevölkerung wieder das Gefühl zu geben, dass nicht jeder nach Deutschland kommen kann, dem das gerade lustig ist. Er hat glaubhaft angekündigt, der Bundeswehr wieder jene Mittel zu Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um ihren Job machen zu können. Er hat einen – kostspieligen – Plan, die verrottete Infrastruktur wie Straßen, Schienen, Brücken, Schulen und Krankenhäuser zu sanieren. Und sein Koalitionspartner Lars Klingbeil (SPD) erweckt den Eindruck, ein eher pragmatischer Sozialdemokrat zu sein, der einer vernünftigen Wirtschaftspolitik zumindest nicht im Weg steht. Selbst die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), der man nicht eben vorwerfen kann, ein Regierungsorgan zu sein, urteilte dieser Tage ungewöhnlich freundlich: „Die neue deutsche Regierung macht vieles richtig.“
Hurra, wir leben noch
Das hat eine deutsche Regierung schon lange nicht mehr über sich selbst lesen können. Wobei ihr die NZZ in einem einzigen Punkt eine schwache Performance vorhielt: „Wenig Einfallsreichtum hat das neue Regierungsbündnis bis anhin nur bei der Auseinandersetzung mit der AfD erkennen lassen. Ausgrenzung und parlamentarische Diskriminierung wirken offensichtlich als Wahlhelfer für die Rechten – wahrscheinlich müssten sie stattdessen durch Normalbehandlung auf ein Normalmaß reduziert werden.“ In Österreich hingegen lässt sich beim besten Willen nicht feststellen, dass die neue Regierung „vieles richtig macht“. Den richtigen Tonfall in der Beurteilung fand unter anderem der Kurier, indem er spitz feststellte: „Die Dreierkoalition hat die ersten hundert Tage überstanden.“ Das ist nicht nichts, aber deutlich zu wenig, und das spiegelt sich ja auch in den Meinungsumfragen wider, wo die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP bei jeweils rund zwanzig Prozent grundeln, beide weit hinter der unangefochten führenden FPÖ.
Null Ideen, leider
Zwar hat die Regierung immerhin ein Budget zusammengebracht – man wird als Wähler ja eh schon sehr anspruchslos –, aber was völlig fehlt, ist eine Idee, wie die wirklich bedrohliche ökonomische Krise des Landes behoben werden soll. Immerhin leidet Österreich unter der mittlerweile längsten Rezession der Nachkriegszeit, die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt unter jener von 2019, noch immer arbeiten nur fünfzig Prozent der seit 2015 ins Land geströmten Migranten. Bei weiter schrumpfender Wirtschaft nimmt aber auch das Steueraufkommen ab, was wiederum die Budgetprobleme vergrößert. Und das alles bei einer Steuerlast, die fast nirgendwo in Europa so drückend ist wie bei uns. Leider hat die Regierung nicht die kleinste Idee, wie sie aus diesem Teufelskreis herauskommen könnte; sie scheint davon auszugehen, dass sich am Ende schon alles irgendwie in Wohlgefallen auflösen werde.
Kein Plan
Wird es nur leider nicht. Selbst, wenn es Friedrich Merz in Deutschland gelingen sollte, sein Land wieder auf Wachstumskurs zu bringen, wird das Österreich naturgemäß ein wenig helfen, aber als österreichische Regierung darauf zu bauen, das ist kein Plan. Sonst ist aber weit und breit keiner zu sehen. Was natürlich nicht zuletzt mit den handelnden Personen zu tun hat. Christian Stocker ist nach dem Rücktritt von Karl Nehammer als provisorische Übergangslösung ins Kanzleramt gestolpert, wo er sich, wie jedes Provisorium in Österreich, irgendwie hält, weil die Partei offenbar vergessen hat, einen neuen Chef zu suchen. Den Eindruck, das Land so radikal verändern zu wollen, wie es längst überfällig wäre, vermittelt Stocker nicht wirklich, um es einmal freundlich zu formulieren. Mit der Hektik einer Buddha-Statue administriert er den Status quo, was nicht so schlecht ankommt, aber leider keine Lösung ist. Sein neuer deutscher Kollege Friedrich Merz hingegen, der lange und erfolgreich in der Finanzindustrie gearbeitet hat, ist erkennbar darauf aus, als großer Kanzler in die deutsche Geschichte einzugehen. „Merz und sein Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD mögen in ihren Rollen noch schwer einzuschätzen sein – aber sie bemühen sich erkennbar um einen Politikwechsel“, konzediert ihm die NZZ. Von einem Politikwechsel ist hingegen in Österreich rein gar nichts zu verspüren, und das ist gar nicht gut so.
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