Dem Wiener Nachrichtenmagazin profil gelang dieser Tage eine ganz außerordentliche journalistische Meisterleistung: Unter dem Titel „Die neue Volksreligion“ wurde da nämlich über das Erstarken des Islams und das Leben der Muslime in Österreich auf epischen zwölf Seiten bis ins kleinste Detail berichtet und aufgedröselt, wie die Muslime ticken, wie vielfältig ihre Kultur und ihre Lebenswelt sind; auch, welche Schwierigkeiten da gelegentlich auftauchen. Nur ein Begriff taucht in dem ganzen Text nicht auf: der des Antisemitismus.

Das ist insofern ein publizistisches Kunstwerk, als der muslimische Antisemitismus spätestens seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, mit 1.200 Toten der blutigste Massenmord an Juden seit dem Holocaust, weltweit – und natürlich auch in Österreich – einer der zentralen Treiber jenes neuen Antisemitismus ist, der mit einer seit 1945 nicht mehr gesehenen Heftigkeit tobt.

Ein Fall von Lückenpresse, sozusagen.

Dabei hätte schon ein oberflächlicher Blick auf die Daten gezeigt, wie das mit der „neuen Volksreligion“ in Österreich so ist: So wurden von den im Vorjahr offiziell registrierten 1.520 antisemitischen Vorfällen 453 muslimischen Tätern zugeordnet, was rund dreißig Prozent aller Fälle darstellt. (Quelle: Statista)

Da die Muslime in Österreich derzeit aber nur rund zehn Prozent der Bevölkerung umfassen, aber eben für dreißig Prozent der antisemitischen Delikte verantwortlich sind, bedeutet das mathematisch zwingend, dass ihre Neigung zum Antisemitismus etwa dreimal so hoch ist wie in der Gesamtbevölkerung. Das deckt sich mit einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts IFES, die 2024 im Auftrag des Parlaments ergeben hat, dass fünfundsiebzig Prozent der Menschen mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund zu „latentem oder manifesten Antisemitismus“ neigen; deutlich mehr, als in der Gesamtbevölkerung gemessen werden kann.

Judenhass, eingeimpft

Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder Moslem ein Antisemit ist; die Mehrheit der hiesigen Muslime wird sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen müssen. Es bedeutet aber sehr wohl, dass Antisemitismus in muslimischen Milieus deutlich häufiger vorkommt als beim Rest der Bevölkerung. Und das ist ein ziemliches Problem, nicht zuletzt auch für die Muslime selbst.

Wer die Ursachen dafür klar benennt, wird üblicherweise der Islamophobie geziehen und ins böse rechte Eck gedrängt. Der deutsche Publizist Hamed Abdel-Samad spricht diese Ursachen trotzdem klar aus: „In der arabischen Welt gibt es Antisemitismus schon seit Jahrhunderten, durch die Migration ist er eben nach Europa gelangt. Ich wundere mich darüber, warum das irgendjemanden überrascht hat. Warum sollten diese Menschen ihren Antisemitismus, mit dem sie aufgewachsen sind und den sie über diverse Kanäle eingeimpft bekommen haben, bei der Einreise nach Europa ablegen?“

Genauso ist es. Und deswegen fürchten sich in Wien lebende Juden heute hauptsächlich nicht so sehr vor Alt-Nazis in Springerstiefeln, sondern vor dem muslimischen Antisemitismus, der seit dem 7. Oktober 2023 enorm zugenommen hat.

Lückenpresse am Werk

Warum aber verschweigt profil in einer Titelgeschichte von epischer Länge seinen Lesern ausgerechnet diese doch auch journalistisch durchaus spannenden Zusammenhänge?

Ich habe zwar vor langer Zeit selbst zehn Jahre lang für dieses Magazin gearbeitet, kann darüber aber nur spekulieren. Vermutlich haben wir es dabei mit einer gewissen Scheu vor jenen Konflikten zu tun, die kritische Islam-Berichterstattung in aller Regel zur Folge hat, verbunden mit Residuen der sogenannten Willkommenskultur, deren Teil das profil nach 2015 war. Dass Muslime im links-woken Milieu ein bisschen Pandabären-Status mit besonderem Streichelbedarf haben, mag auch eine Rolle spielen.

Wobei die zunehmende Affinität der politischen Linken ausgerechnet mit dem muslimischen Antisemitismus eine besonders ungustiöse, um nicht zu sagen widerwärtige politische Innovation ist. Sogar der Menschenrechtssprecher und Bundestagsabgeordnete der deutschen Grünen Max Lucks vom linken Flügel der Öko-Partei gab jüngst zu Protokoll: „Die Anschlussfähigkeit der Linken für Islamismus macht mir Angst.“

Der ganz normale Antisemitismus

In seinem neuen, sehr lesenswerten Buch Die Liebe zum Hass bemerkt der in Algerien geborene Islamwissenschaftler Abdel Hakim Ourghi dazu: „Unheilige Allianzen sind entstanden: Große Teile der politischen Linken, der Kulturszene und des akademischen Betriebs haben sich faktisch auf die Seite der islamischen Antisemiten gestellt. Sie tragen dazu bei, die Narrative des islamischen Antisemitismus zunehmend zu normalisieren und mit abnehmender Befürchtung vor Repression auch immer unverblümter zum Ausdruck zu bringen.“

Es ist genau diese seit dem 7. Oktober 2023 zu beobachtende Normalisierung des Antisemitismus, die so erschreckend ist und die für die Zukunft nichts Gutes verheißt. Dass heute auf einer Bühne in Großbritannien ein Rockmusiker „Tod der israelischen Armee“ plärrt, was nichts anderes bedeutet als „Tod den Juden“, zumindest jenen in Israel, und Tausende junger Zuhörer diesen unerhörten Slogan inbrünstig nachbrüllen, anstatt aufzustehen und zu gehen, zeigt, wie weit diese Normalisierung bereits vorangeschritten ist.

Die Vibes der 1930er-Jahre

Ich weiß, wie problematisch Vergleiche mit der Zeit des Nationalsozialismus sind und man sie daher nur sehr, sehr bedacht vornehmen sollte.

Aber wenn man diese gespenstische Normalisierung des Antisemitismus in der Kulturszene, im akademischen Bereich und bei den vielen „Pro-Palästina-Kundgebungen“ miterleben muss, dann drängt sich schon der Vergleich mit den frühen 1930er-Jahren auf, in denen erst verbaler und dann gewalttätiger Antisemitismus von der Mehrheit der Bevölkerung irgendwann als etwas Normales empfunden wurde. Mit den bekannten Folgen.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Wenn wir heute wieder anfangen, das Unsägliche normal zu finden, dann sind wir in Gefahr, den Kern dessen zu verlieren, das unsere westliche Zivilisation ausmacht. Oder, wie es der jüdische Influencer Hilel Fuld kürzlich auf Facebook formulierte: „Welches Ereignis muss eintreten, damit Sie, wer auch immer Sie sind, ob Jude oder nicht, sagen können: Okay, das hört jetzt auf. Ich werde das nicht so weitergehen lassen.“