Christian Ortner: Die neue, alte Lust am Fliegen
Die Menschen fliegen wieder wie eh und je in die Fremde, und das, obwohl die Tickets deutlich teurer geworden sind, hat Exxpress-Kolumnist Christian Ortner beobachtet – und hält das für eine gute Entwicklung.
Der 6. Juli 2023, ein Donnerstag und in Deutschland als »Tag des Brathähnchens«, international hingegen als »Tag des Kusses« im Kalender markiert, war auch ein ganz besonderer Tag in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Noch nie zuvor sind nämlich weltweit seit den Tagen der ersten Flugpioniere so viele Passagierflugzeuge innert vierundzwanzig Stunden in der Luft gewesen – stolze 134.386 waren es laut einer Zählung der Plattform Flightradar24 an diesem einen Tag. Und dabei waren Privatjets und Frachtmaschinen noch gar nicht mitgerechnet.
Das Scheitern der Spaßbremsen
Trotz Inflation, wirtschaftlicher Sorgen und einer von fanatischen Klimaschützern aufgeheizten Stimmung fliegen die Menschen ganz offensichtlich wieder mit großer Begeisterung. Selbst happige Preiserhöhungen der Airlines ändern nichts daran, dass Fliegen für viele fast eine Art Grundbedürfnis geworden ist, das dementsprechend ausgelebt wird, wo immer es auch geht.
Eine krachende Niederlage ist diese neue Lust am Fliegen hingegen für alle Spaßbremsen, Klimakleber und schmallippigen Verzichts-Prediger, die uns die Fliegerei seit Jahren vermiesen wollen. Und uns deshalb einreden, Flugreisen seien angesichts des Klimawandels praktisch Schwerverbrechen, und wer sie begehe, müsse zumindest schwere »Flugscham« empfinden. Fliegen, das ist für die Hohenpriester der Klima-Sekte so etwas Ähnliches wie im Mittelalter Masturbation für den Dorfpfarrer – öffentlich verdammt, privat aber mit Vergnügen praktiziert.
Flugscham, nein danke!
Dass die große Mehrheit der Menschen nicht einmal ein Quäntchen »Flugscham« empfindet, sondern ganz im Gegenteil Spaß am Fliegen hat, halte ich aus mehreren Gründen für eine sehr begrüßenswerte Entwicklung.
Erstens: Weil sich hier zeigt, dass eine erfrischend große Gruppe von Menschen ziemlich immun zu sein scheint gegenüber den Umerziehungsversuchen linker und grüner Sozialingenieure, die ihnen erklären wollen, was gut für sie ist und was nicht. Sie folgen vielmehr ihren Interessen und Neigungen, wie sie eben mögen, und lassen sich weder »Flugscham« einreden noch in Panik versetzen, wie das Greta Thunberg einst als Ziel ihres Wirkens beschrieben hat.
Ich halte das auch abgesehen vom Fliegen für eine gesunde Haltung, die Hoffnung macht, dass die Bobo-Pädagogen auch bei anderen ähnlichen Themen krachend scheitern werden, etwa beim Versuch, uns demnächst auch den Verzehr von blutigen T-Bones oder einer köstlichen Kalbsleber zu verleiden, unsere Wohnungen im Winter so warm zu heizen, wie es uns lustig ist, oder mit einem gepflegten SUV durch die Gegend zu cruisen, gerne auch von einem Verbrenner angetrieben.
Jetzt sind wir alle Adelige
Zweitens: Weil die Möglichkeit des Fliegens, und ganz besonders auf langen Strecken, eine der hervorragendsten zivilisatorischen Hervorbringungen der modernen Industriegesellschaften war. Vor allem, seit das Fliegen dank der kapitalistischen Wettbewerbswirtschaft für die breiten Massen erschwinglich geworden ist. Auch sozial Schwächeren hat sich damit grundsätzlich ermöglicht, was früher Superreichen, Adeligen und anderen Minderheiten vorbehalten blieb – andere Kulturen, andere Sprachen und andere Gebräuche kennenzulernen und dazu Naturwunder, Landschaften und Städte zu erkunden, wie das für einfache Menschen früher völlig undenkbar war.
Fliegen zu können, wohin man will, ist gerade für junge Menschen eine ganz enorme Teilhabe am guten Leben. Das wieder zurückzudrängen, wäre ein unglaublicher Rückschritt.
Drittens: Fliegen zu können ist auch immer ein Synonym für Freiheit im politischen Sinn. Nicht zufällig war es den Menschen bis 1989 in den Staaten des real existierenden Sozialismus von Staats wegen verboten, einfach in ein Flugzeug zu steigen und nach London, Mallorca oder Tel Aviv zu jetten.
Fliegen, das war für die Menschen, die unter dem Kommunismus leiden mussten, auch stets eine politische Sehnsucht, bei der es nicht nur um schnöden Ortswechsel ging, sondern stets auch um die Freiheit an sich.
Guten Flug!
Alles Gründe genug, meine ich, die neue Lust am Fliegen zu begrüßen – und den zwei- bis dreiprozentigen Anteil dieser Art des Reisens am gesamten weltweiten Ausstoß von klimaschädlichen Gasen für einen Kollateralschaden zu halten, der solange hinnehmbar ist, bis die Industrie neue Treibstoffe entwickelt hat, die dieses Problem weitgehend lösen werden.
In diesem Sinne – guten Flug, genießen Sie ihn und lassen Sie sich den Spaß nicht verderben.
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