Christian Ortner: Ein paar Gedanken zum 1. Mai
Eine Mischung aus Geschichtsvergessenheit, wirtschaftlichem Unwissen und schlichtem Bildungsmangel ermöglicht es in Österreich, dass ein „unkommunistischer Kommunist“ Wahlen gewinnt, staunt Exxpress-Kolumnist Christian Ortner am „Tag der Arbeit“ und vermutet dahinter auch ein Medienversagen.
Ganze 36 Stunden, nachdem in Salzburg die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) einen sensationellen Wahlsieg errungen hatte, begann letzten Dienstag vor einem tschechischen Strafgericht der Prozess gegen einen der Hauptverantwortlichen der zahllosen Verbrechen, die bei unseren nördlichen Nachbarn bis 1989 im Namen jener Ideologie begangen worden sind, die nun bei uns eine bizarre Renaissance erleben darf – der Kommunismus.
Von Hunden zerfleischt
Vor Gericht in Prag steht ein Mann namens Vratislav Vajnar, von 1983 bis 1988 Innenminister der damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Volksrepublik (CSSR). In dieser Funktion hatte er zahlreiche Morde an Menschen zu verantworten, die versuchten, über den sogenannten Eisernen Vorhang in den Westen zu flüchten. Darunter der erst 18-jährige Ostdeutsche Hartmut Tautz, der 1986 in der Nähe von Bratislava von Hunden der kommunistischen Grenztruppen bei dem Versuch zerfleischt worden ist, über die Grenze nach Österreich zu gelangen.
Ein Historiker und Kommunist
Ich bin ziemlich sicher, dass der Sieger von Salzburg, Kay-Michael Dankl von der KPÖ, mit dieser Geschichte und dem vom realen Sozialismus insgesamt verursachten Grauen bestens vertraut ist. Der Mann hat nämlich, ausgerechnet, Geschichte studiert und mit einem akademischen Grad abgeschlossen.
Das ist jetzt kein blöder Witz, sondern Faktum: Ein ausgebildeter Historiker kandidiert im Österreich des Jahres 2023 für eine Partei, die sich selbst als »kommunistisch« bezeichnet.
Ich halte das für ein ziemliches Problem. Nicht, weil zu befürchten ist, dass bei den Salzburger Festspielen jetzt nur noch Werke von Bertolt Brecht aufgeführt werden dürfen oder der Goldene Hirsch zum »volkseigenen« Betrieb wird, sondern weil hier einer, der ganz genau weiß, was Sache ist, eine verbrecherische Ideologie wieder salonfähig macht. Und zwar, weil es ihm diese Partei einfach ermöglicht hat, gleichsam Plattform und Träger seiner politischen Ambitionen zu werden; ein Geschäft zum beiderseitigen Nutzen, sozusagen mit der Rehabilitation des Kommunismus als Kollateralschaden.
Der gute Mann von der Salzach
Für ein noch viel größeres Problem halte ich freilich, wie nonchalant die meisten Medien des Landes mit diesem Problem umgehen. Der KPÖ-Mann wird da primär als der »gute Mann von der Salzach« präsentiert, der »nahe an den Menschen« ist und immer ein Ohr für »die Nöte der Armen« hat.
Das wird schon stimmen, ist aber reichlich unpolitisch und naiv gedacht. Es darf daran erinnert werden, dass etwa die mörderische Muslimbruderschaft auch stets darauf geachtet hat, als soziale Bewegung in der muslimischen Welt wahrgenommen zu werden.
Auf den Punkt gebracht hat diese »Er-will-ja-nur-spielen«-Attitüde gegenüber dem kommunistischen Politiker eine Falter-Redakteurin, die meinte, Dankl sei »ein unkommunistischer Kommunist«.
Ich weiß leider nicht, was ich mir unter einem »unkommunistischen Kommunisten« vorzustellen habe. Wenn jemand »unkommunistisch« ist, kann er aus logischen Gründen ja kein Kommunist sein, und umgekehrt. Und im Übrigen gilt die gute, alte Regel: »Wenn etwas wie eine Ente aussieht, wie eine Ente quakt und wie eine Ente watschelt, handelt es sich vermutlich um eine Ente.«
Und im bis heute – auch für den Salzburger Wahlsieger – gültigen Parteiprogramm der KPÖ lese ich: „Eine Epoche des Übergangs, in der die wichtigsten Produktionsmittel vergesellschaftet sind …, ist nach den heutigen produktiven Möglichkeiten der Menschen realistisch. Das nennen wir Sozialismus.“ Und ich nenne das nicht „unkommunistisch“, sondern so kommunistisch, wie man nur sein kann.
Next: »Vaterländische Front plus«?
Außerdem beschleicht mich der Verdacht, die meisten Medien würden etwas weniger verständnisvoll reagieren, gründete jemand zum Beispiel eine »Vaterländische Front plus« oder gar eine »NDP plus« und reüssierte damit bei den nächsten Wahlen.
Wir haben es hier allerdings vielleicht weniger mit einem großen Plan oder gar einer linken Verschwörung zu tun als mit einer Mischung aus Geschichtsvergessenheit, wirtschaftlichem Unwissen und schlichtem Bildungsmangel, die alle gemeinsam zu einer Renaissance linker, sehr linker und noch mehr linker Ideen und Überzeugungen geführt haben.
Das Unbildungssystem
Vermutlich ist das ganze hauptsächlich ein Versagen unseres Bildungssystems, das ganz offensichtlich Menschen hervorbringt, die Karl Marx für einen ehemaligen deutschen Bundeskanzler halten, die Berliner Mauer für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm der DDR und den Sozialismus für eine Art Bankkonto ohne Behebungslimit.
Vor allem in Zeiten horrender Inflation ist das nicht ganz ungefährlich. Die Geschichte lehrt uns, dass Geldentwertung meist radikalen politischen Kräften in die Hände spielt, ohne Ansehen von deren Reputation.
Gerade ausgebildete Historiker sollten das wissen.
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