Österreich, schrieb kürzlich der Kolumnist Hans Rauscher im Standard, „braucht keine Kettensäge“. Gemeint ist damit ein radikaler Rückbau des Staates, wie ihn in Argentinien der libertäre Präsident und Ökonom Javier Milei gerade verwirklicht, einschließlich einer massiven Reduktion der Anzahl von Ministerien und Beamten sowie der Gesetze und Regulierungen, die Bürger und Unternehmen drangsalieren. Ein gewaltiges Projekt, das in der politischen Kommunikation Mileis durch eine Kettensäge symbolisiert wird.

Ich bin mir im Gegensatz zu Rauscher nicht mehr sicher, ob nicht auch Österreich mittlerweile so eine Radikalkur bräuchte bzw. ob es wirklich genügt, einfach hier und da eine kleine Reform und dort eine Gesetzesnovelle umzusetzen, um Österreich vor allem wirtschaftlich wieder flott zu bekommen. Eine Laubsäge wird da nicht wirklich helfen können.

Das geht sich irgendwann nicht mehr aus

Dass sich Österreich derzeit in einer wirtschaftlich so schwierigen Lage befindet wie seit Jahrzehnten nicht mehr, dürfte sich mittlerweile hinreichend herumgesprochen haben: Drei Jahre ohne Wirtschaftswachstum, eine viel zu hohe Inflation, ein viel zu hohes Defizit und nach wie vor viel zu hohe Staatsausgaben sowie zunehmend steigende Zinszahlungen der Republik an ihre Gläubiger, und das trotz übermäßig hoher Steuern; dazu Unternehmen, die im Ausland immer weniger verdienen können, was sie im Inland an Löhnen zahlen müssen und die deswegen abwandern oder ihre Betriebe schließen. Gleichzeitig sind in den letzten zehn Jahren Menschen in großer Zahl zu uns gekommen, die allerdings nicht arbeiten und damit den Sozialstaat, aber auch die ganze Infrastruktur des Landes erheblich belasten. Als wäre das nicht genug, belasten auch der Ukraine-Krieg und die hohen Kosten der grünen Transformation unsere ohnehin übermäßig angespannte Volkswirtschaft.

Man muss kein Ökonomie-Nobelpreisträger sein, um zu verstehen, dass sich das alles nicht ewig ausgehen kann. Und die Geschichte lehrt uns, dass der Abstieg von einem reichen Land zu einem verarmten Staat viel schneller geschehen kann, als sich das viele Menschen vorstellen können, die meinen, unser heutiger relativer Wohlstand sei mit einer Art Bestandsgarantie auf Ewigkeit ausgestattet. Leider nein. Und dass wir derzeit eine Regierung haben, die diesen Abstieg eher desinteressiert moderiert denn entschlossen bekämpft, ist da auch nicht hilfreich

Was weg muss, muss weg

So gut und bis zum Erbrechen wiederholt beschrieben sind nicht nur die Probleme, die das Land plagen, sondern auch deren Lösungen. Ein kleines Land wie Österreich braucht eben keine 2.092 Gemeinden mit ebenso vielen Bürgermeistern, Gemeinderäten und Lokalbürokratien, sondern käme mit nur hundert sehr viel besser aus. Der riesige Kammerstaat mit seinen teuren Zwangsmitgliedschaften ist ebenso obsolet wie der mit Zwangsabgaben finanzierte ORF. Das ganze Geflecht staatlichen Eigentums an Industriebetrieben, Energieversorgern und anderen Unternehmen gehört ohne Federlesens privatisiert. Das ganze Unterholz an Regulierungen und Berichtspflichten, mit dem Unternehmen drangsaliert werden, gehört radikal abgeholzt, natürlich samt den Ladenschlussgesetzen. Gleichzeitig wird es uns nicht erspart bleiben, wieder mehr und länger zu arbeiten, etwa, in dem einige Feiertage gestrichen werden und das Pensionsalter angehoben wird.

Die Liste könnte nahezu beliebig verlängert werden. Zielrichtung muss dabei stets sein, dem Einzelnen wieder deutlich mehr von jenem Geld zu lassen, das er oder sie erarbeitet. Dann steigt der Konsum und damit das Wirtschaftswachstum, und auch die Finanzierung des Staates wird wieder einfacher.

Die Status-quo-Gesellschaft

Der gelernte Österreicher freilich weiß: Die Chance, dass auch nur ein kleiner Teil der hier skizzierten notwendigen Maßnahmen je umgesetzt wird, ist ungefähr so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass unter dem Finanzministerium in der Wiener Himmelpfortgasse Erdöl gefunden wird.
Denn Österreich ist eine Status-quo-Gesellschaft, in der viel zu viele und viel zu starke etablierte Kräfte wie etwa die Kammern, aber auch viele andere, keinerlei Interesse an Veränderungen haben und ihre vermeintlich wohlerworbenen Kräfte mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Österreich ist – leider – ein gutes Beispiel dafür, dass derartige Strukturen mit den üblichen demokratischen Methoden, also geduldigem Verhandeln, dem Eingehen von Kompromissen und dem Finden von Mehrheiten, nicht zu knacken, ja, in den meisten Fällen nicht einmal zu reformieren sind. Weshalb wir zu einem Land von Diagnoseriesen, aber auch von Therapiezwergen geworden sind. Das haben wir noch nie gemacht, das haben wir schon immer so gemacht, da könnte ja jeder kommen, und überhaupt – dieses informelle Grundgesetz liegt wie ein Betondeckel über dem Land und verhindert verlässlich ernsthaftere Reformen.

Crash oder Säge

Womit wir wieder zurück sind bei der Kettensäge. Ich fürchte, dass angesichts der sich immer höher türmenden Probleme und der gleichzeitigen Radikalverweigerung der Politik, das Notwendige endlich anzugehen, nur zwei Optionen bestehen:

Entweder macht früher oder später ein wirklicher Crash à la Griechenland, Argentinien oder Schweden wie in den 1990er Jahren politisch möglich, was ansonsten nicht möglich ist, gerne auch unter Aufsicht einer strengen EU-Troika – oder es findet sich auch in Österreich irgendwann ein Politiker, gerne auch eine Politikerin, mit dem Mut und der demokratischen Legitimation, zur Kettensäge zu greifen, zumindest in einer hierorts zumutbaren Dosis. Wer Österreich kennt, weiß aber auch: Wahrscheinlicher als dieses ist, dass das mit dem Erdölfund unter dem Finanzministerium doch noch etwas wird.