Christian Ortner: Wie Nazi ist Leistung?
Die Illusion, Wohlstand sei möglich ohne Arbeit, Anstrengung und Mühsal, greift um sich wie Grippeviren im Dezember, beobachtet eXXpress-Kolumnist Christian Ortner – und fürchtet, das könnte im Wettbewerb mit weniger degenerierten Kulturen ziemlich fatal werden.
Dass die Wiener SPÖ neuerdings sowohl die Matura abschaffen will als auch die herkömmlichen Schulnoten in der Unterstufe, kann man natürlich als milieubedingten linken Populismus angesichts eines herannahenden Wahljahres verbuchen. Eine Art Schnitzelgutschein des Bildungswesens sozusagen; nicht irgendwelchen neuen pädagogischen Erkenntnissen geschuldet, sondern bloß Mittel zum Zweck, die Stimmen der bildungsskeptischen Schichten einzusacken.
Die Wohlstandsillusion
Das Ganze wäre an sich der Rede nicht wert, passte die Forderung, den lieben Kleinen die Mühen, Anstrengungen und Belastungen der Reifeprüfung zu ersparen, nicht so fatal zu einem Zeitgeist, der weit über die hiesige Sozialdemokratie hinaus um sich greift. Es ist dies ein Zeitgeist, der auf der Illusion basiert, Wohlstand wäre möglich ohne Arbeit, Anstrengung und Aufwand; egal, ob für das Individuum oder die Gesellschaft insgesamt. Vor allem Arbeit gilt diesem Zeitgeist und den von ihm Befallenen nicht als Teil eines gelungenen Lebensentwurfs, sondern als Übel, das im Wege immer kürzerer Arbeitszeiten bekämpft werden muss.
Auch der Zusammenhang zwischen Fortkommen und Anstrengung gilt diesem Zeitgeist als reaktionäres Überbleibsel finsterer Zeiten; Arbeit ist da schon fast Nazi. Da drängt sich geradezu auf, die Matura als Symbol besonderer Mühsal am Zenit einer Schullaufbahn ihres Schreckens zu berauben und durch irgendwelche »Projektarbeiten« in Gruppen zu ersetzen, in denen es keine individuell zuordenbare Leistung mehr gibt und an der kaum noch jemand scheitern wird.
Einser für alle!
Konsequent wäre es, noch einen Schritt weiterzugehen und alle Formen von Prüfung und Benotung als menschenrechtswidrig zu streichen; »safe spaces« an Schulen einzurichten, in denen Schüler Zuflucht finden, denen Leistungsdruck »Unwohlsein« bereitet; Triggerwarnungen an den Beginn jeder Schulstunde zu setzen, in der etwas anspruchsvollere Stoffe behandelt werden – und allen, völlig unabhängig von der Leistung, erstklassige Zeugnisse auszustellen. Wegen der »Gerechtigkeit« für »unsere Leute« warats, sozusagen.
Damit wäre in einem Aufwischen auch die Integration von Schülern aus fremden Kulturen elegant erledigt: Wenn alle die gleiche Bewertung bekommen, ist die Integration zu hundert Prozent gelungen, Problem gelöst. Warum nur sind wir da nicht früher draufgekommen?
Morbus Mittelmaß
Welcher Ungeist da flatulös weht, zeigt trefflich, wenn auch nicht überraschend, Deutschland an einem kleinen, aber bezeichnenden Beispiel: Ab nächstem Jahr werden nämlich die traditionellen Bundesjugendspiele, eine Art landesweite sportliche Schüler-Olympiade mit Tausenden Teilnehmern, nicht mehr wie bisher als Wettkampf ausgetragen, sondern nur noch als eine Art von kollektivem Sport ohne Gewinner und Verlierer.
»Herzlichen Glückwunsch, liebe Kuschelpädagogen, ihr habt gewonnen«, spottete da selbst die linksliberale Hamburger Zeit, »wobei ihr das Verb vermutlich ablehnt. Wenn jemand gewinnt, muss schließlich auch jemand verlieren, und das darf nicht sein. Hauptsache, niemand heult. Hauptsache, Urkunden für alle! … Der kindliche Ehrgeiz wird nun erfolgreich eingehegt. Es ist das chronische Leiden der deutschen Bildungsrepublik: Morbus Mittelmaß.« Nicht nur der deutschen, muss man hinzufügen.
Das kleine Problem daran: Deutschland steht ebenso wie Österreich und ganz Europa in einem außerordentlich brutal ausgetragenen globalen Wettbewerb wirtschaftlicher, ideologischer und zunehmend auch militärischer Natur mit Kulturen, denen eine derartige Wehleidigkeit, um nicht zu sagen Degeneration, völlig fremd ist. Stattdessen versuchen China, Japan, Korea, andere Südostasiaten, aber auch Indien oder – teilweise – die USA, das Leistungsprinzip noch weiter zu forcieren, anstatt dem »Morbus Mittelmaß« zu frönen.
Mit einer Mentalität, die Leistung diskreditiert und allen Ernstes unterstellt, das Leben sei ein Ponyhof, aus dem sämtliche Zumutungen verbannt sind und Kuscheln zum zentralen Lebensinhalt wird, werden wir im Wettbewerb gegen die wesentlich agileren Kulturen leider eher früher als später mit Mann, Frau, Divers und Maus untergehen.
Danke, liebe Vorfahren!
Dass dies nicht schon jetzt geschieht, haben wir im Wesentlichen den Generationen vor uns zu verdanken, die noch um den Zusammenhang von Leistung und Wohlstand wussten und damit ein Fundament errichteten, auf dem wir ganz komfortabel stehen – noch.
Ein Fundament übrigens, das es uns auch bis heute ermöglicht, jenen Teil des Wohlstands, den wir nicht verdienen, auf dem Weg von Schulden zu finanzieren.
Aber auch das stößt, wie sich immer deutlicher zeigt, auf Grenzen. Selbst die USA, bislang verlässlichster Schuldner der Welt, müssen immer höhere Zinsen zahlen, um noch hinreichend Geldgeber zu finden.
Es ist dies eine Lektion, die der ganze globale Westen früher oder später wird lernen müssen – und die eine Renaissance der alten Werte wie Arbeit, Leistung und Lernen notwendig machen wird. Sonst wird das nämlich nichts mehr.
Mit Christian Ortner (62) ist die kräftige Stimme des „Zentralorgans des Neoliberalismus“ (Ortners Online-Forum) beim eXXpress zu hören. Ortner lässt keinen kalt. So kompromisslos wie sein Einsatz für freie Märkte und freie Menschen ist auch seine Auseinandersetzung mit den „Sozialisten in allen Parteien“ (F.A.v.Hayek). Er verschont keinen. Ob es nun die EU und das Fiasko bei der Beschaffung der Corona-Impfstoffe, oder staatliche Eingriffe aller Art in die Wirtschaft sind. In der Vergangenheit war Ortner Wirtschaftsredakteur beim Nachrichtenmagazin profil, Chefredakteur der Wochenpresse, Herausgeber und Chefredakteur der WirtschaftsWoche Österreich und Herausgeber sowie Chefredakteur von Format.
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