Christian Ortner: Wir lassen uns zu viel gefallen
Noch vor einem Jahrzehnt wäre völlig unvorstellbar gewesen, was heute ganz normaler Alltag geworden ist, von Messerkriminalität bis hin zu wüstem Antisemitismus, meint exxpress-Kolumnist Christian Ortner – und findet, dass es höchste Zeit für ein Ende der Toleranz gegenüber diesen Missständen ist.
Gelassenheit gilt ja gemeinhin als Tugend, die einem selbst, aber auch den Menschen in seiner Umgebung das Leben erheblich erleichtert. Wer gelassen ist, kommt mit den kleineren und größeren Widrigkeiten des Lebens leichter zurecht, entwickelt keine Magengeschwüre und braucht in aller Regel keine Psychopharmaka, um Ruhe zu finden.
Doch wie jede Tugend neigt freilich auch die Gelassenheit dazu, bei übermäßiger Dosierung zunehmend ungünstige Folgen zu zeigen.
Irgendwann reicht es
Denn früher oder später kippt Gelassenheit in Gleichgültigkeit, ja, am Ende in den Gestus eines „Sich-alles-gefallen-lassen“, der zur Folge hat, dass die bösen Buben und die schlimmen Mädchen immer ungenierter ihre kleineren und vor allem auch größeren Untaten ausleben können, ohne von irgend jemandem ernsthaft behelligt zu werden.
Und genau an diesem Punkt scheinen wir als Gesellschaft mittlerweile angekommen zu sein: Wir lassen uns zu viel gefallen. Und wir wehren uns viel zu wenig gegen Zumutungen, die unzumutbar sind, sei es vom Staat, sei es von unseren Mitmenschen.
Nein, das ist nicht mehr normal
Das reicht von scheinbar kleinen Dingen wie der vor allem in den Stadtzentren zunehmend mehr sichtbaren Verschmutzung des öffentlichen Raums (wie sie in asiatischen Metropolen undenkbar wäre) und die berühmte „Stadtbild-Problematik“ über den rasenden Verfall unserer Schulen und medizinischen Einrichtungen, einen immer dreister zugreifenden, konfiskatorischen Staat bis hin zur massiv steigenden Kriminalität, besonders seit Beginn des heurigen Jahres.
Noch zur letzten Jahrtausendwende wäre es etwa vollkommen undenkbar gewesen, dass nahezu täglich Morde oder Mordversuche wegen angeblicher Ehrverstöße der Tochter oder ungenügenden Betens des Arbeitskollegen vorkommen; dass Massenvergewaltigungen plötzlich Teil der üblichen Gerichtsberichterstattung sind, Weihnachtsmärkte beschützt werden wie Geldtransporter und Messerverbotszonen verhängt werden müssen. Alles, um australische Austauschstudenten davon abzuhalten, japanische Touristen niederzumetzeln.
Das unerträgliche Schweigen
Ich bin nicht so ganz sicher, was ich im Grunde skandalöser finde: Die traurigen Fakten an sich oder die Art und Weise, wie sich unsere Öffentlichkeit an all diese Dinge angepasst hat, vom achtlos auf die Straße geworfenen Pappbecher bis hin zur nächsten abgestochenen Tochter eines Migranten mit kulturbedingt schwach ausgeprägter Impulskontrolle, aber hypertroph wucherndem Ehrbegriff.
Wir haben es hier mit einer ganz und gar nicht wünschenswerten Form des sich Gewöhnens an Dinge, an die wir uns überhaupt nicht gewöhnen sollten, zu tun, denn die logische Folge ist Abstumpfung, Gleichgültigkeit und in letzter Konsequenz Selbstaufgabe. Ist halt so, lautet dann die Kapitulationserklärung. Besonders unanständig ist übrigens jene Kapitulationserklärung, die der Westen gegenüber dem massenhaften und massiven Antisemitismus abgegeben hat, der seit dem genozidalen Anschlag auf Israel am 7. Oktober 2023 wieder hochgekommen ist und noch immer weiter hochkommt. Juden, man kann das leider nicht anders sagen, sind sich mittlerweile in Europa ihres Lebens nicht mehr sicher. Noch weniger sicher können sie sein, nicht angespuckt, beschimpft oder sonst wie belästigt zu werden. Und völlig unmöglich ist es mittlerweile geworden, ganz offen und unbesorgt jüdisches Leben zu leben, erkennbar, sichtbar und trotzdem völlig ungefährdet. Dafür weht dann tagelang die Pali-Flagge am Turm der Votivkirche und stören Hamas-Versteher auf einem deutschen Christkindlmarkt. Ist halt jetzt so …
Welch ein Irrtum …
Es ist eine gewaltige Schande, dass Juden in erheblicher Zahl mittlerweile planen, Deutschland oder Österreich zu verlassen, aus genau diesem Grund.
Ich muss gestehen: Es ist dies ein Umstand, der mich zutiefst mit Scham erfüllt. Scham darüber, so naiv gewesen zu sein, allen Ernstes zu glauben, dass der Antisemitismus nach 1945 in Österreich oder Deutschland wirklich zu einem Relikt der Vergangenheit und einer Sache von ein paar alten Narren geworden ist.
Welch ein Irrtum – und welch unschöner Anblick, dass dieser Antisemitismus ein Joint Venture islamistischer und linker Milieus geworden ist. Und welch Schande, dass wir uns im Grunde an diesen Antisemitismus als Gesellschaft genauso gewöhnt haben wie an weggeworfene Pappbecher vor der McDonald’s-Filiale. Ist halt so. Nein, es sollte nicht so sein, wir haben noch immer ausreichend große Reste an Zivilisation, die wir retten können. Gerade Polen und andere osteuropäische Nationen zeigen da und dort, wie das geht.
Was allerdings nicht geht, ist, dass wir uns weiter einfach resigniert gefallen lassen, was man sich nicht gefallen lassen soll.
Kommentare