Christian Ortner: Dem Wiener Blut tät’ etwas Singapur gut
Teile von Wien, man kann es nicht anders sagen, verkommen zunehmend. Das ist kein Naturgesetz, sondern Folge einer falsch verstandenen Toleranz, meint exxpress-Kolumnist Christian Ortner.
Als ich vor vielen Jahren das erste Mal nach Singapur reiste, damals noch als Raucher, zündete ich mir am Ausgang des Flughafens nach dem langen Flug genussvoll eine Zigarette an.
„Das ist hier verboten“, rügte mich flugs ein Polizist, worauf ich pflichtschuldigst die Zigarette am Boden ausdrückte. „Das ist hier auch verboten“, erklärte mir der Vertreter der Staatsmacht, was ich damals doch irgendwie verklemmt und puritanisch fand.
Heute und angesichts des leicht verkommenen Zustands, in dem sich Teile von Wien befinden, weiß ich leider: So etwas ist manchmal notwendig, soll eine Stadt nicht völlig versandeln.
Verslumt und verkommen
„Wie viele Leute habe ich den Eindruck, dass die Innenstadtbereiche in den mittelgroßen und großen Städten immer mehr verwahrlosen“, meinte unlängst der deutsche Physiker und Comedian Vince Ebert. Man muss tatsächlich kein hauptberuflicher Suderant sein, um zu erkennen, dass die meisten westeuropäischen Städte – und Wien ist da gar keine Ausnahme – gerade einen gewissen Verslumungsprozess durchmachen, der sie nicht wirklich reizvoller macht. In Osteuropa ist das übrigens ganz anders; Städte wie Warschau oder auch Budapest erwecken überhaupt nicht den Eindruck, immer mehr zu verwahrlosen.
Dagegen breiten sich in Wien Tourismus-Ramschläden aus wie Krebsmetastasen, und traditionelle Geschäfte werden von Fastfood-Buden verdrängt. Zivilisatorisch offenbar minder gerüstete Massen verzehren ihr Junkfood zunehmend im Sitzen am Boden der Fußgängerzonen oder gar öffentlicher Verkehrsmittel unter Hinterlassung ihrer nicht unbeträchtlichen Verpackungsreste, Getränkegebinde und Zigarettenkippen. In manchen Teilen der Wiener Innenstadt, etwa der Rotenturmstraße, des Schwedenplatzes, der Kärntner Straße oder dem oberen Teil der Singerstraße, herrschen gelegentlich Zustände, dass es jeder Sau graust, if you excuse my french. Von gewissen Außenbezirken wollen wir aus Gründen des Taktes erst gar nicht reden.
Das liberale Dilemma
Mit der Freiheit des Einzelnen haben diese ärgerlichen Verhaltensmuster von Touristen, Migranten und zunehmend auch nicht gerade wenigen Einheimischen nichts zu tun. Ein Recht, die Stadt systematisch zu vermüllen, gibt es nämlich nicht.
Das ist freilich ein ziemliches Dilemma für einen Liberalen, der Verboten aller Art gegenüber grundsätzlich mit einer robust dimensionierten Abneigung ausgerüstet ist. Aber ich befürchte, wenn man verhindern will, dass Wien schon bald so versifft wie etwa Berlin ist, wird es ohne Verbote nicht gehen.
Städte wie Singapur haben vorgezeigt, dass eine konsequente Pönalisierung jedes unzivilisierten Verhaltens im öffentlichen Raum Wunder wirken kann. Und in der Güterabwägung zwischen einer völlig verkommenen Stadt und einer an sich illiberalen Verbotsunkultur erscheint Letztere in diesem Kontext als das kleinere Übel.
Meloni räumt auf
Immer mehr Metropolen oder Staaten sehen das mittlerweile genauso. Den Italienern beispielsweise wird ja bis heute ein etwas nonchalanter Umgang mit Regeln im Allgemeinen und ökologischer Korrektheit im Besonderen nachgesagt.
Doch Giorgia Meloni, für italienische Verhältnisse bereits überlang amtierende Ministerpräsidentin, will ihre Landsleute jetzt diesbezüglich umerziehen. Müll mit einer gewissen Grandezza einfach irgendwo in der Landschaft zu deponieren, wie in Italien ja nicht unüblich, wird künftig mit einer ganz besonderen Vergnügungssteuer belegt: Im Extremfall kann es bis zu 18.000 Euro kosten, wenn Autofahrer Müll, Dosen oder Flaschenauf Straßen oder am Straßenrand entsorgen. Bei Zigarettenresten oder sogar Taschentüchern aus Papier werden maximal 1.188 Euro fällig. Wird der Müll gar in einem Naturschutzgebiet entsorgt, sind auch Gefängnisstrafen möglich.
Noch konsequenter versuchen sich manche vom schlechten Benehmen ihrer Gäste betroffenen Gemeinden zu wehren: Im noblen Portofino etwa ist es seit dem vergangenen Sommer untersagt, barfuß durch den Ort zu flanieren oder in Bikini oder Badehose auf der Piazza herumzulungern. Bis zu 500 Euro kostet der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Straßen. Verboten sind auch das Sitzen oder Liegen auf Straßen, Mauern, Wegen oder in Parks sowie das Verweilen mit Koffern, Picknickausrüstung oder Musikboxen auf öffentlichen Plätzen.
Gutes Benehmen wieder gefragt
Ähnliche Regelungen gibt es in immer mehr Städten und Gemeinden Europas, die von den wenig regelaffinen Massen überrollt werden – eine Art unschöne, aber legitime Notwehr gegen die schlechte Kinderstube ihrer Gäste.
Ich finde, in Wien wäre es höchste Zeit, eine Art Renaissance des guten Benehmens im öffentlichen Raum einzuleiten und nach dem Vorbild Singapurs, aber auch anderer Metropolen, die das geschafft haben, wieder einigermaßen zivilisierte Verhältnisse herzustellen. An noch einem urbanen Slum hat die Welt nämlich kein wirkliches Interesse – und die hier lebenden zivilisierten Einheimischen schon gar nicht.
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