In einer Zeit, in der westliche Eliten sich lieber in selbstgefälligen Gärten sonnen – erinnern wir uns an Josep Borrells arrogante Metapher aus dem Oktober 2022, wonach Europa ein blühender Garten sei und der Rest der Welt ein Dschungel –, droht die Realität uns einzuholen. Nicht von außen, durch ferne Kriege oder globale Rivalen, sondern von innen, aus den Rissen unserer eigenen Gesellschaften. Als Politikwissenschaftler, der sich mit den harten Fakten der Macht auseinandersetzt, muss ich feststellen: Der Westen steht am Rande eines Bürgerkriegs, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist höher, als viele wahrhaben wollen. Basierend auf seriösen Analysen wie denen von David Betz vom King’s College London, der in Artikeln für das „Military Strategy Magazine“ detailliert die strategischen Realitäten skizziert, liegt die jährliche Chance für einen Ausbruch in Ländern mit den entsprechenden Vorzeichen bei rund 4 Prozent. Über fünf Jahre gerechnet ergibt das eine Risikowahrscheinlichkeit von 18,5 Prozent pro Land – und wenn man zehn europäische Staaten betrachtet, steigt die Chance, dass es mindestens in einem zu einem Konflikt kommt, auf satte 87 Prozent. Berücksichtigt man eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass diese Konflikte auf Nachbarländer übergreifen, landen wir bei 60 Prozent Gesamtrisiko. Diese Zahlen sind nicht das Produkt akademischer Spekulation, sondern das Ergebnis der Anwendung bewährter Methoden zur Konfliktvorhersage auf die gegenwärtige Lage in Europa und Nordamerika. Was Wissenschaftler wie Barbara Walter von der University of California erkannt haben, ist, dass die Faktoren, die traditionell zur Vorhersage von Bürgerkriegen in Entwicklungsländern verwendet wurden, heute auch in den entwickeltesten Gesellschaften der Welt präsent sind.

Schauen wir uns die Ursachen an, ohne die üblichen Schönfärbereien, welche uns die Massenmedien gerne als „Fakten“ verkaufen wollen. Die multikulturelle Utopie, die uns Jahrzehnte lang als Heilmittel verkauft wurde, hat versagt – und das auf ganzer Linie. Angela Merkel gab 2010 zu, dass der Multikulturalismus in Deutschland “gescheitert” sei, und David Cameron folgte kurz darauf mit ähnlichen Worten für Großbritannien. Doch statt daraus zu lernen, haben Eliten die Fragmentierung vorangetrieben. In Städten wie Leicester im Vereinigten Königreich, wo im vergangenen Jahr Gewalt zwischen hinduistischen und muslimischen Gruppen ausbrach, zeigt sich, wie “asymmetrischer Multikulturalismus” – eine einseitige Toleranz, die nur für Minderheiten gilt – zu tribalistischen Konflikten führt. Betz warnt in seiner Analyse, dass 75 Prozent der Bürgerkriege nach dem Kalten Krieg ethnisch motiviert waren. Diversität ist keine Stärke, sondern zunehmend der Garant für Unruhen und Gewalt zwischen ethnisch und religiös unterschiedlichen Gruppen.

Hinzu kommt die wirtschaftliche Erosion, die den Boden für Unruhen bereitet. Zum ersten Mal seit der Industriellen Revolution sind junge Generationen ärmer als ihre Eltern – geringere Einkommen, explodierende Lebenshaltungskosten für Energie, Nahrung und Wohnen, und eine Deindustrialisierung, die ganze Regionen entvölkert. Diese “Erwartungslücke” explodiert in Kombination mit einer politischen Entfremdung: Wahlen werden zu bloßen Ritualen, die nichts verändern, wie Sheldon Wolin in seinem 2008 erschienenen Buch „Democracy Incorporated“ beschreibt: Die “verwaltete Demokratie”, in der Machtstrukturen immer weniger legitimiert, aber gleichzeitig auch nicht herausgefordert werden. Die Gesellschaft ist unzufrieden und wird gleichzeitig demobilisiert beziehungsweise durch NGOs ersetzt, welche eine Zivilgesellschaft „simulieren.“

Strategisch gesehen wird der Konflikt brutal und asymmetrisch. Betz skizziert in Teil II seiner Serie die “feralen oder wilden Städte”: Urbane Zentren, in denen der Staat die Kontrolle verliert, während ländliche Gebiete sich gegen die “besetzten” Metropolen wehren. Moderne westliche Städte sind hochkomplexe, aber fragile Systeme, deren Infrastruktur größtenteils ungeschützt durch ländliche Gebiete verläuft. Gaskompressionsstationen, Hochspannungsleitungen, Kommunikationsknoten – all diese kritischen Infrastrukturen sind leichte Ziele für entschlossene Akteure. Denken Sie an die Sabotageakte in Frankreich: Im Juli 2024 wurden Glasfaserkabel durchtrennt, und zeitgleich mit den Olympischen Spielen gab es koordinierte Brandanschläge auf das Schienennetz. In London haben “Blade Runners” bis Mai 2024 über 1.000 Überwachungskameras zerstört. Und der Brand am Haupttransformator des Heathrow-Flughafens im März 2025 führte zu 1.300 Flugverspätungen oder -ausfällen. Solche Angriffe auf Infrastruktur – Gasleitungen, Stromnetze, Pipelines – könnten ganze Städte lahmlegen.

Die meisten Menschen verstehen nicht, wie fragil unser modernes Leben wirklich ist. Der durchschnittliche Stadtbewohner hat höchstens wenige Tage Nahrungsmittel zu Hause, und die Städte selbst verfügen typischerweise über nicht mehr als wenige Tage zusätzliche Nahrungsmittelvorräte in Lagerhäusern und Geschäften. Just-in-Time-Lieferketten, die als “effizient” gepriesen werden, sind in Wirklichkeit hochgradig vulnerabel gegenüber Störungen. Frankreich und Großbritannien stehen laut Betz dem Abgrund am Nähesten – mit jüngsten Vorfällen wie Entführungen, Grooming Gangs, Morden und Angriffen auf kulturelle Veranstaltungen in den letzten fünf Jahren. Aber die Bedingungen greifen um sich: In 15 Ländern, einschließlich der USA, könnte die Wahrscheinlichkeit für Ausbruch und Ausbreitung über fünf Jahre bei 72 Prozent liegen.

Die Ironie? Jene, die am lautesten vor “Populismus” warnen, schaffen durch ihre Ignoranz genau die Bedingungen für Chaos. Wie James Davison Hunter vor Jahrzehnten feststellte: Zwischen Gruppen, die unvereinbare Welten wollen, gibt es kein Mittel außer Gewalt. Betz’ Warnung ist klar: Wir haben nicht mehr als fünf Jahre, um umzusteuern. Statt weiterer Illusionen brauchen wir eine Rückbesinnung auf nationale Kohäsion, echte Integration und wirtschaftliche Erneuerung. Andernfalls droht “Retribalisierung” – die Auflösung in ethnische Enklaven oder gar Massenmigrationen wie nach 1945. Ein zentraler Katalysator dieser Krise ist das offensichtliche Scheitern des multikulturellen Experiments. Bereits 2006 zeigte Robert Putnam in einer großangelegten Studie unter 30.000 Amerikanern, dass Menschen in ethnisch vielfältigen Nachbarschaften dazu neigen, sich zu “verkriechen”. Sie zeigen weniger Vertrauen – sowohl gegenüber anderen Ethnien als auch gegenüber ihrer eigenen Gruppe. Europa steht vor einer grundlegenden Wahl: entweder eine radikale Erneuerung seiner politischen und gesellschaftlichen Strukturen oder der Abstieg in eine Ära der Fragmentierung und des Konflikts. Die Zeit für kosmetische Reformen ist vorbei.