„Hat er das wirklich gesagt?“ – so lautete am vergangenen Dienstagabend der Tenor in politischen Kreisen der Bundeshauptstadt. Bundeskanzler Karl Nehammer hatte in mehreren Zeitungsinterviews gemeint, dass er neue Steuern nicht mehr ausschließt. Die Aussage, es sei „absurd“, nicht über neue Steuern sprechen zu dürfen, sowie seine Forderung, dass es bei den ohnehin schon schwierigen Koalitionsverhandlungen kein „Denkverbot“ geben dürfe, reichten aus, um ein kleines Beben auszulösen.

Mit diesen Worten ist nämlich eine zentrale Position der ÖVP gefallen. Ein Kernversprechen des Wahlkampfs – mit der ÖVP werde es keine neuen Steuern geben – wurde vom Kanzler und Parteichef persönlich zu Grabe getragen. Das Vertrauen in politische Zusagen steht somit einmal mehr auf dem Prüfstand. Was soll man Politikern im Wahlkampf noch glauben?

Nehammers plötzlicher Kurswechsel lässt viele ratlos zurück. Für Beobachter wirkt es wie eine Verzweiflungstat, um die ohnehin schon angeschlagene Dreierkoalition zu retten. Es ein Kniefall vor Andreas Babler und der SPÖ, eine Provokation gegenüber den NEOS und ein Verrat an der eigenen Wählerschaft. Schließlich hatte Nehammer wiederholt betont, gegen neue Steuern einzutreten und die Förderung von Eigentum ins Zentrum seiner Politik zu stellen. Jetzt jedoch wird die Tür geöffnet – für Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern oder eine höhere Grundsteuer und wer weiß, was der SPÖ noch alles einfallen wird. Eine schwere Kost für alle, die sich Eigentum hart erarbeitet haben oder sich eines schaffen wollen. Aber vor allem, die an Karl Nehammers Versprechen geglaubt haben.

Wirtschaft spricht sich klar gegen neue Steuern aus

Für die SPÖ könnte dieser Schwenk von Nehammer zum Triumph werden: Trotz ihres schlechtesten Wahlergebnisses in der Parteigeschichte dürften sie auf diesem Weg ein zentrales Wahlversprechen durchsetzen. Gleichzeitig wird der ÖVP buchstäblich die Hose bis auf die Knöchel runtergezogen. Die alten Machtspiele und gegenseitigen Kämpfe aus Zeiten der großen Koalition sind wieder da.

Ob alle Parteiflügel der ÖVP Nehammers neuen Kurs und seinen persönlichen Kampf ums Kanzleramt ohne Widerstand und um jeden politischen Preis hinnehmen und gutheißen, ist höchst ungewiss. Die Wirtschaft spricht sich klar gegen jede Art von neuen Steuern aus, ebenso die Bauern, die schon gar nicht eine höhere Grundsteuer wollen, die jeden landwirtschaftlichen Betrieb, Häuslbauer, Grundbesitzer und Wohnungsmieter – sprich: den Mittelstand und auch jene, denen es schlechter geht – belasten würde. Das könnte letztlich auch Nehammers Machtbasis, den Arbeitnehmerflügel in der ÖVP und auch die letzte Stammwählerbastion der ÖVP, die Senioren, auf den Plan rufen. Auch die mächtigen Landeshauptleute, allen voran Johanna Mikl-Leitner, die in Niederösterreich Ende Jänner eine wichtige Gemeinderatswahl bestreiten muss, dürften ebenfalls wenig erfreut sein. Vor allem deshalb, weil sie noch am Wochenende dem Bund via Krone ausrichtete, dass es keine neuen Steuern geben darf. 48 Stunden später folgte Nehammers Steuer-Ansage.

Des Kanzlers Steuerschwenk kommt in einer wirtschaftlich schwierigen Phase und trifft die ÖVP auch parteiintern zur Unzeit. Die einzigen, die sich freuen dürften, sind (wieder einmal) Herbert Kickl und die FPÖ. Gleich von drei verschiedene Umfrageinstituten wurde am Freitag die aktuelle Stimmungslage in Österreich veröffentlicht (heute.at/Peter Hajek, oe24.at/Lazarsfeld und exxpress.at/INSA). Alle drei Umfragen zeigen ein fast identes Bild: Die FPÖ steigt bei der Sonntagsfrage immer weiter nach oben (bereits 35 %) und setzt sich immer mehr von ÖVP und SPÖ ab, die zunehmend an Zustimmung in der Bevölkerung verlieren. Besonders für die ÖVP wird’s immer härter – in einer Umfrage fällt sie bereits hinter die SPÖ zurück. Das sind keine guten Zeichen. Für Nehammer aber auch für die „Zuckerl-Koalition“.