Eva Schütz: Sepp, das Fett ist nicht weg!
Spüren Sie es schon? Seit dieser Woche geht es ran an den Speck. Nein, nicht an Ihre Figur, sondern an den Bürokratiespeck unseres Landes. Jetzt wird ordentlich durchgefegt, gestrichen, abgeschafft, verschlankt – kurzum: dereguliert.
Das ist das Ziel des eigens dafür geschaffenen Deregulierungs Staatssekretärs Sepp Schellhorn. Seit seinem Amtsantritt ist der NEOS Mann nur durch Fettnäpfchen – vom Dienstauto bis zu NS-Verharmlosung – aufgefallen. Nun geht es aber ans „richtige“ Fett: die Fettschicht unserer über Jahrzehnte gereiften und mit viel Leidenschaft gepflegten Bürokratie.
Laut Agenda Austria gab es 1970 rund 8.400 aktive Paragrafen bzw. Artikel in Bundesgesetzen. Im Jahr 2021 ist diese Zahl auf knapp 56.000 angestiegen – das entspricht mehr als einer Versechsfachung. Bei Verordnungen war die Entwicklung noch verheerender: Von 2.800 im Jahr 1970 verdreizehnfachte sich die Zahl im Verlauf von 50 Jahren auf rund 38.400 Verordnungen. Österreich wird also insgesamt mit weit über 94.000 Gesetzen, Paragrafen und Verordnungen geregelt.
Diese Woche kam der von Wirtschaft und Bevölkerung lange ersehnte Entbürokratisierungs Wurf Schellhorns. Monatelang sammelte er Vorschläge, Ideen und durchforstete Österreichs Paragrafenlandschaft. Der NEOS Staatssekretär hat seit seinem Amtsantritt – also in den vergangenen 9 Monaten – sage und schreibe 113 der über 94.000 Regelungen und Verordnungen lokalisiert und gestrichen. Das entspricht exakt einer Reduktion von 0,12 % aller bestehenden Gesetze und Verordnungen. Schellhorns groß inszenierte Deregulierungsoffensive bewegt sich also im unteren Promillebereich.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Vergleicht man diese Deregulierungsoffensive mit dem Abnehmprogramm eines durchschnittlichen Österreichers, der sich über die Feiertage an Bauch und Hüfte etwas Speck „anfrisst“, dann würde er nach Schellhorns Formel statt 85 kg nur noch 84,9 kg wiegen.
Man kann nicht davon ausgehen, dass der durchschnittliche Österreicher nach einem so „harten“ Abnehmprogramm von Komplimenten überschüttet wird – nicht schlanker, weiter unbeweglich, und das Gejammere hört nicht auf. Genau das hat Schellhorn mit seiner Entbürokratisierungsoffensive geliefert. Herr und Frau Österreicher wurden erneut von der Regierung enttäuscht. Man fragt sich, wo ist dieser Sepp Schellhorn geblieben, der noch vor einem Jahr großspurig und vollmundig aus seiner Küche Videos postete und aufgewühlt erklärte, unter welche großen Bürokratielasten die Wirtschaft leiden würde. Nüchterne Befund: Sepp, das Fett ist nicht weg!
Für die NEOS, die sich stets immer als Reformkraft bezeichnet und sich als moderne Partei gibt, ist das Ergebnis dieser lang angekündigten Bürokratiebekämpfung ein Armutszeugnis, wenn nicht sogar Bankrotterklärung. Wenn es der Zugang dieser selbsternannten Reformkraft ist, nur eine handvoll überflüssiger Regeln in den Papierkorb zu werfen, dann haben die NEOS jeden Anspruch zum Mitregieren verloren. So bleibt der Eindruck, dass die Pinken unter Beate Meinl-Reisinger nichts anders als lediglich der Beschaffer einer halbwegs stabilen Regierungsmehrheit für schwarz und rot sind.
Es mag zwar gut sein, wenn in Zukunft das Intervall für das Auto Pickerl ausgedehnt wird oder wenn künftig auf den Almen der Almdudler auch aus 1 Liter Flaschen ausgeschenkt werden darf – wie der Wirtschaftsminister auf Instagram geradezu als Revolution feiert. Doch diese 113 Punkte bringen uns nicht weit nach vorne. Für die Wirtschaft sind diese 113 Punkte maximal ein kleiner Tropfen auf einem massiv überhitzten Stein. Sie dämpfen weder die Inflation, noch schaffen sie Wirtschaftswachstum, und sie senken auch die Arbeitslosenquote nicht. Diese Deregulierungsoffensive unter Schellhorns Regie ist leider viel zu wenig, um wenigstens etwas Optimismus im Land zu verbreiten.
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