Eva Schütz: Wird aus der Dreierkoalition ein Dreikampf?
Die Koalition versprach Einigkeit – doch nun rumort es in allen drei Parteien. Nicht nur zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS knirscht es, auch parteiintern wächst der Widerstand. Stocker, Babler und Meinl-Reisinger – entgleitet ihnen die Kontrolle, fragt Eva Schütz.
„Kein weiter wie bisher”, „Leben und leben lassen” und „Das Gemeinsame vor das Trennende stellen” – diese hehren Vorsätze vom Start der Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS haben wir alle noch in unseren Ohren. Doch was ist davon übrig geblieben? Der Regierungsalltag und die Mühen der Ebene scheinen diese Koalition nun immer mehr zu erfassen.
Die ersten erkennbaren Bruchlinien ziehen sich nicht nur entlang der Parteigrenzen. Auch innerhalb der Regierungsparteien macht sich merkbarer Widerstand breit. Besonders auffällig: Unter den Abgeordneten beginnt ein halblautes Aufbegehren – das ist in Österreich beim sogenannten „Klubzwang” höchst ungewöhnlich.
Der Druck steigt
„Der Deckel wird noch gut draufgehalten“, so skizzierte kürzlich ein Regierungsinsider die aktuelle Stimmung in der Bundesregierung. Gemeint ist damit die Zusammenarbeit der ersten Dreierkoalition unseres Landes. Zwar stimme man sich intensiv ab und versuche das Regierungsprogramm abzuarbeiten, aber die Abstimmungsprozesse würden immer mehr zu einer mühsamen und nervtötenden Arbeit werden.
Selbst in der Koordinierung – dort, wo jede Woche alle Fäden der Koalitionszusammenarbeit zusammenlaufen – ist man verwundert, dass die vielen Dissonanzen bisher noch nicht den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben. Das Chaos ums Trinkgeld förderte zuletzt jedoch ein Thema zutage, das sinnbildlich für die zunehmenden Spannungen in der Koalition stehen.
NEOS: Meinl-Reisinger verliert die Kontrolle
Beim kleinsten Regierungspartner, den NEOS, scheint Parteichefin Beate Meinl-Reisinger die komplette Führung der Pinken aus den Händen zu gleiten. Ihr Staatssekretär für Deregulierung sorgt nur noch für Schlagzeilen um Dienstautos und NS-Vergleiche. Sepp Schellhorn ist es gelungen, innerhalb weniger Wochen zum Problembär der Koalition zu werden. Auffällig ist die mangelnde Rückendeckung, die der Salzburger bisher aus den eigenen Reihen bekommen hat.
Zusätzlich verweigern erste NEOS-Abgeordnete bei Regierungsvorhaben wie der Messenger-Überwachung die Zustimmung im Parlament. Offiziell will es noch niemand sagen, aber an der Doppelfunktion von Meinl-Reisinger als Außenministerin und Parteichefin gibt es erste Zweifel im pinken Parlamentsklub. Zudem sorgen sich Abgeordnete um das Profil der NEOS, das seit der Regierungsbeteiligung immer mehr an Schärfe verliert. Die liberale Marke droht zu verwässern.
SPÖ: Einzelkämpfer Babler
Bei der SPÖ kämpft Vizekanzler Andreas Babler gleich an mehreren Fronten: zum einen um seine Rolle in der Regierung, zum anderen gegen die vielen Strömungen innerhalb der eigenen Partei. Ihm gelingt es nicht, sich selbst in der Regierung gut in Szene zu setzen, und ebenso wenig, seine roten Minister als ein sozialdemokratisches Team zu positionieren.
Da gibt es zum einen Babler, der wie ein Einzelkämpfer wirkt, die AK-Fraktion um Finanzminister Markus Marterbauer und Sozialministerin Korinna Schumann sowie die Wiener Partie um Infrastrukturminister Peter Hanke. Dass Babler immer mehr versuche, mit unabgestimmten Regierungsvorhaben öffentlich zu punkten – sorgt bei ÖVP und NEOS für zunehmenden Ärger.
ÖVP: Erste Widersprüche
Am stabilsten wirkt noch die ÖVP, aber auch dort sorgte diese Woche eine Aussage für Aufregung. Dass sich die Wiener Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler öffentlich gegen Klubobmann August Wöginger stellt und ihm in der Debatte über die Anhebung des Pensionsantrittsalters massiv widerspricht, ist ein nicht alltägliches Ausscheren von der Partei- bzw. Regierungslinie.
Dass bereits in zwei von drei Regierungsparteien Abgeordnete öffentlich gegen die Regierungsarbeit rebellieren, ist in Österreich eine Seltenheit. Die Bruchlinien und das Aufbegehren freier Mandatare lassen für den Herbst nichts Gutes erwarten.
Gelingt es Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger nicht, rechtzeitig für Ruhe in den eigenen Reihen zu sorgen, könnte der interne Widerstand Schule bei den Abgeordneten machen und dieses Regierungsprojekt in ernsthafte Gefahr bringen. Von den guten Vorsätzen ist dann wenig übrig und es dominiert wieder das Trennende vor dem Gemeinsamen – das kennen wir schon. FPÖ und Grüne werden sich freuen.
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