Heinzlmaier: Der Todestrieb der SPÖ
Der Todestrieb wurde von Sigmund Freud entdeckt. Die Existenz des Triebes ist umstritten. Offenbar bemüht sich die SPÖ gerade, den empirischen Nachweis zu erbringen, dass es diesen Trieb tatsächlich gibt, und zwar bei Parteien.
Karl Marx hat einmal die These aufgestellt, dass alle Ereignisse der Geschichte zweimal auftreten, einmal als Tragödie und einmal als Farce. Die große Tragödie der SPÖ in neuester Zeit war Christian Kern. Dieser stellte sich im Verlauf seiner kurzen Parteiführerschaft als nicht teamfähige, histrionische Persönlichkeit heraus. Eine solche verhält sich überwiegend theatralisch und egozentrisch und hat ein ungewöhnlich starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Ein Charakter dieser Art kann keine Partei führen, weil er alle Energie zwanghaft auf die Optimierung der Darstellung seines eigenen öffentlichen Selbst konzentrieren muss. Während der Histrioniker aufblüht, geht alles um ihn herum zugrunde und er bemerkt es nicht einmal. Zu sehr ist er mit sich selbst beschäftigt.
In der Wiener SPÖ herrscht Kultur der Macht
Auf Kern folgte Pamela Rendi-Wagner, die Farce. Sie konnte hervortreten, weil alle anderen sich im Hintergrund hielten. Nachdem auch der kompetente Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda aus dem Amt intrigiert wurde, kam Christian Deutsch. Dadurch wurde der mediokren Parteizentrale eine weitere tragende Säule hinzugefügt. Die Farce näherte sich ihrer Idealform.
In der Wiener SPÖ herrscht seit geraumer Zeit eine Kultur der Macht, die im Verborgenen operiert. Die Vorderbühne der Politik wird gemieden, Herrschaft wird durch geschicktes Strippenziehen im Hintergrund ausgeübt. Nach und nach gelang es den Wiener Experten der klandestinen Techniken der Macht, die unerfahrene Parteivorsitzende in eine Handpuppe ihrer Interessen zu verwandeln. Die Farce perfektionierte sich weiter.
Dieser Vorgang brachte den burgenländischen Parteivorsitzenden Hans Peter Doskozil auf die Palme. Doskozil, der gegenwärtig mit Abstand begabteste und intelligenteste Politiker der SPÖ, hat einen gravierenden Nachteil, sein Wille zur Macht ist deutlich ausgeprägter als seine soziale Intelligenz. Er ist in dieser Facette seiner Persönlichkeit Alfred Gusenbauer nicht unähnlich. Wäre dessen Vernunft in der Lage gewesen, seine Gefühlsregungen und Triebe im Zaum zu halten, wäre er noch heute Parteivorsitzender und Bundeskanzler. Und in der SPÖ würde Ruhe herrschen.
Bleiernes Schweigen bis zum heutigen Tag
Doskozil ist es gelungen, sich durch sein völlig überzogenes Agieren auf der Vorderbühne der Politik so nachhaltig zu beschädigen, dass er gegenwärtig als unsympathischer Störenfried dasteht, der einer armen und bemühten Frau das Leben zur Hölle macht. Nichts kann das Phänomen „Doskozil“ besser charakterisieren als der Satz des Dichters Horaz: „Kraft bar der Weisheit stürzt durch die eigene Wucht.“
Während Doskozil weiterhin seine Flüche und Verwünschungen auf die von der SPÖ Wien gelenkte Bundes-SPÖ loslässt, passiert dort eine Wahnsinnstat nach der anderen. Zuletzt die Katastrophen-Aktion rund um die Diskussion über die Abschiebung von kriminellen afghanischen Asylwerbern. Nachdem der Parteitag der SPÖ, das höchste Gremium der Partei, explizit die Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan beschlossen hatte, ließ Rendi-Wagner auf Anweisung der Wiener Großstrategen zwei Provinz-Abgeordnete, die kommunikativ ohne Zweifel die Führung eines ländlichen Wasserleitungsverbandes tief beeindrucken können, vor die Presse treten und den Parteitagsbeschluss brachial mit dem unglaublich dämlichen Argument vom Tisch fegen, dass jeder zur Abschiebung anstehende Einzelfall im Hinblick auf die Sicherheitslage vor Ort geprüft werden müsse. Das klingt in etwa so, als wäre man prinzipiell gegen die Todesstrafe, bei genauer Prüfung der Einzelfälle könnte diese aber trotzdem ab und an zur Anwendung kommen.
Nachdem die SPÖ-Führung diese demokratiepolitische Atombombe gezündet hatte, geschah, richtig vermutet, nichts. Kein Sturm der Entrüstung brach unter den wie Kleinkinder autoritär abgefertigten Parteitagsdelegierten los. Bis zum heutigen Tag herrscht bleiernes Schweigen. Damit ist der Beweis erbracht, dass das strukturelle Innenleben der SPÖ völlig zersetzt ist. Die Parteikader reagieren nicht einmal mehr auf die gemeinsten und hässlichsten Formen der Erniedrigung.
Jenseits von Gut und Böse
Kurz nach ihrer Wahl hat Rendi-Wagner gemeint, dass ihr Marx zu wenig leistungsfreundlich wäre. Das ist zweifellos die einfältigste und unbedarfteste Marxinterpretation, die jemals eine sozialdemokratische Funktionsträgerin auf der ganzen Welt von sich gegeben hat. Tatsächlich hat Marx niemals die Leistung verteufelt, sondern nur scharf kritisiert, dass die Erträge der gesellschaftlichen Produktion im Kapitalismus ungerecht verteilt werden.
Besser verstanden hat Rendi-Wagner Marx offenbar, was das sittliche Handeln in der Politik betrifft. Denn dieser hat die Sittlichkeit durch den Interessensbegriff ersetzt. Das bedeutet, dass nach Marx jedes Handeln legitim ist, das der Durchsetzung der Interessen der sozialistischen Bewegung dienlich ist.
Mit der perfiden Umdeutung des Parteitagsbeschlusses zu den Afghanistan-Abschiebungen steht Rendi-Wagner nun fest auf dem Boden der marxistischen Theorie. Damit ist die SPÖ, wie Marx es empfohlen hat, nun jenseits von Gut und Böse angekommen, mitten im Amoralischen. Eine komfortable Position für all jene, die ohne Prinzipien ein gutes und erfülltes Leben zu führen verstehen.
Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.
Kommentare