Die zahlreichen wirtschaftlichen Sanktionen und Embargos, mit denen die westliche Staatengemeinschaft Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs belegt hat, mögen gut gemeint oder gar moralisch alternativlos gewesen sein – heute wird jedoch von Tag zu Tag klarer, dass sie ihr Ziel, das Moskauer Regime entscheidend zu schwächen, nicht erreicht haben. Vor allem aber haben diese Sanktionen die Fähigkeit der Russischen Föderation, ihren verbrecherischen Krieg weiterhin zu führen und möglicherweise noch zu intensivieren, nicht einmal annähernd reduziert, auch wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das seinerzeit etwas großsprecherisch vorhergesagt hatte.

Mehr noch: Erst dieser Tage berichtete die New York Times, dass seit dem Beginn des Kriegs im Jahr 2022 sogar Mikrochips im Wert von vier Milliarden Dollar über dunkle Kanäle aus den USA nach Russland verschifft worden sind – also Produkte, die für die moderne Kriegsführung von zentraler Bedeutung sind: »Die Fähigkeit des russischen Präsidenten Wladimir W. Putin, westliche Handelsbeschränkungen zu missachten, ist einer der Mängel der von den USA geführten Reaktion auf den Krieg in der Ukraine«, urteilte die New York Times. Und hat damit, leider, völlig recht.

Kriegsboom in Moskau

Man muss kein Kreml-Propagandist sein, um die Sanktionen auch ökonomisch für gescheitert zu halten, es reicht völlig ein Blick auf den Russland-Monitor, eine Art Dashboard, auf dem alle wesentlichen Kennzahlen und Parameter der russischen Volkswirtschaft laufend aktualisiert werden (rus-monitor.wiiw.ac.at). Die Zahlen des von vier Forschungsinstituten, darunter das Wiener WIFO, betriebenen Monitors lassen keine andere Interpretation zu, als dass Russland entgegen den westlichen Intentionen und Wünschen derzeit eher einen von den enormen Rüstungsausgaben induzierten Kriegsboom erlebt.

Schon Anfang des Jahres urteilte der Russland-Experte Gerhard Mangott: “Das Staatsdefizit ist unter Kontrolle. Der Rubel hat einen relativ stabilen Außenwert. Die Hoffnungen des Westens haben sich nicht erfüllt, wonach die Wirtschaft kollabieren würde. Russland kann den Krieg noch lange fortsetzen.”

Wir zahlen ohne Nutzen

Ähnlich urteilte jüngst die Neue Zürcher Zeitung: “Gemessen an ihren ursprünglichen Zielen sind die westlichen Einschränkungen gescheitert.” Und der renommierte deutsche Ökonom Daniel Stelter schrieb dieser Tage im Handelsblatt in Hinblick auf die erheblichen finanziellen Belastungen durch die Sanktionen für die Bevölkerung im Westen: “Wir zahlen mehr ohne großen Effekt.”

Ein wesentlicher Grund für das Scheitern der Sanktionen dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass der Westen die russischen Energieexporte zwar behindern, aber nicht substanziell unterbinden konnte oder wollte; etwa, indem Deutschland zwar kein Öl mehr aus Russland importiert, dafür aber Diesel aus Indien, der dort aus russischem Öl hergestellt wird. Dazu kommt eine grundsätzlich falsche Annahme des Westens über seine Möglichkeiten, Russlands Politik zu beeinflussen. Andrej Movchan, einer der bekanntesten russischen Investmentbanker, hat dazu jüngst in der Presse gesagt: “Bei Sanktionen ist es immer und überall so, dass sich die Bevölkerung um die eigenen Machthaber schart. Zu glauben, dass sich die Russen gegen den Kreml auflehnen, nur weil sie keinen McDonald’s mehr haben oder nicht mehr im Westen urlauben können, war absurd … Eine Wirtschaft, die zehn Prozent des globalen Öls fördert, kann man von außen nicht zerstören. Noch dazu, wenn die Bevölkerung klein und an Armut sowie autoritäre Kontrolle gewöhnt ist.”

Bloß kein weiter wie bisher

Hinzu kommt, dass die Politik der EU, Energie zum Behufe der Rettung des Klimas teurer zu machen, natürlich Russland durchaus zugutekam. “Wer auch immer für die Ausgestaltung der westlichen Sanktionen zuständig ist: Grundwissen über ökonomische Zusammenhänge scheint nicht vorhanden zu sein”, urteilt der Ökonom Stelter hart, aber in der Sache treffend.

Wenn eine Strategie aber so eindeutig gescheitert ist, dann ist weder ein beherztes “weiter wie bisher” noch ein trotziges “dann eben mehr davon” wirklich das Mittel der Wahl.

Gewiss, die Vorstellung, durch eine partielle Aufhebung der Sanktionen, etwa deren Beschränkung auf militärisch verwendbare Güter, einen Beitrag zur Finanzierung von Putins Krieg zu leisten, ist alles andere als angenehm. So etwas widerstrebt jedem halbwegs vernünftigen Menschen bis tief ins Mark.

Die Emotionsfalle

Wenn aber, und darauf deutet immer mehr hin, die Sanktionen in ihrer heutigen Form einfach nicht das gewünschte Ergebnis bringen, gleichzeitig aber unsere Wirtschaft schädigen, dann sind Emotionen kein besonders tauglicher Ratgeber.

Angemessen erscheint daher, zumindest jenen Teil der Sanktionen zu evaluieren, die nachweisbar ohne Wirkung bleiben, und sie gegebenenfalls aufzuheben. Im Gegenzug erscheint dringend geboten, den Export von Mikrochips und anderen Hightech-Produkten endlich wirksam zu unterbinden, auch wenn das natürlich mühsam ist.

Gleichzeitigt machte es aber auch Sinn, im Gegenzug die militärische Unterstützung der Ukraine durch Europa noch weiter zu verstärken; vor allem auch durch die Lieferung von Luftabwehrsystemen, mit denen Menschenleben geschützt werden können.

Zahnlose Sanktionen erscheinen in diesem Kontext fast wie ein Versuch des Westens, sich vor dieser Ausweitung des militärischen Beistands zu drücken, indem die Embargopolitik als Substitut dafür betrachtet wird.