Es zog sich wie ein roter Faden durch die gesamten Koalitionsverhandlungen: Der Wurm war von Anfang an drin, doch man kaschierte, redete alles schön und verhandelte munter weiter. Dass ÖVP, SPÖ und NEOS ihre Positionen niemals unter einen gemeinsamen Koalitionshut bringen können, war jedem Beobachter von vornherein klar. Aber man übte sich in Zweckoptimismus und als gelernter Österreicher beobachtet man die Dinge zunächst einmal, ganz nach dem Motto „Schaun ma Mal“. Gestern war dann aber Schluss.

Schluss könnte auch bald für Karl Nehammer sein. Er steht vor einem politischen Scherbenhaufen. Diesen hat er zwar nicht allein verursacht, aber maßgeblich mitverschuldet. Nach der krachenden Wahlniederlage bei der Nationalratswahl und einer Serie von Niederlagen in den Bundesländern ist er nun auch mit dem Regierungsbildungsauftrag gescheitert. Die Ampel war sein Ziel, nun ist es zum Kurzschluss mit Totalausfall gekommen. Die Überbleibsel der gescheiterten Austro-Ampel stehen nun vor ihrem eigenen Scherbenhaufen und versuchen, zu retten, was noch zu retten ist – doch der Schaden für diese Regierung und die Politik insgesamt ist längst angerichtet.

Karl Nehammer hatte mehrere Chancen

Die zwei alten „Großparteien“, die diesen Namen längst nicht mehr verdienen, verfügen gemeinsam nur noch über eine hauchdünne Mandatsmehrheit. Vor diesem Hintergrund kann man das Fortführen der Verhandlungen wohl nur als ein letztes Zucken bezeichnen. Denn dieser letzte Versuch ändert nichts an der Tatsache, dass Karl Nehammer sich eingestehen muss, dass er als ÖVP-Obmann weiter erfolglos bleibt und nicht nur eine, sondern gleich mehrere Chancen hatte. Letzteres ist ein Luxus, der nur wenigen Spitzenpolitikern zugestanden wird.

Wenn er sein eigenes Credo „Kein Weiter wie bisher“ ernst nimmt, muss er nun Konsequenzen ziehen, seinen Platz räumen und einen Neustart ermöglichen. Einen solchen braucht nicht nur die ÖVP dringend, sondern vor allem das Land. Dafür ist neues Personal erforderlich, das sich nicht durch Parolen wie „nicht mit Kickl“ selbst den politischen Handlungsspielraum nimmt und demokratische Prinzipien uneingeschränkt anerkennt.