Die gute Idee

Über den Marxismus und seine als Sozialismus bezeichnete Vorstufe zum Kommunismus wurden unübersehbar viele Bücher und Abhandlungen geschrieben. Es ist verlorene Zeit, denn es zählen allein die dutzenden gescheiterten Versuche, den Marxismus politisch in irgendeiner Form umzusetzen. Nach jedem Scheitern vernahm die Welt die gleiche einfache Floskel: „Der Marxismus ist eine gute Theorie, es wurden lediglich Fehler bei der Umsetzung gemacht.“ Im Jahr 2002 wurde von einem Umfrage-Institut folgender Satz getestet: „Der Sozialismus ist eine gute Idee, die in der Praxis nur schlecht umgesetzt wurde.“ 45% der West- und 82% der Ostdeutschen stimmten zu. Diese „gute Idee“ hat bis heute unzählige Volkswirtschaften ruiniert, in allen Fällen Gesellschaften mit verarmten Unterschichten und reichen Bonzen geschaffen, Abermillionen Menschen in Armut und Hunger getrieben und ungefähr hundert Millionen Unschuldige gewaltsam zu Tode gebracht.

Die Sowjetunion (samt ihren Satellitenstaaten) unter Stalin und China unter Mao waren wahrscheinlich die schlimmsten Diktaturen aller Zeiten. Hitler kommt hinsichtlich der Opferzahlen nur Stalin nahe. Mao Tse Tungs 60 Millionen Tote erreichte Hitler nicht einmal ansatzweise. Beide sozialistischen Systeme sind kläglich gescheitert. Die Sowjetunion ist aus wirtschaftlichen Gründen zusammengebrochen. China ist heute weder sozialistisch noch kommunistisch, sondern pflegt eine Art Parakapitalismus unter einer Einparteiendiktatur, was zwar eine Zeitlang, jedoch nicht langfristig funktionieren kann.

Fidel Castro

Alle anderen Formen des Marxismus/Sozialismus sind ebenfalls kläglich gescheitert. In Kuba gelangte Fidel Castro und seine Gang 1958 nur deshalb an die Macht, weil er eine korrupte regierende Drogenbande unter Fulgencio Batista bekämpfte. Das kubanische Volk tauschte eine Diktatur durch eine andere aus, handelte sich damit aber nur Hunger und mehr Armut ein.

Das (relativ) grausamste marxistische Regime errichteten die Roten Khmer in Kambodscha der späten Siebzigerjahre. Unter der Führung des Diktators Pol Pot, der ein Bewunderer von Karl Marx, Wladimir Lenin und Adolf Hitler war, sollte eine neue Gesellschaft nach marxistischen und einigen nationalsozialistischen Ideen errichtet werden, koste es, was es wolle. Auf Befehl Pol Pots wurde ungefähr die Hälfte des kambodschanischen Khmer-Volkes ermordet.

Die „erfolgreichste“ sozialistische Diktatur – falls dieser Ausdruck überhaupt erlaubt ist – ist Nordkorea. Berichte aus diesem rückständigen Land sind hinlänglich bekannt. Es ist Geld zur Entwicklung von Atombomben vorhanden, das Volk lässt der dicke Diktator materiell leiden. Auch in Nordkorea ist der Hunger für die gesamte Bevölkerung (ausgenommen das Militär und die Parteibonzen) Teil des Alltags.

Chávez und Maduro

Ein gleichermaßen groteskes wie tragisches Beispiel für das zwangsweise Scheitern marxistischer Ideen ist Venezuela. Dieses Land verfügt über die größten Ölreserven des amerikanischen Kontinents, möglicherweise der ganzen Welt. Trotzdem ist es den beiden Diktatoren Chávez und Maduro gelungen, ihr Land wirtschaftlich zu ruinieren. Chávez‘ Ideologie war eine Mischung aus historischem Bolivarismus und Marxismus, was gelegentlich als Sozialismus des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird. Den beiden Diktatoren gelang tatsächlich die Errichtung eines „gerechten“ Staates. Das einst wohlhabende Land wurde ein armseliges, in dem der Mangel „gerecht“ verteilt wird. Die Ölmilliarden streifen einige Oligarchengeneräle ein, die Diktator Nicolás Maduro an der Macht halten, aber darüber spricht man nicht.

Selbstmanipulation

Die Frage lautet: Wie können gebil­dete und manchmal auch intelligente Linke bei ihrer Beurteilung des Marxismus so falschliegen, und zwar immer aufs Neue? Man kann nur einen Schluss ziehen. Überzeugte Marxisten sind nicht ausschließlich naive Menschen, die Propaganda eines so­zialistischen Regimes einfach nachbeten. Sie sind auch gut darin, winzigste Schwachstellen in Gegenargumenten zu finden, und fast jede Diskussion in Erzählungen über echte und vermeintliche Miseren in freien Ländern münden zu lassen. Einige wenige Marxisten sind kritik­fähig. Sie nutzen ihre Fähigkeit jedoch in einer extrem selektiven Art und Weise und manipulieren sich dabei selbst.

Andreas Babler wird aus Österreich keine marxistische Republik machen. Das kann er nicht, aber er wird versuchen, den einen oder anderen dunkelroten Akzent zu setzen. Die Frage, wie man Menschen nennt, die schlechte und mehrfach gescheiterte Ideologien immer und immer wieder aufs Neue beleben wollen, sei den Lesern überlassen.